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30JUN2024
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Meine Oma ist schon sehr lange tot. Unvergessen bleibt mir, dass ich um ihr Bett immer einen Bogen gemacht habe. Der Grund war ein großes Bild über ihrem Bett. Besonders bedrohlich war für mich seine Aufhängung. Mit Paketschnur an einem Haken befestigt ragte es schräg ins Zimmer hinein. So konnte man im Bett liegend darauf schauen. Immer in der Hoffnung, dass die Schnur nicht reißt und das Bild mit seinem schwarzen Rahmen einen im Bett erschlägt. Und doch schaute ich es mir immer wieder interessiert in sicherem Abstand an. So düster seine Darstellung und so gefährlich seine Aufhängung auch waren. Ich kannte die auf dem Bild dargestellte Geschichte vom Religionsunterricht. Von einem Mädchen, das schläft und totsterbenskrank ist.

Heute wird die Geschichte aus der Bibel im katholischen Gottesdienst vorgelesen. Dem Kind des Synagogenvorstehers Jairus, heißt es da, konnten weder Ärzte noch ein Medikament mehr helfen. Nur von Jesus erwartet Jairus noch Rettung. Buchstäblich auf den Knien fleht er ihn an und sagt unter Tränen: Mein Töchterlein liegt in den letzten Zügen. Komm, leg ihr die Hände auf, dass es wieder gesund wird. Die Geschichte erzählt, wie Jesus die Not und das Vertrauen des Jairus sieht und sich mit ihm auf den Weg macht. Doch es scheint alles zu spät zu sein, als Boten auf sie zukommen und die Todesnachricht überbringen. Jesus aber lässt sich nicht beirren. Trotz der ganzen Verwandtschaft, die inzwischen am Haus des Jairus eingetroffen ist und nur noch weinen kann. Seine Reaktion ist alles andere als einfühlsam: Warum macht ihr solchen Lärm?Das Kind ist nicht gestorben. Es schläft nur. Meint er und geht unbeeindruckt von all den Leuten ins Zimmer des Kindes. Nur Jairus, seine Frau und vier Jünger gehen mit.

Was dann geschieht, war auf dem Bild meiner Oma übergroß abgebildet. Jesus greift nach der Hand des Kindes im weißen Nachthemd. Wie tot liegt es auf dem Bett. Er sagt nur: Junge Frau, ich sage dir, steh auf! Und sie steht auf. Aus eigener Kraft findet sie wieder Boden unter den Füßen.

Immer wenn ich mir das Bild im Schlafzimmer meiner Oma aus sicherem Abstand angeschaut habe, sah ich, obwohl es überhaupt nicht dargestellt war, wie das Mädchen langsam wie in Zeitlupe aufsteht und quicklebendig vor Freude herumspringt.

Vom Töchterlein des Jairus erzählt die Bibel. Eigentlich ist das Mädchen kein Kind mehr. 12 Jahre ist sie schon und im damaligen Israel eine junge Frau. Bald könnte sie heiraten.

Für Jairus aber bleibt es sein Töchterlein. Sein ganzer Stolz. Und er ist ja auch nicht irgendwer. Jairus ist Vorsteher der Synagoge und steht in der Öffentlichkeit. Sein Kind muss so sein, wie eine Tochter eines Synagogenvorstehers zu sein hat. Fromm. Nicht aufmüpfig. Angepasst. Der Vater hat das Sagen. Wie oft werden die Eltern ihr gesagt haben, was sie darf und was nicht. Einen Skandal in der Familie kann man sich bei einem Vater in dieser Position nicht leisten. Die Folgen sind absehbar. Die junge Frau hat keine Kraft mehr, aufzustehen. Nur noch schlafen möchte sie. Schritte in eine Unabhängigkeit von den Eltern bleiben ihr verwehrt. Einmal ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, kann sie vergessen. Die Tochter des Jairus bleibt in der Geschichte namenlos. Der Vater ist entscheidend und nicht sie. Viele Geschichten der Bibel berichten davon, wie Menschen, die klein gehalten werden, endlich aufstehen. Oft sind es die Frauen. Jesus richtet sie auf. Damit sie ihren eigenen Weg gehen. Aufstehen, mitten im Leben. In den Zwängen einer oft von Männern bestimmten religiösen Ordnung. Bis heute gibt es die. Im Haus des Jairus ist sie für Jesus nicht das Töchterlein, wenn er sagt: Junge Frau, steh auf.   

Obwohl mir das düstere Bild meiner Oma so viel Angst machte. Was darauf abgebildet war, ist eine Auferstehungsgeschichte. Mitten im Leben ereignet sie sich. Die Theologin Dorothee Sölle meint: Die Auferstehung ist längst schon vor dem Tod sichtbar. Jesus glaubte vor allem an ein Leben vor dem Tod. Für alle Menschen. Auferstehung bekommt so eine ganz neue Bedeutung. Es ist nicht etwas, was ich glauben muss, jenseits aller Erfahrung. Der einseitige Glaube an eine Auferstehung erst nach dem Tod führt schnell dazu zu vertrösten. Irgendwann und irgendwo wird schon alles gut werden. In der Geschichte von Jairus und seiner Tochter geht es um die Auferstehung, ganz konkret im Leben einer Zwölfjährigen. Denn eine namenlose und fast vergessene junge Frau, die im Schatten ihres Vaters wie tot ist, steht auf und geht ihren eigenen Weg.

Geschichten von Jairus und seiner Tochter gibt es bis heute. Wir können versuchen, den Kreislauf zu durchbrechen. Mit ganz einfachen Worten. Steh auf. Trau Dich. Geh deinen Weg. Aufrecht. Ich begleite dich. Diese Worte lassen leben. Mich selbst und meine Mitmenschen.

Mit den Worten der Dichterin Marie Luise Kaschnitz wünsche ich ihnen diese Erfahrung vom Aufstehen mitten im Leben:

Manchmal stehen wir auf, / stehen wir zur Auferstehung auf, / mitten am Tage, / mit unserem lebendigen Haar, / mit unserer atmenden Haut.

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23JUN2024
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Neuerdings bekomme ich immer wieder Nachrichten mit ganz besonderen Fotos geschickt. Auf den ersten Blick sind es Fotos von ganz alltäglichen Dingen, wie einem Hauseingang oder einem Baumstamm. Aber auf den zweiten Blick werden aus den Astgabeln am Baumstamm zwei Augen, und ein Riss in der Rinde ist der Mund. Gesichter, die man erst auf den zweiten Blick erkennt. Unter dem Hashtag Randomfaces finden sich im Internet solche Gesichter, die eigentlich gar keine sind. Häuserfassaden mit runden Fenstern und einem liegenden Bogen. Mülleimer mit besonderen Einwürfen. Baumstämme, deren Astlöcher ein Gesicht markieren. Wenn man einmal aufmerksam ist, dann sieht man sie. Ich liebe es, sie zu fotografieren und oft poste ich sie dann bei Instagram.

„Was fotografieren Sie da eigentlich immer?“, fragte mich jüngst auf einer Reise ein Mitreisender. Nachdem ich es ihm gesagt und erklärt hatte, kam er nach einigen Tagen auf mich zu, lachte und sagte: „Ich sehe jetzt auch überall Gesichter.“

Ich sammle diese besonderen Gesichter. Zufallsfunde, meist fröhlich, manchmal grimmig. Sie zaubern mir immer ein Schmunzeln ins Gesicht. Vor allem aber erinnern Sie mich daran, genau hinzusehen und Gesichter zu entdecken, wo man erst keine vermutet. Und sie sind ein Hinweis dafür, Gesicht zu zeigen, gerade jetzt.

