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SWR1 Begegnungen

23MAI2021
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Sebastian Baden

Peter Annweiler trifft Sebastian Baden, Kurator der Kunsthalle Mannheim

Teil 1: Neues Verstehen
Sperrig, irritierend oder provozierend? – Kein Problem für den 40jährigen. Der Kunstwissenschaftler kümmert sich um zeitgenössische Kunst an der Mannheimer Kunsthalle. Mich fasziniert, dass der Mann nicht nur kundig über Kunst spricht, sondern Vieles mit seinen Händen angepackt hat.  

Ich bin von Hause aus eigentlich Bildender Künstler, ich hab‘ Bildhauerei gemacht an der Akademie, hab geschweißt, Holzbildhauerei gelernt, auch Buchbinderei, also alle die Dinge, die man für eine Vermittlungsarbeit auch später gebrauchen kann.

Und heute vermittelt er: Zwischen Werk und Betrachtenden. Zwischen Theorie und Anschauung. Wer vermittelt, muss vieles kennen. Und genau wie Sebastian Baden Werkstoffe kennen gelernt hat, weiß er auch: Er kann seinen Job nur gut machen, wenn er etwas über das Christentum weiß.

Es ergeben sich eben Kennlernmomente – und besonders, wenn man für’s Staatsexamen büffeln muss, hat man die ganze christliche Ikonographie vor Augen, wie sie aus dem Frühchristentum entstanden ist. Das war faszinierend zu sehen, dass auch ohne Glaube die Notwendigkeit der Kenntnis dieses Systems von Bild, Denken und Schrift wichtig ist, um das eigene Berufsbild zu definieren.

Klar, denke ich: Grünewald, Michelangelo, Da Vinci - ein Kunsthistoriker muss sich beruflich gut mit Darstellungen biblischer und religiöser Themen auskennen.

Doch der Protestant mit pfälzischen Wurzeln ist auch persönlich offen geblieben für Religion in der Kunst. Jetzt gerade wieder: Er hat die Ausstellung zu Anselm Kiefer in Mannheim gemacht, einem der wichtigsten deutschen Gegenwartskünstler:   

Eine riesige entwurzelte Palme liegt da zum Beispiel. Kraftvoll und kraftlos zugleich. Wunderbares und Zerstörtes finden in der Handschrift des Künstlers zusammen. Ich fühle mich ausgeliefert und zugleich aufgehoben in einem Zusammenhang, der viel größer ist als ich. Worte sind zu klein dafür.

Sebastian Bastian sagt es so:
Mich hat überrascht, wie ich mich plötzlich für diese Fragestellung des Undarstellbaren begeistern kann. Das war eine Überlegung, wie sich die Kunst mit der Darstellung Gottes beschäftigt: Dass also ein Künstler wie Anselm Kiefer einen auf diese Suche von Undarstellbarkeit bringt, sowohl aus der jüdischen Perspektive wie eben auch aus der christlichen.

Das Undarstellbare – für mich ist es auch ein Name für Gott. Denn Gott ist immer größer als das, was ich weiß, kenne oder ausdrücken kann.

Das sind wirklich spirituelle Momente, die am Anfang auf mich so gewirkt haben wie etwas, das ich von mir weisen müsste, weil es zu spirituell war – und dann dachte ich: Nein! Ich lass‘ mich drauf ein und versuch‘ zu erkennen, was dahinter steckt. Und da eröffnen sich plötzlich ganz neue Momente der Welterkenntnis.

Mich drauf einlassen. Auf das, was mir fremd, rätselhaft und voller Fragen erscheint. Und dann entsteht auf diesem Weg ein „neues Verstehen“ von mir, von Gott und unserer Welt.  Für mich klingt darin auch etwas Pfingstliches an.

Teil 2: Pfingstliche Inspirationsräume

Der 40jährige macht Ausstellungen für helle, hohe und weite Räume – und die sind für ihn mehr als ein „white cube“, ein neutraler, weißer Hintergrund.

Die Kunsthalle, finde ich, das ist ein sehr spiritueller Ort, der ne Stille ausstrahlt. Das schreckt einerseits die Menschen ab, führt aber auch dazu, dass es eine respektvolle Haltung gibt. Und die bedeutet ja auch wie in der Kirche ne Art von Meditation. Und ich glaube, dieses Zur-Ruhe-Kommen, dieses Sich-Selbst-Entdecken in diesen Räumlichkeiten ist ein wichtiger Faktor.

Kirchenräume  und Museen sind einander ähnlich. Sie sind Inspirationsräume, die etwas anderes als „Alltag“ bieten. Sie können mich an meinen Ursprung zurück binden und Offenheit für Neues wecken. Es gibt aber keine exklusiven Orte für Religion und Inspiration.