Im 1. Petrusbrief heißt es: „Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist.“ Rechenschaft geben – das beginnt damit, Gesicht zu zeigen. Es beginnt damit, dass ich einstehe und geradestehe für das, was mir anvertraut ist und was mich trägt.

Es hat mich sehr berührt, als bei der Gedenkfeier für den im Dienst getöteten Polizisten Rouven Laur zu hören war, dass auf seinem Schreibtisch das aufgeschlagene Arabisch-Lehrbuch lag. Er wollte dazu beitragen können, dass brenzlige Situationen entschärft und deeskaliert werden. Vor gut drei Wochen hatte er Dienst auf dem Mannheimer Marktplatz. Mit seinen Kolleginnen und Kollegen war er dazu da, die Meinungsfreiheit zu schützen. Als diese durch eine Messerattacke angegriffen wurde, griff er ein und wurde dabei tödlich verletzt. Wenige Sekunden, die das Leben dieses jungen Polizisten beendeten und die unsere Gesellschaft ins Mark getroffen haben.

Der Polizist Rouven Laur hat wie so viele Polizistinnen und Polizisten Verantwortung übernommen für unsere freie Gesellschaft, dafür, dass Menschen ihre Meinung zum Ausdruck bringen können. Er hat sich gegen islamistisch motivierte Gewalt gestellt und hat das mit dem Leben bezahlt. Bei der Gedenkfeier für ihn vor einer Woche wurde ein Brief der Familie verlesen. Besonders eindringlich war der Appell, dass es gerade jetzt nicht dazu kommen darf, dass Hass und Gewalt siegen. Das lachende Gesicht von Rouven Laur auf dem großen Foto vor Augen haben wir es alle gehört: Gewalt darf gerade jetzt nicht die Antwort sein. Klare Worte und entschiedenes Handeln jedoch schon.

Gesichter sehen, auch da, wo man sie erst nicht vermutet und Gesicht zeigen da, wo die Menschlichkeit mit Füßen getreten wird. Darum geht es. Der 1. Petrusbrief ruft dazu auf, dass wir jederzeit bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und Rechenschaft zu geben von der Hoffnung, die in uns ist. Das habe ich vorhin in den SWR 4 Sonntagsgedanken erzählt.

Es klingt wie ein Verwaltungsvorgang und ist doch viel mehr: Rechenschaft geben über die Hoffnung, die in uns ist. Das ist dann wieder wie die Sache mit den Randomfaces. Nüchtern betrachtet und beschrieben ist es eine Häuserfassade oder eine Tür mit zwei runden Türknaufen. Aber beim genauen Hinsehen und mit der Erwartung, mehr zu sehen zeigt sich ein Gesicht.  Das Gesicht der Hoffnung entdecke ich, wenn ich genau hinsehe. Sie ist kein geschürtes Paket, das ich von Zeit zu Zeit hinausnehme und davon berichte. Die Hoffnung, die in mir ist, ist die Glut, die von Gottes Geist immer wieder angefacht wird. Sie ist der Sinn dafür und der Glaube daran, dass trotz allem, was mir die Zuversicht sinken lässt, es einmal eine gute Wendung nehmen wird mit meinem Leben und mit dieser Welt. Das ist keine Traumtänzerei, erst recht kein Augen-Verschließen vor dem, was schiefläuft, sondern es ist das beharrliche Festhalten daran, dass Gottes Zukunft noch vor uns liegt und dass er uns selbst aus dieser Zukunft entgegenkommt. Daran müssen wir einander erinnern und die Hoffnungsbilder und Hoffnungsgeschichten so teilen wie wir die Bilder von Randomfaces teilen.

Und am Ende geht es uns dann so wie dem Mann, der mit auf der Reise war, über meine Fotos von Randomfaces gestaunt hat und plötzlich auch überall Gesichter gesehen hat. Dann lässt sich die Hoffnung entdecken an Orten, an denen wir sie nicht vermutet haben. So ein Ort ist der Hoffnungsgarten in Eppingen. Ein Stück Garten in der Kleingartenanlage, in dem eine Initiative mit geflüchteten Menschen eine kleine Oase und ein Café für Begegnungen geschaffen hat. Das stolze Leuchten in den Augen derer, die das mit erschaffen haben, ist ein Hoffnungszeichen, das mich weiter sehen lehrt.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und eine Woche, in der Sie Hoffnungszeichen finden.

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16JUN2024
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Mein Sohn hat heute Firmung. Da kommt ein Bischof in unsere Kirche und legt jedem Jugendlichen die Hände auf den Kopf. Mit einem besonderen Öl macht er dann ein Kreuz auf dessen Stirn. Dazu spricht er die jungen Leute mit Vornamen an und sagt dann die Worte: "Sei besiegelt durch die Gabe Gottes, den Heiligen Geist."

Wenn ich mir diese Szene einmal ganz nüchtern vorstelle, dann könnte ich schon fragen: Was passiert da eigentlich? Ist das eine Art Zauberformel, mit der ein Geist, ein heiliger Geist angerufen wird? Und wozu das Ganze?

Der Grund der Firmung, ihr Zweck also, der steckt im Namen. „Firmare“ kommt aus dem lateinischen und bedeutet so viel wie: stark machen, bestärken. Gott stärkt die Jugendlichen mit seinem Geist! Das ist zunächst das Wichtigste. Die Firmung ist gleichzeitig die Fortsetzung und der Abschluss der Taufe. Damals haben die Eltern versprochen, dass sie ihre Kinder im Geist und nach dem Vorbild von Jesus Christus erziehen wollen. Jetzt bestätigen die Jugendlichen das selbst.

Sich firmen zu lassen ist also eine bewusste Entscheidung. Aber das ist nur der eine Teil. Der andere ist: Für den Heiligen Geist tatsächlich Platz zu lassen im eigenen Leben. Dass junge Leute sich darauf einlassen, das finde ich ganz schön mutig!

Denn zu verstehen, wer oder was der Heilige Geist ist, das ist gar nicht so einfach. Wie der Heilige Geist wirkt, kann man am besten in der biblischen Geschichte von Pfingsten nachlesen: Die Jünger von Jesus hatten nach seinem Tod eine riesen Angst und haben sich zurückgezogen. Plötzlich ist Feuer vom Himmel gekommen, auf jedem Jünger hat sich eine Flammenzunge niedergelassen. Die Angst war weg und sie haben angefangen zu reden und zu erzählen. In lauter verschiedenen Sprachen, die eigentlich fremd für sie waren. Und Menschen aus der ganzen Welt konnten sie verstehen. Diese Feuerzungen stehen für den Heiligen Geist. Dieser Geist Gottes ist da, wo die Angst verschwindet, wo Menschen sich verständigen, wo sie auf neue Ideen kommen und Wege finden. Wo es um Frieden und Freiheit geht.

Wenn der Bischof nun also seine Hand auf den Kopf eines Jugendlichen legt, wird der Heilige Geist weitergegeben. Ich stelle mir vor: Das funktioniert etwa so wie beim Spiel „Stille Post“: In einer Runde flüstert der Erste dem Nächsten etwas ins Ohr. Was am Ende der Runde rauskommt, weiß am Anfang keiner. Der Bischof macht es ähnlich: Er schickt im Namen Gottes den Heiligen Geist los. Was davon bei den Jugendlichen ankommt, das bleibt an diesem Tag der Firmung noch offen.

 

Mein Sohn gehört zu den jungen Leuten, die heute in unserer Gemeinde gefirmt werden. Sie haben sich vorbereitet auf diesen Tag. Haben diskutiert über Gott und den Glauben, haben überlegt, was eigentlich christlich ist. Das Motto der Vorbereitung lautet in diesem Jahr: „Trotzdem.“ Trotzdem Firmung. Das zeigt schon: sich firmen zu lassen, das braucht eine klare Haltung und ein bisschen Risikobereitschaft. Denn für viele Jugendliche gilt: Ich lasse mich trotzdem firmen, obwohl ich manchmal so meine Zweifel mit Gott habe, obwohl ich mir nicht sicher bin mit dem Glauben. Und obwohl ich nicht gut finde, dass Frauen in der katholischen Kirche diskriminiert werden.

Mein Sohn hat seine Entscheidung pragmatisch getroffen. Er sagt: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass es mehr gibt, als ich mir jemals vorstellen kann. Und deshalb halte ich es für möglich, dass es Gott gibt. Also kann’s nicht schaden, wenn ich ihm eine Chance gebe.“

Ich glaube, genau darin liegt die Stärke der Firmung. Dieses Sakrament verlangt von den jungen Leuten eine besondere Haltung. Und die hilft auch im Alltag. Denn als Gefirmter kann ich mit dem Heiligen Geist rechnen. Das bedeutet: Ich lasse mich also auf etwas ein, dass ich nicht kenne. Ich wage etwas, das auf den ersten Blick verrückt scheint. Ich probiere was aus. Und ich halte es für möglich, dass es Dinge und Situationen gibt, die ich mir nicht vorstellen kann. Für mich ist all das eine wichtige und wertvolle Übung; um in schwierigen Zeiten oder in Krisen die Zuversicht nicht zu verlieren; und um hoffen zu können!

Ich verstehe das Firm-Sakrament auch als einen besonderen Segen. Als Reisesegen - für das Leben, das jetzt vor den jungen Leuten liegt. Daran denke ich, wenn der Bischof auch meinem Sohn heute die Hände auf den Kopf legt und ihn mit seinem Namen anspricht. Er bittet dabei nicht nur um die Kraft des Heiligen Geistes für ihn, er segnet ihn auch. Mit all seinen Begabungen, Wünschen und Träumen.

Von diesem Weggefährten, vom Heiligen Geist etwas ahnen und den Mut haben, ihn mitzunehmen auf die eigene Lebensreise - das wünsche ich allen jungen Leuten, die sich, trotzdem, und gerade in diesen Zeiten firmen lassen!

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09JUN2024
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Viele sind sicher schon ganz gespannt. Diese Woche beginnt die Fußball-Europameisterschaft. Noch dazu im eigenen Land. Am kommenden Freitag trifft die deutsche Nationalmannschaft beim Eröffnungsspiel in München auf die Schottische.

Seit der Weltmeisterschaft in Brasilien vor zehn Jahren hat Deutschland kein wichtiges Turnier mehr gewonnen. Vielleicht gelingt ja wieder so ein Wunder wie bei der WM vor 50 Jahren, als Deutschland zu Hause gewann.

Fußball begeistert viele Menschen. Auch im SWR Sendegebiet. Wie der VFB am letzten Spieltag noch Vizemeister wurde. Wie Hoffenheim die Bayern am selben Tag schrubbte und damit zum Erfolg der Stuttgarter beitrug. Wie die Lauterer bis in Pokalfinale kamen. Wie die Mainzer den Klassenerhalt in der ersten Liga schafften. Wie die Heidenheimer so mir nichts, dir nichts als Aufsteiger gleich auf Platz 8 landeten und es damit in die Playoffs für die Conference-League schafften. Und Freiburg. Die haben sich fest in der ersten Liga etabliert. Schade, dass Christian Streich geht. Den mögen - glaube ich – alle irgendwie. Fußball begeistert. Und was begeistert mich?

Was ist, wenn mich nichts mehr richtig begeistert? Wenn sich mein Leben leer und kraftlos anfühlt? Wenn meine Lebenskraft vertrocknet ist und ich zu nichts mehr richtig Lust habe? Wenn bei mir nichts mehr so richtig voran geht?

Wie komme ich dann wieder zu neuer Begeisterung? Die einschlägige Ratgeberliteratur schlägt Folgendes vor: Schlafen Sie gut! Ernähren Sie sich gut! Verringern Sie Ihren Stress! Treiben Sie Sport! Hab keine Angst! Mach, was dein Bauchgefühl dir sagt!

Aber, kann ich mir selber sagen: „Hab keine Angst“? Oder „Schlaf gut!“ oder „Ernähre dich bewusst!“ Ich schlafe nicht besonders gut. Bin ein Frühaufwacher. Zwischen fünf und sechs ist bei mir meist die Nacht zu Ende. Da kann ich mir noch so sehr am Abend sagen: „So, aber heut will mal bis halb acht schlafen“. Es klappt einfach nicht. Und wenn ich Angst habe, dann habe ich eben Angst. Es sei denn, es ist jemand bei mir. Und bei der bewussten Ernährung bellt bei mir der innere Schweinehund ganz laut.

All diese Tipps und Ratschläge kranken meines Erachtens an einer Sache. Sie sagen dir immer: „Tu dies! Tu das! Hol das aus dir raus! Mach es!“

Dabei ist Begeisterung ein Passivwort. Da geschieht etwas an mir oder mit mir. Das Verb „begeistern“ hat die Vorsilbe „be-“. Wenn im Deutschen ein Tätigkeitswort vorne ein „be-“ hat, dann braucht es weiter hinten ein Akkusativobjekt. Etwas, nach dem man mit „wen oder was“ fragt. Beispiel: Wenn ich ein Konzert von Götz Alsmann gehe, dann begeistert mich das. Ich bin begeistert von etwas. Begeistern kann ich mich nicht von allein. Es kommt nicht aus mir selbst. Begeisterung braucht einen Auslöser, etwas, was mich anregt.

Begeisterung kann ich nicht selber in mir machen. Begeistert werde ich. Da passiert irgendwas, das Begeisterung in mir auslöst. Irgendein Impuls von außen. Begeisterung ist ein Geschenk. Als Christ habe ich die Erfahrung gemacht, dass Begeisterung etwas mit dem Geist zu tun hat. Mit dem Geist Gottes. Oder dem Heiligen Geist.

Mich begeistert, wenn Menschen für etwas „brennen“ und der Funke auf andere überspringt. Der Begründer der methodistischen Bewegung, John Wesley, hat sinngemäß gesagt: „Wenn ich bete, zündet der Geist Gottes ein Feuer in mir an. Und dann kommen die Menschen, um zu sehen, wie ich brenne.“

In der Bibel wurde das am Pfingstfest ganz deutlich (Apostelgeschichte 2). Da gab es plötzlich ein mächtiges Rauschen, wie wenn ein Sturm vom Himmel herabweht. Das Rauschen erfüllte das ganze Haus, in dem die Apostel waren. Dann sahen sie etwas wie Feuer, das sich zerteilte, und auf jeden ließ sich eine Flammenzunge nieder. Alle wurden vom Geist Gottes erfüllt und begannen in anderen Sprachen zu reden, so wie es ihnen der Geist Gottes eingab.