Wenn ich Protestant bin zum Beispiel, dann lässt sich die Religiosität ja auch in einem anderen Ort finden, also durchaus auch in einem Museum in einem Kunstwerk. Und dann kann das Werk immer noch christlich sein, weil es einen bestimmten Inhalt transportiert, den ich aus meiner evangelischen Sozialisation heraus entdecke – und andere Menschen aber nicht.

Klar: Die eigene Prägung macht aus, welche „Antennen“ ich entwickle. Für mich ist noch mehr im Spiel. Kunst und Religion werden erst lebendig, wenn es einen Schwung, einen Überschuss von schöpferischen Kräften, ein neues Verstehen gibt. Etwas, das das Leben neu beseelt – und das wir uns nicht vornehmen können. Das heutige Pfingstfest steht genau dafür und hat viel mit den Künsten zu tun. Sebastian Baden:

Mittlerweile bin ich beruflich auf Pfingsten hin ausgerichtet, weil es damit um ein sehr konzeptuelles, spirituelles Ereignis geht: Also die Aussendung des Geistes und damit etwas, das man rein rational überhaupt nicht erklären kann. Sondern das ist etwas, was empfunden werden muss. Und diese subjektive Empfindsamkeit – die hat sehr viel mit künstlerischem Erleben zu tun.

Vom Verstehen zum Empfinden. Vom Denken zum Begeistern. Das ist der Pfingstweg – und der kann auch die Geschwister Kunst und Religion wieder zusammen bringen, die sich in der Moderne auseinander gelebt haben.

Beide sind ja Schwestern, die  sich gemeinsam entwickelt haben. Erst die Moderne hat mit der Revolution ein Schisma gebracht (wenn man so will), das die Kunst von der Religion getrennt hat. Und das hat mich auch fasziniert: Wie ist ein Graben entstanden, den man wieder schließen kann?

„Kurator“ – das ist jemand, der sich sorgt und kümmert. Der „Kümmerer“ Sebastian Baden sorgt mit seinem Wirken dafür, dass der Graben zwischen Kunst und Religion nicht tiefer wird.  Die Begegnung mit ihm macht mir neu bewusst: Überall, wo Menschen sich darum kümmern, dass Gräben zugeschüttet werden, kommt pfingstlicher Geist ins Leben.

Mehr Informationen Sebastian Baden, zur Anselm-Kiefer-Ausstellung und zur Kunsthalle Mannheim unter:
www.kuma.de

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SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

02MAI2021
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An den Sonntagen zwischen Ostern und Pfingsten wird in den katholischen Gottesdiensten immer ein Abschnitt aus der Apostelgeschichte gelesen. Das ist die Chronik der ersten Christengemeinde in Jerusalem. Da waren Menschen, die Jesus noch persönlich gekannt haben. Andere kamen dazu, die nur von ihm gehört hatten und beeindruckt waren vom Glauben und von der Ausstrahlung der Gemeinde. Ganz unterschiedliche Menschen, die erst einmal zusammenfinden mussten.

 

In dieser unübersichtlichen Situation kommt einer nach Jerusalem und versucht, ‚sich den Jüngern anzuschließen‘, wie es heißt. Als sie ihn sehen, trauen sie ihren Augen nicht.  Denn er ist kein Unbekannter. Saulus (so heißt er) war einst der Schrecken der jungen Gemeinde. Mit unglaublichem Eifer hatte er sich für den hergebrachten jüdischen Glauben eingesetzt. Und das hieß für ihn auch, diese neue Sekte mit allen Mitteln zu bekämpfen. Und der will jetzt Mitglied werden, einer von denen, die sich zu Jesus bekennen? Unvorstellbar. Aber Saulus ist es ernst. Er hatte eine Begegnung mit dem auferstandenen Christus, die seinem Leben eine ganz neue Richtung gegeben hat.

 

Kann ein Mensch sich ändern? Vielleicht sogar so sehr wie Saulus, der als Zeichen für seine innere Umkehr sogar einen neuen Namen angenommen hat: Paulus. Menschen können sich ändern, kein Zweifel. Viel spannender ist aber, ob sie sich auch ändern dürfen. Ob die, die sie kennen, da mitgehen und ihnen zugestehen, dass sie heute anders denken und handeln als früher einmal. Wenn Menschen sich anders verhalten als ich es erwarte, dann macht mich das oft unsicher und misstrauisch.

 

Für Paulus wurde das zum Problem. Doch er hatte Glück. Denn es gab in der misstrauischen Gemeinde einen einzigen, der ihm geglaubt hat, dass es ihm ernst ist. Es war Barnabas, der Paulus eine Chance gegeben hat. Ihn nicht auf das festgelegt hat, was man von ihm gewusst und erwartet hat.