Wir merken: Begeisterung hat auch etwas Unkontrollierbares. Etwas Unverfügbares. Sie ergreift nicht nur den Verstand, sondern auch die Gefühle und die Sinne. Der Geist Gottes, „weht, wo er will“ sagt Jesus (Johannes 3,8.) Er ist der, der im wahrsten Sinne des Wortes be-Geist-ert.

Die gute Nachricht ist: Da Begeisterung ein Geschenk ist, kannst ich auch darum bitten. Geschenke erbitte ich mir manchmal – zum Beispiel bei meinem Geburtstag. Es muss nicht immer eine Überraschung sein.

Wir können Gott auch um etwas bitten. Was ihr mich bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun, sagt Jesus einmal. Jesus um seinen Geist, um seinen Be-Geist-erung zu bitten, entspricht ganz seinem Willen.

Im Johannesevangelium verspricht Jesus, dass er seinen Geist senden wird und er nennt in extra „Tröster“. (Kap.14 und 15 jeweils Vers 26)

Als meine Mutter mit 56 an Krebs starb, brauchte ich jemanden, der mich tröstet. Zum Glück war meine damalige Frau da. Sie war wie ein Engel, den der Geist Gottes mir geschickt hatte. Seitdem – habe ich den Eindruck –bin ich auch wieder empfänglicher für Begeisterung.

Wer sich auch danach sehnt, dass wieder mehr Begeisterung sein Leben ergreift, kann ja zum Beispiel ein kleines Gebet sprechen: „Jesus, ich sehne mich danach, dass ich mich wieder für etwas begeistern kann, dass wieder mehr Freude in mein Leben kommt. Bitte schenk mir deinen Geist und mach mich offen für sein Wirken in mir und durch mich. Amen.“

Ich bin überzeugt, dass Gott dieses Gebet nicht ungehört verhallen lässt.

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02JUN2024
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Wofür ist der Sonntag da?

Heute ist ein Tag der Freiheit. Sonntag. Keine Arbeit. Keine Verpflichtungen. Zeit für sich und Freunde. Sicher, auch heute rotieren viele: Krankenpfleger, Ärztinnen, Kellner, Eltern. Aber auch für die gilt: Jeder braucht immer wieder kleine Auszeiten. Sonntags – oder auch mitten in der Woche.

Wie wichtig solche Auszeiten sind, davon erzählt bereits die allererste Geschichte der Bibel. Die Schöpfungsgeschichte. Gott schafft hier die Welt. Bändigt das Chaos. Macht Licht und Dunkel, Land und Wasser, Bäume und Tiere. Und dann den Menschen. Seitdem gilt der Mensch als Krone der Schöpfung. Damit wird ausgedrückt: Der Mensch ist einzigartig. Ebenbild Gottes. Nimmt eine besondere Stellung in der Natur ein. Hat Verantwortung und besitzt Würde.

Was dabei vergessen wird: In der Schöpfungserzählung tritt der Mensch bereits am sechsten Tag auf den Plan. Erst am siebten und letzten Tag vollendet Gott sein Werk. Indem er einfach mal nichts macht. Sich ausruht. Das letzte Schöpfungswerk: Eine einzige große Pause. Im Judentum kriegt dieser Tag den Namen Sabbat. Bei den Christen ist das der Sonntag. In anderen Religionen gibt es Pausenzeiten etwa durch Gebete oder Gottesdienste.

Dabei ist der Sabbat mehr als nur einfach eine Pause oder Zeit fürs Faulenzen. Davon erzählen die Zehn Gebote. Die es in der Bibel übrigens in zwei Versionen gibt. Beide fordern, den Sabbat zu halten. Begründet wird das aber unterschiedlich. Einmal ist der Sabbat dafür da, dass sich Menschen an der ganzen Schöpfung erfreuen können. Dass sie das Wunder des Lebens und der Welt würdigen. Dann ist der Sabbat dafür da, dass sich die Juden an ein besonderes Ereignis erinnern: An ihre Befreiung aus der Sklaverei. Sabbat heißt, daran festzuhalten, dass der Mensch nur frei wirklich Mensch ist.

Zwei gute Gründe für eine Auszeit auch heute. Auf die Wunder der Schöpfung sehen – und die Freiheit feiern. Ganz egal, ob er Sabbat oder Sonntag heißt: Gemeint ist ein Tag, der mich erleben lässt, dass ich selbst ein Wunder bin – so wie jeder Mensch, jedes Tier, jedes Samenkorn, jeder Stern. Und an dem ich spüre, wie wichtig es ist, frei sein zu dürfen. Eine Freiheit, die für alle Menschen gilt.

 

 

Zur Ruhe kommen

Zur Ruhe kommen. Das ist oft ganz schön schwierig. Wenn alle an einem zerren. Und wenn man sich selbst unter Druck setzt. Aber auch, wenn man alleine ist. Wenn die Gedanken immer wieder um die gleichen Probleme kreisen. Wenn das Leben einfach schwerfällt.

Dabei sind Ruhezeiten ganz schön wichtig. Für den Körper. Pausen helfen, dass sich die Muskeln entspannen, der Stoffwechsel ins Lot kommt. Dass man ganz einfach Energie tanken kann. Pausen sind aber auch für den Geist wichtig. Sie beruhigen bei Stress. Helfen, dass das Gedächtnis fit bleibt. Verbessern die Konzentration. Und auch dafür sind Ruhezeiten wichtig: Um Zeit für Familie, Freunde, Hobbys oder ein Ehrenamt zu haben. Ohne Pausen fehlt die Zeit für Beziehungen.

Was ich selbst immer wieder erlebe: Wenn ich Pausen mache, dann kommen Ideen – für die nächsten Sonntagsgedanken zum Beispiel. Oder mir fallen Lösungen für schwierige berufliche Situationen ein. Oder den letzten Streit.

Kurz: Ruhezeiten sind wichtig, damit der Mensch gesund bleibt. An Körper und Geist, Herz und Seele. Auszeiten helfen, ein ausgewogenes und erfülltes Leben zu führen. Sie stärken und machen frei.

Genau das steckt auch hinter dem Gebot, den Sabbat zu halten. Eines der zehn Gebote. Die sind oft als Regeln missverstanden worden, die den Menschen einengen und unterdrücken wollen. Das Gegenteil ist der Fall. Die zehn Gebote sind Grundregeln für ein Leben in Freiheit. Freiheit kann es nur geben, wenn ich sicher bin, wenn ich keine Angst haben muss, wenn mich niemand bedroht oder mich gar um meine Lebensgrundlagen bringt. Nicht töten. Nicht lügen. Nicht stehlen. Das sind ganz grundsätzliche Regeln für ein freies Miteinander von Menschen. Den Sabbat zu halten gehört auch dazu. Ein freier Tag, eine Auszeit, eine Zeit der Muße: Das hilft mir, mit mir selbst und anderen klar zu kommen. Kraft zu schöpfen. Beziehungen zu pflegen. Ohne das alles ist ein Leben in Freiheit und Würde kaum vorstellbar. Darum geht es diesem Gebot. Es sagt: Wenn du dir selbst etwas Gutes tun willst, dann sorge dafür, dass du Pausen machst. Zur Ruhe kommst.

Das Leben dreht sich schon früh genug weiter.

 

 

 

Zu Markus 2

An einem Sabbat ging Jesus durch die Kornfelder und unterwegs rissen seine Jünger Ähren ab. Da sagten die Pharisäer zu ihm: Sieh dir an, was sie tun! Das ist doch am Sabbat nicht erlaubt. Er antwortete: Habt ihr nie gelesen, was David getan hat, als er und seine Begleiter hungrig waren und nichts zu essen hatten, wie er zur Zeit des Hohepriesters Ábjatar in das Haus Gottes ging und die Schaubrote aß, die außer den Priestern niemand essen darf, und auch seinen Begleitern davon gab? Und Jesus sagte zu ihnen: Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat. Deshalb ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat.

 

Exodus 20

Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig! Sechs Tage darfst du schaffen und all deine Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem HERRN, deinem Gott, geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun: du und dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und deine Sklavin und dein Vieh und dein Fremder in deinen Toren. Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel, Erde und Meer gemacht und alles, was dazugehört; am siebten Tag ruhte er. Darum hat der HERR den Sabbat gesegnet und ihn geheiligt.

 

Deuteronomium 5

Halte den Sabbat: Halte ihn heilig, wie es dir der HERR, dein Gott, geboten hat! Sechs Tage darfst du schaffen und all deine Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem HERRN, deinem Gott, geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun: du und dein Sohn und deine Tochter und dein Sklave und deine Sklavin und dein Rind und dein Esel und dein ganzes Vieh und dein Fremder in deinen Toren. Dein Sklave und deine Sklavin sollen sich ausruhen wie du. Gedenke, dass du Sklave warst im Land Ägypten und dass dich der HERR, dein Gott, mit starker Hand und ausgestrecktem Arm von dort herausgeführt hat. Darum hat es dir der HERR, dein Gott, geboten, den Sabbat zu begehen.

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26MAI2024
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Immer froh und gut gelaunt …

Stellen Sie sich vor, Sie gehen spazieren. Da kommt ein Mann auf Sie zu; mit Bart. Allerdings nur in der Hälfte des Gesichts! Ich müsste da wahrscheinlich lachen. Und genau das haben die Leute damals in Rom getan, als sie Philipp Neri begegnet sind und der nur halb rasiert war.

Philipp Neri hat im 16. Jahrhundert gelebt. Er war so eine Art Lebenskünstler, ein Heiliger und Spaßvogel. Heute ist sein Gedenktag.

Philipp soll immer froh und gut gelaunt gewesen sein. Und er wollte andere mit seiner Freude anstecken. Mal hat er sich dazu nur halb rasiert, mal ist er im Sommer mit einem dicken Mantel rumgelaufen. Der Effekt war immer derselbe: Die Menschen haben gelacht und für einen Moment vergessen, was sie gerade beschäftigt hat. Sie konnten kurz abschalten. Philipp hat sie aufgeheitert und ihnen vermittelt, dass es sich mit einer Prise Humor leichter leben lässt. So ist er zum Patron der Clowns und Gaukler geworden.

Allerdings war Philipp mehr als ein Scherzkeks: Er wollte durch seine Aktionen vor allem mit Leuten ins Gespräch kommen – und das richtig, mit Tiefgang. Er hat ganz gewöhnliche Dinge getan; aber auf ungewöhnliche Weise. Das hat Menschen irritiert. Sie haben ihn angesprochen und Philipp konnte so den Bogen zu dem schlagen, was ihm wichtig war und ihn selbst so mit Freude erfüllt hat: Gott.

Eines Tages ist Philipp zum Beispiel mit einer Schachtel in Rom unterwegs. Er sucht Perlen. Die Leute sehen ihn und fragen: „Du kannst doch in Rom keine Perlen finden. Philipp lässt sich nicht beirren: „Doch, es gibt welche. Ich habe schon einige gefunden.“ Er öffnet die Schachtel und jeder, der hineinschaut, lächelt. In der Box ist ein Spiegel. Für Philipp ein echter Grund zur Freude: „Du bist eine Perle, ein Schatz. Von Gott geliebt und unheimlich wertvoll.“

Durch solche Aktionen war Philipp bekannt und beliebt. Seine Freude hat ausgestrahlt. Er hat es verstanden, Menschen von Gott zu begeistern. Das haben die Leute in der Kirche damals nicht immer so erlebt und das ist ja auch heute leider oft noch so. Legendär ist auch sein großes Herz. Philipp hat nicht nur von Gott erzählt. Er hat etwas dafür getan, dass Menschen spüren, wie Gott sich ihnen zuwendet: er hat nach den Kranken geschaut, die Armen versorgt und sich um Pilger gekümmert, die nach Rom kamen. Für jede und jeden hatte er ein gutes Wort übrig.

Und trotzdem war Philipp kein Friede-Freude-Eierkuchen-Heiliger!

Aber davon gleich mehr …

… mit dem Finger in der Wunde

Der heilige Philipp Neri war eine Frohnatur. Er hat vor rund 400 Jahren gelebt. In meinen Sonntagsgedanken habe ich erzählt, wie er Menschen aufheitert, ihnen von Gott erzählt und vor allem Freude am Glauben vermittelt. Er konnte aber auch den Finger in die Wunde legen.

Eines Tages empfängt Philipp Kardinäle, also hohen kirchlichen Besuch. Als sie eintreffen, wirft er sich ein rotes Tuch über. Damit sieht er ähnlich aus wie sie in ihrer Pracht; und veralbert sie zugleich: er hält ihnen einen Spiegel vor und kritisiert ihr Auftreten. Sie sollten lieber bescheiden sein – so wie es Christus war. Ein anderes Mal kritisiert Philipp sogar den Papst; zwar auch höflich und charmant, aber unmissverständlich. Auch ihn erinnert er daran, demütig zu bleiben und sich an Christus auszurichten.
Dass sich Philipp das getraut hat! Er hat Dinge angesprochen, die in Schieflage geraten sind; bis auf die oberste Ebene. Da gehört schon was dazu. Aber offenbar hat es ihm keiner übelgenommen. Woran das wohl liegt?

Zum einen hat Philipp für eine gute Atmosphäre gesorgt. Die Leute haben gespürt, dass er es gut mit ihnen meint. Er hat Kritik geäußert, ohne zu verletzen. Ich glaube, darauf kommt es an! Wenn mir jemand Dinge wertschätzend sagt, wohlwollend, auf Augenhöhe und gerne mit etwas Humor, kann ich Kritik annehmen und damit umgehen. Leider scheinen das heute viele zu vergessen: Politikern zum Beispiel werden kaum noch Fehler verziehen. Statt sie konstruktiv zu kritisieren und ihnen eine zweite Chance zu geben, werden sie angegangen und mit Hass überzogen.

Philipp Neri war sich außerdem nicht zu schade, den Clown zu spielen. Die Leute konnten über ihn lachen. Mit dem roten Überwurf hat er sich und die Kardinäle zum Affen gemacht. Das war lustig und hat doch gesessen. Wer kleine Kinder oder Enkel hat, kann den Effekt mal ausprobieren: Wenn das Kind im Supermarkt rumschreit und sich auf dem Boden wälzt, weil es nichts Süßes kriegt, machen Sie es genauso: Werfen Sie sich auf den Boden, strampeln Sie und halten Sie dem Kind den Spiegel vor. Es wird peinlich. Aber vermutlich bewirkt es was!