 

Einen Menschen wie Barnabas, den brauche ich auch manchmal. Einen Menschen, der mir einfach vertraut, notfalls auch gegen den Augenschein. Der mir eine zweite Chance gibt und notfalls auch eine dritte. Und weil wir alle hin und wieder einen solchen Menschen brauchen, möchte auch ich das einüben. So frei werden, so vorurteilslos, so mutig. So wie Barnabas für Paulus, der damals noch Saulus hieß.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

10MRZ2021
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Wolfgang Thierse, der ehemalige Bundestagspräsident, wurde in einem Interview gefragt: Welches Erlebnis hat Sie in der Corona-Zeit am stärksten bewegt? Der Politiker musste nicht lange überlegen. Es war ein Ereignis in seiner Heimatstadt Berlin. Da hatten sich zu Pfingsten 2020 rund 3000 Menschen auf dem Landwehrkanal zu einer Schlauchboot-Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen versammelt. Natürlich ohne Abstand und Masken. Zum Abschluss feierten alle eine feucht-fröhliche Party mit lauter Musik. Bis in die Nacht hinein ging hier in Kreuzberg die Post ab. Und das genau vor einem Krankenhaus, in dem zur gleichen Zeit Ärzte und Pflegekräfte auf der Intensivstation um das Leben der schwerkranken Covid-19-Patienten kämpften. Unfassbar!

Ich denke, jeder konnte und kann in der Pandemie ähnliche Erfahrungen machen. Nein, der Mensch ist nicht einfach nur „gut“. Das wussten schon die Autoren der Bibel. Im Rahmen der Sintflutgeschichte stellt Gott resigniert fest: „Das Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend an.“(Gen 8,21) Menschen nutzen die ihnen von Gott geschenkte Freiheit leider auch zu Lasten der Freiheit anderer.

In der Coronakrise zeigt sich, wie zutreffend das jüdisch-christliche Menschenbild ist. Es gibt Männer, Frauen und Jugendliche, die sich bis zur Erschöpfung um ihre gefährdeten Mitmenschen kümmern. Großartig! Aber da sind auch Zeitgenossen, die rücksichtslos und ohne Mitgefühl nur ihren Egoismus ausleben wollen. Sie wollen sich einfach nicht in die Situation anderer hineinversetzen.

Die meisten Psychologen gehen davon aus, dass die Fähigkeit zur Empathie ab dem 4. Lebensjahr entwickelt wird. Entscheidend ist dann die Erziehung. Rücksichtnahme muss vermittelt, eingeübt und vorgelebt werden.

Die Pandemie zeigt es überdeutlich: Hilfsbereitschaft und Mitgefühl sind keine veralteten Höflichkeitsformen, sondern unverzichtbare Werte. Wenn sie nicht mehr gelebt würden, verkämen wir zu einer kalten, herzlosen Gesellschaft. Die Statistiken zeigen: Selbstverwirklichung „auf Teufel komm raus“ tötet.

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SWR2 Wort zum Tag

17JUL2020
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Was ich am Sommer besonders mag, sind die Farben. Das strahlende Himmelblau, das Grün der Wiesen und Bäume, die bunten Sommerkleider und farbenfrohen Blumensträuße. Wenn die Welt in der Sonne so bunt leuchtet, kann ich das richtig genießen.

Farben wirken auf uns. Fast jeder und jede hat eine Lieblingsfarbe – und oft, finde ich, passt die zum Charakter. Ob jemand eher zartes Gelb oder knalliges Rot mag, ist auch eine Frage des Temperaments. Meine Lieblingsfarbe ist Blau. Aber auch für mich passt Blau nicht immer und überall. Unterschiedliche Farben stehen für verschiedene Stimmungen, wecken unterschiedliche Gefühle.

Nicht umsonst ist auch in der Kirche das Jahr in Farben eingeteilt, die sich in Altarbehängen, Stolen und teilweise auch Gewändern wiederfinden. Ein tiefes Violett im Advent und in der Fastenzeit vor Ostern regt zum Nachdenken an über sich und die Welt. Grün begleitet einen durch den Sommer und erinnert an die Schönheit der Schöpfung. Die Signalfarbe Rot sieht man an Pfingsten und an Festen wie Kirchweih oder der Konfirmation – Rot steht für die Kirche und damit für die Verbundenheit mit Menschen in aller Welt und durch alle Zeit. Nur am Karfreitag, dem Todestag Jesu, verschwindet alle Farbe.