So etwas braucht allerdings Mut! Man muss schon sehr selbstsicher sein, um das zu tun; von sich selber absehen und wissen, was einem wichtig ist. Das ist der dritte Punkt, warum Philipp wahrscheinlich so ungeniert den Finger in die Wunde legen konnte: er war innerlich frei. Er hat oft gebetet und sich mit anderen über Gott ausgetauscht. Er hat genau hingeschaut auf das, was er geglaubt hat: Von Jesus hat er Demut gelernt, den Nächsten zu lieben und auf Gott zu vertrauen. Das hat ihn gestärkt, ihm Orientierung und Halt gegeben. Und deshalb konnte er Menschen auf das aufmerksam machen, was für ihn nicht zu einem Leben im Sinne Gottes gepasst hat.


Philipp Neri wird oft als Spaßvogel bezeichnet. Für mich ist er aber mehr als das. Er zeigt mir, dass es sich lohnt, immer wieder mal in mich zu gehen und zu schauen, was mich froh macht, woraus ich Kraft schöpfe und was in meinen Augen gut ist – für mich, für andere und vor allem für das Miteinander.

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12MAI2024
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Die Menschen hatten keine Wahl - vor acht Wochen in Russland. Das Ergebnis der sogenannten Präsidentschaftswahlen stand schon vorher fest. Dass diese Pseudowahl trotzdem ernsthaft inszeniert wurde, hab ich vor allem als großes Kompliment verstanden. Als Kompliment für jede echte Demokratie, die in einer freien Entscheidung einfach die beste aller Möglichkeiten sieht, wichtige Posten neu zu besetzen. So attraktiv offenbar, dass sich auch Diktatoren – nicht nur in Russland – durch Fake-Wahlen legitimieren wollen.

Nun sind auch die Kirchen, besonders die katholische, keine wirklichen Demokratien. Aber Wahlen kennen sie doch. Und deren Ergebnis steht, anders als in Russland, keineswegs schon vorher fest. Ob es um die Wahl eines neuen Papstes geht, einer neuen Kirchenpräsidentin oder von Gemeinderäten vor Ort. Es sind echte Wahlen. Und die gab es sogar schon am Anfang der Kirche. Davon erzählt eine Geschichte, die heute in den Katholischen Gottesdiensten zu hören ist. Einer der zwölf Apostel, Judas Iskariot, hatte seinen Freund und Meister Jesus an die jüdischen Behörden verraten. In der Runde der Zwölf hatte er nichts mehr verloren. Ersatz musste her. Und so haben die verbliebenen Elf dann zwei Kandidaten aufgestellt, die sie beide für geeignet hielten, die Runde wieder zu ergänzen. Der eine hieß Josef, der andere Matthias. Bloß, zu einer Wahl, wie wir sie heute kennen, ist es dann doch nicht gekommen. Stattdessen haben sie inständig gebetet und Gott gebeten, das doch bitte für sie zu entscheiden. Schließlich kenne Gott ja jeden Menschen in- und auswendig. Wie das gehen kann? In der Bibel heißt es nur: Sie warfen das Los über sie; das Los fiel auf Matthias. (Apg 1,26) Eine zugegeben etwas fragwürdige Art zu wählen. Und auch eine, die heute wohl kaum noch akzeptabel wäre. Nicht nur bei Menschen, die eh nicht an Gott glauben. Ich kenne das ja aus meinem Job. Wenn etwa in kirchlichen Gremien Posten neu zu besetzen sind, dann gibt es Personalvorschläge, Personalbefragungen und –beratungen. Von wegen „Los werfen“. Ein möglichst genaues Bild möchte man sich machen. Wer wählt, will wissen, wie der Andere tickt. Was sie oder er so draufhat. Und doch gaukelt man sich nicht selten auch eine Objektivität vor, die es schlicht nicht gibt. Denn meine Wahlentscheidung hat viel damit zu tun, wie sympathisch mir jemand ist. Das ist nicht verkehrt. Aber oft ist das das entscheidende Kriterium. Viel mehr, als wir uns eingestehen. Ob Beten da hilft? Wäre es also doch besser, die Entscheidung öfter mal Gott zu überlassen?

 

Vor einer Abstimmung beten. Das gibt’s auch heute noch. Bevor ein neuer Papst gewählt wird erscheint das irgendwie selbstverständlich. Aber auch eine neue Legislaturperiode im Bundestag beginnt traditionell noch immer mit einem Gottesdienst. Als sich das Parlament, in dem über entscheidende Fragen für unser Land abgestimmt wird, vor drei Jahren neu konstituiert hat, fand vor der ersten Sitzung ein ökumenischer Gottesdienst statt. Rund 150 Abgeordnete haben daran teilgenommen. 150 von 734. Immerhin also fast jeder fünfte. Ob sie da auch um gute Entscheidungen gebetet haben? Ich weiß es nicht. Aber vor wichtigen Abstimmungen nochmal zu beten finde ich prinzipiell gut. Wer betet, gesteht sich ja ein, dass er nicht nur Menschen, sondern auch Gott gegenüber verantwortlich ist. So steht es auch in der Präambel unseres Grundgesetzes: In Verantwortung vor Gott und den Menschen, heißt es da. Wenn ich bete, mache ich mir klar, dass ich nicht der allmächtige Macher bin. Dass da eine Macht ist, die unendlich viel größer ist als ich. Wer betet, wird auch demütig. Vielleicht nicht die schlechteste Voraussetzung für Leute, deren Entscheidungen das Leben vieler Menschen tangieren. Und wenn ich bete, trete ich mein Votum ja auch nicht an Gott ab. Sage nicht: „Mach du mal, du kannst das besser.“ Nicht Gott ist es, der abstimmt und entscheidet, sondern immer noch ich. Ich kann meine Verantwortung nicht an Gott delegieren, mich nicht hinter Gott verstecken. Ich allein bin verantwortlich für das, was ich entschieden habe – vor meinen Mitmenschen und vor Gott.

Natürlich heißt das nicht, dass alle, die nicht glauben, nicht beten, die keinen Gottesdienst besuchen, schlechtere Entscheidungen fällen. Dass sie nicht genauso ernsthaft und überlegt abstimmen würden. Gläubige sind weder bessere Menschen, noch bessere Politiker. Aber sie wissen sich eben in ein größeres Ganzes eingebunden. Als Glaubender weiß ich, dass es nie nur von mir abhängt. Dass ich allein vieles nicht in der Hand habe. Ganz gleich, ob es um große, weltbewegende Entscheidungen geht, oder um die kleinen, privaten Fragen. Ich kann alles tun, dass eine Freundschaft ein Leben lang hält. Ich kann meine Kinder unterstützen, so gut es geht, damit aus ihnen starke, soziale Persönlichkeiten werden. In der Hand habe ich allein es am Ende nicht. Und letztlich kann mich das sogar gelassener machen. Denn wenn ich alles Menschenmögliche versucht und alles getan habe und am Ende dennoch damit scheitere, kann ich alles Weitere in Gottes Hand legen. Kann ihm sagen: Ich bin mit meinem Latein am Ende, komme nicht mehr weiter. Nun liegt es bei dir. Mach das Beste daraus.

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05MAI2024
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„Ich bin klein, mein Herz mach rein. Soll niemand drin wohnen als Jesus allein.“ So klingt eines der wohl bekanntesten Kindergebete. Vielleicht haben Sie es auch mit Generationen von Kindern abends vor dem Einschlafen gesprochen. Und vielleicht haben Sie mit Generationen von Erwachsenen nicht nur dieses Kindergebet, sondern das Beten überhaupt irgendwann aufgegeben. Es ist ja auch eine berechtigte Frage: Wie kann ich beten, wenn das Gebet mit den Worten anfängt: „Ich bin groß!“?

In der biblischen Geschichte, die heute in vielen evangelischen Gottesdiensten im Mittelpunkt steht, geht es ums Beten. Und es geht um einen großen Beter. Mose ist ein erwachsener Mann, mit allen Wassern gewaschen. Lebenserfahren, gefahrerprobt. Und ein Leben lang im Zwiegespräch mit seinem Gott geblieben. Zu Beginn der Erzählung ist er auf einen Berg gestiegen, um zu beten. Doch er kommt gar nicht dazu. Denn – man höre und staune – Gott selbst hat großen Redebedarf. Er will Mose sein Herz ausschütten. Er ist so richtig fertig mit der Welt. Und klagt ihm sein Leid: Denn seine wunderbaren Pläne mit den Menschen sind nicht aufgegangen. Große Mühen hat er darauf verwendet, einen Haufen Sklaven aus katastrophalen Lebensumständen zu befreien. Auch an großen Wundern hat er es nicht fehlen lassen, um sie aus der Gewalt eines despotischen Herrschers loszueisen. Aber im weiteren Verlauf der Geschichte zeigen die Befreiten sich undankbar. Sie wissen es nicht zu schätzen, was Gott für sie getan hat. Und statt ihm bis in alle Ewigkeit dankbar ergeben zu sein, finden sie an ihrer neuen Lebenslage wieder etwas auszusetzen. Weil die Freiheit, nach der sie sich gesehnt haben, ganz schnell zur Selbstverständlichkeit geworden ist, fangen sie an, an vielen Kleinigkeiten herumzunörgeln. Und Gott ist erschöpft. Ja mehr noch: Er hat es satt. Eine sehr menschliche Reaktion. Und mehr noch: Er redet sich in Rage. Er gerät in Wut und will Schluss machen. Schluss mit den Menschen, die nichts kapieren, die einfach nichts dazu gelernt haben.

Mose bekommt es mit der Angst. Und bevor die Lage eskaliert und Gott womöglich Ernst macht mit seinen Androhungen, versucht er, diesen aufgebrachten Gott zu besänftigen. Er spricht mit ihm. Er betet. Und traut sich was. Er redet Gott gut zu, er redet ihm ins Gewissen. Er erinnert Gott an seine guten Eigenschaften. An seine großen Pläne mit der Welt, an alles, was er den Menschen je an Zukunft versprochen hat. Und am Ende dieses außergewöhnlichen Gesprächs hört Gott auf Mose und bereut seinen Zornesausbruch.

Mose hat sich nicht klein gefühlt und nicht klein gemacht, sondern er spricht sehr selbstbewusst mit Gott. Dass er zum Beten auf einen Berg gestiegen ist, mag ein äußeres Zeichen dafür sein. So stellt er Augenhöhe her. Und auch im Gespräch bietet er Gott, dem scheinbar Unausweichlichen die Stirn. Und er tut es geschickt. Taktisch klug, würde ich sagen. Er packt Gott bei seiner eigenen Ehre: Bei allem, was ich von dir weiß, bei allem, was ich von dir glaube: Du kannst nicht im Ernst die Welt und die Menschen, die du geschaffen hast, zerstören wollen. Bei allem Respekt! Erinnere dich, wofür Du als Gott angetreten bist!

So wie Mose möchte ich auch beten können. Mit einer Haltung, die von Gott etwas erwartet. Und es ihm auch sagt. Nicht als demütige Bittstellerin, sondern als erwachsener Mensch, der von einem großen Gott zurecht Großes erwartet. In der biblischen Erzählung hat es Gott gutgetan, dass ein Mensch so mit ihm gesprochen hat. Er hat sich bewegen, ja umstimmen lassen. Vielleicht kann das ja ein Anreiz sein, es mit dem Beten wieder einmal aufzunehmen. Vielleicht so: „Gott, ich bin groß. Ich lass dich nicht los. Du segnest mich denn.“

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28APR2024
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Ich bin Badezimmersänger. Ich bin Flurpfeifer. Ich bin Fahrstuhlsummer. Ich verrutsche zwar immer wieder in den Tonarten. Aber ich singe gerne. In den meisten Fällen aus guter Laune oder weil ich meine Laune aufhellen möchte.

Entweder sing ich das, was mir gerade besonders gefällt oder aber die Sachen, die ich von klein auf kenne, auch Lieder aus dem Gesangbuch. In den meisten Fällen sind das die Lieder, die wir damals im Kindergottesdienst gesungen haben. Mit 8 Jahren habe ich wahrscheinlich einfach mitgesungen, mit 10 vielleicht auch über die Texte nachgedacht. Und kurz vor der Konfirmation haben wir uns natürlich über manches Lied auch amüsiert.

Ein Beispiel: Am Schluss des Kindergottesdienstes haben wir oft ein Segenslied gesungen:  „Herr, wir bitten komm und segne uns“ gesungen. Und immer, wenn die Stelle kam: „Lege auf uns Deinen Frieden“ dann haben mein Freund und ich so getan, als würde etwas Schweres auf uns drauf liegen. Bei der Zeile:  „Segnend halte Hände über uns“. Da haben wir Pfarrer gespielt und der Luft vor uns die Hände aufgelegt. Und bei „Rühr uns an mit Deiner Kraft“ haben wir so getan, als würden wir in einem großen Topf Suppe rühren. Haha, haha.

Wir fanden das damals natürlich fürchterlich witzig. Und unsere Leiter mussten ebenfalls grinsen, wenn sie uns Quatschköpfen zugeschaut haben.   Wir waren ja noch ziemlich klein und ziemlich stolz auf uns, dass wir wussten: Rühren heißt beides! In der Suppe rühren und berühren und bewegen. Und wir haben eben gerne auch mal Quatsch gemacht.  

Aber, und das hätten wir nicht vermutet: Über die Jahre hinweg – erst in der Kinderkirche, dann im Konfirmandenunterricht und noch darüber hinaus - ist das Lied sehr bei uns geblieben. Es ist tatsächlich ein Lebensbegleiter geworden.  

Herr, wir bitten komm und segne uns hat mich nie mehr verlassen. Im Studium haben wir es gesungen. In meiner ersten Gemeinde gehörte das Lied zum Repertoire des Gemeindechores. Die Jugendlichen, mit denen ich Gottesdienste feiere, singen es gerne.

Und manchmal singe ich es im Bad oder pfeife es im Flur. Die Rührbewegung mache ich mittlerweile nicht mehr. Stattdessen spüre ich dem Gefühl nach, wie dieses Lied aus meiner Kinderzeit mich heute prägt und wie sehr es meine Beziehung mit Gott und Welt beschreibt.

Die Melodie ist fröhlich und motiviert zum Mitsingen. Der Text ist dann aber ziemlich ernst. Zum Beispiel der Vers: „In den Streit der Welt hast du uns gestellt, deinen Frieden zu verkünden…“ Wir Christinnen und Christen stehen im Leid und im Streit der Welt. Und unsere Aufgabe ist es, Frieden zu verkünden und Liebe zu bezeugen. Damit das gelingt, braucht es den Segen Gottes.

Ich entdecke in diesem Text immer wieder meine Verantwortung in der Welt. Und ich entdecke das gern in einem Segenslied, weil Gott mir den Mut gibt, mich Leid und Streit entgegen zu stellen.

Als Kind habe ich den Text so klar nicht verstanden. Da haben wir uns immer nur auf den Kehrvers gefreut. Erst als Jugendlicher und junger Mann habe ich gemerkt: Die Welt ist nicht so fröhlich und beschwingt, wie die Melodie des Liedes es vermuten lässt. Mein Glaube steht auf der Hoffnung, dass alles, was Menschen niederdrückt, beschwert und sogar tötet nicht das letzte Wort hat. Dass Gott jedes Leid bei sich aufnimmt und wegnimmt. Und dass er uns seinen Segen mitgibt, damit wir uns gegen das Leid stemmen – und bereits zu Lebzeiten.

Wenn ich dieses Lied singe oder pfeife, erinnere ich mich an diesen Gott. Meine Hoffnung. Und an meine Verantwortung, genau hinzusehen. Und dann gebe ich mein Bestes. Weil ein Lied, dass ich nun seit 30 Jahren mit mir trage, mein Gottvertrauen aktiviert. Vielleicht haben Sie ja auch so ein Lied, das sie schon lange begleitet und das so für Sie wirkt.

Ich jedenfalls pfeife mir gleich ein „Herr, wir bitten, komm und segne uns.“ Und wenn mein Freund und ich uns ab und zu im Gottesdienst treffen, machen wir immer noch kleine Rührbewegungen mit der Hand. Und dann grinsen wir verstohlen und merken: Uns ist was Gutes passiert.

Ihnen einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche.

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21APR2024
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Von Hirten und Schafen
Im Moment wird über vieles diskutiert. Um Schwangerschaftsabbruch und Sterbehilfe geht es, um Klimaschutz und Tempolimit und vieles mehr. Viele wünschen sich da weniger Regeln und mehr Freiheit. Wollen selbst bestimmen. So entscheiden, wie sie es wollen. Über ihren eigenen Tod, ob sie das Auto nutzen oder ein Fahrrad, ob sie Fleisch essen oder Veganer sind. Andere rufen nach starken Politikerinnen. Wollen, dass die sagen, wo es lang geht. Wollen klare Ansagen in den strittigen sozialen Themen.
Selbst bestimmen oder geführt werden – was ist da richtig? Um diese Frage zu beantworten, kann ich auch auf alte christliche Bilder zurückgreifen. Eins davon: Der gute Hirte.
Bis heute gibt es die Rede vom Hirten. So stammt etwa das Wort „Pastor“ aus dem lateinischen und heißt genau das: Hirte. Und von Bischöfen wird gesagt, sie üben ein Hirtenamt aus. Sollen Oberhirten sein.
Doch die Rede vom Hirten ist älter als das Christentum. Auch das Judentum kennt dieses Bild. Viele wichtige biblische Personen sind Hirten. Das reicht von Abel, der von seinem Bruder Kain erschlagen wird, bis hin zu Abraham, auf den sich Judentum, Christentum und der Islam berufen. Auch Mose, der die Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten befreit, war Hirte.
Hirte, das ist mehr als ein Beruf. Denn der Hirte hat besondere Verantwortung für seine Herde. Für Schafe, Ziegen, Kühe oder Pferde. Ein Hirte oder eine Hirtin setzt sich für die Tiere ein. Kümmert sich um sie. Führt sie von Weide zu Weide, zu frischem Futter. Sorgt für einen Stall. Beschützt mit Hütehunden die Herde. Und zugleich entscheiden Hirten auch über ihre Tiere. Scheren sie, verarbeiten ihre Milch und ihr Fleisch, setzen sie für die Arbeit ein.
Hirten stehen damit für zwei Aspekte des Lebens: Sie sorgen sich um andere – und geben zugleich die Richtung vor, bestimmen, was Sache ist. Wenn ich also nach Hirten rufe, nach Führung, nach Vorgaben, dann muss mir klar sein: Ich mache mich selbst zu einem Schaf, zum Teil einer Herde. Das macht mir manchmal das Leben leichter. Aber zugleich gebe ich damit die Freiheit ab, selbst entscheiden zu können.


Sich selbst einbringen
Das Bild vom guten Hirten ist im gesamten Orient seit Jahrtausenden verbreitet. Es steht für die Art und Weise, wie Menschen ihre Macht und Herrschaft ausüben. Das Bild enthält damit zwei Elemente. Erstens: Der Hirte will bestimmen. Schafe oder andere Tiere sollen ihm als Herde folgen. Zweitens: Herrschaft geht mit Fürsorge einher. Hirten haben sich um ihre Herden zu kümmern.
Aber das ist nicht alles. Als Jesus vor gut zweitausend Jahren auftritt, da prägt er ein drittes Element. Der gute Hirte, so sagt Jesus, ist der, der sogar sein Leben für die Schafe einsetzt. Der alles tut, damit kein Schaf verlorengeht, stirbt, verhungert, erfriert, von wilden Tieren gerissen wird. Ein Hirte ist nur dann ein guter Hirte, wenn er sich selbst für seine Herde einsetzt.
Das finde ich einen ziemlich spektakulären Gedanken. Er hat viele Menschen inspiriert. Es gibt unzählige Darstellungen in der Kunst, die Jesus als guten Hirten zeigen. Meist trägt er dabei ein Schaf auf seiner Schulter. Die Idee dahinter: Der gute Hirte, der geht so weit wie jedes einzelne Schaf. Holt es aus jeder kniffligen Situation. Und riskiert dabei, sich selbst zu verletzten, abzustürzen, zu sterben.
Damit wird das Verhältnis von Hirte und Herdentier quasi umgedreht. Statt dass der Hirte über seine Tiere bestimmt, macht sich zu ihrem Diener. Setzt die Tiere an die erste Stelle – und eben nicht mehr sich.
Ich finde das ein starkes Bild, auch für meine Gegenwart. Denn wenn ich die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Diskussionen ansehe: Da könnten wir durchaus mehr Führungsgestalten brauchen, die für die Menschen da sind. Ich würde mir da oft mehr vom guten Hirten wünschen, wie Jesus ihn vorstellt. Natürlich in Politik und Wirtschaft, aber auch bei vielen ganz normalen Menschen. Und da schließe ich mich ein. Denn es gibt ja die guten Hirten, die riskieren, für ihr Engagement auch angefeindet zu werden: Die Nachbarin, die für einen syrischen Flüchtling da ist; die Schule, die sich gegen Rassismus einsetzt; die Familie, die wegen des Klimaschutzes wochentags kein Fleisch mehr isst. Das kostet nicht das Leben. Aber es macht deutlich: Hier setzen sich Menschen radikal für andere ein – wie der gute Hirte.


Zu Johannes 10, 11-18
In jener Zeit sprach Jesus: Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe. Der bezahlte Knecht aber, der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen, lässt die Schafe im Stich und flieht; und der Wolf reißt sie und zerstreut sie. Er flieht, weil er nur ein bezahlter Knecht ist und ihm an den Schafen nichts liegt. Ich bin der gute Hirt; ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne; und ich gebe mein Leben hin für die Schafe. Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss ich führen und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten. Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es von mir aus hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen.

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