Ich finde, es tut gut, diesen Wechsel der Farben und Stimmungen über das Jahr nachzuvollziehen – auch wenn er nicht immer identisch ist mit der eigenen Gefühlslage. Denn ich habe den Eindruck: Nur wer sich Zeit nimmt zum Nachdenken, auch zum Traurigsein, kann wann anders wieder aufleben und sich unbeschwert freuen.

An den Festen, die mit Jesus zu tun haben, an Weihnachten, Ostern, Himmelfahrt, ist in der Kirche alles in Weiß gehalten. Die Farbe Jesu ist Weiß – die Farbe, die sich aus allen anderen, aus dem gesamten Farbspektrum, zusammensetzt. Mir gefällt der Gedanke: Bei Jesus, bei Gott, sind alle unterschiedlichen Farbtöne unserer Gefühle und Stimmungen aufgehoben. Und auch die bunte Vielfalt unserer Persönlichkeiten und Charakterzüge. Nur zusammen genommen strahlen sie hell.

Vielleicht kann man auch sagen: Gottes Farbe ist bunt. Mit dieser Idee durch die Sommerwelt zu gehen, die farbenfrohe Natur zu betrachten und die bunte Mischung an Menschen zu sehen, die mir begegnen – mir macht das Freude. Und auch wenn meine Stimmung gerade dunkler gefärbt ist, finde ich den Gedanken tröstlich: Auch dieser Farbton gehört bei Gott dazu.

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SWR1 3vor8

01JUN2020
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Ich reibe mir verwundert die Augen und bin erstmal verwirrt. So könnte es manchem gehen, der heute am katholischen Gottesdienst teilnimmt. Dort wird ein Abschnitt aus dem Johannesevangelium gelesen. Und zwar aus den sogenannten Abschiedsreden. Jesus bereitet seine Jünger auf die „Zeit danach“ vor. Ohne ihn an ihrer Seite. Und der Evangelist Johannes legt Jesus dazu eine kunstvoll komponierte Rede in den Mund. Hauptthema: Was bleibt, wenn ich einmal nicht mehr bei euch sein werde. Die Antwort: Der Geist der Wahrheit. Über diesen Geist philosophiert Jesus hin und her. Aber so verwirrend und geheimnisvoll, dass mir hinterher der Kopf schwirrt. Das hört sich so an:

Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit leiten.
Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird reden, was er hört,und euch verkünden, was kommen wird. Er wird mich verherrlichen; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden.

Und nun? Was ist nun dieser Geist? Und wo ist die Wahrheit dabei? Von der Wahrheit zu sprechen, ist immer eine vertrackte Angelegenheit. Viele nehmen sie für sich in Anspruch und sprechen sie anderen ab, gerade in religiösen Dingen. Aber wer könnte schon von sich behaupten, sie vollkommen zu haben - ohne Irrtum, ohne Fehler? Kein Mensch kann das. Kein Wissenschaftler. Keine Institution. Auch die Kirche nicht. Nur Gott. Weil er alles in allem ist. Der Absolute. Das höchste Gute. Die Wahrheit in Person.

Wer die Wahrheit finden will, muss Gott ergründen. Mit all seiner Vernunft, mit ganzer Kraft. Wer mit Gott nicht rechnet, kann auch die Wahrheit nicht finden. Wer davon ausgeht, dass es Gott gibt, muss ihn bei jeder Frage einkalkulieren. Und unentwegt prüfen: Kann das, was ich für wahr halte, mit dem zusammenpassen, wie Gott sich die Welt gedacht hat. Das ist - zugegebenermaßen - noch immer sehr vage. Es braucht nach wie vor die Verständigung mit anderen, den Austausch. Um die Wahrheit muss auch gerungen werden, wenn man Gott mit ins Spiel bringt. Johannes wird nur in einem Punkt genauer. Der göttliche Wahrheitsgeist wird Jesus verherrlichen, sagt er. Für mich heißt das: Die Wahrheit finde ich, wenn ich mich an Jesus orientiere: wie er gelebt hat, was ihm wichtig war, dass er geliebt hat bis in den Tod.

Die Wahrheit in (der) Liebe. Das ist eine schöne Formel - für Pfingsten, finde ich.

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SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

01JUN2020
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Gottes guten, heiligen Geist feiert die Christenheit an Pfingsten.

Aber was macht ihn denn aus? Wie kann man ihn fassen und begreifen? Das Johannes-Evangelium (15) sieht in ihm vor allem den „Geist der Wahrheit“ – als solcher spielt er heute im Feiertags-Evangelium der Kirche die erste Geige. 

Um diesen „Geist der Wahrheit“ zu flehen, haben wir gegenwärtig allen Grund. „Fake News“ jagen um den Erdball und verbreiten Angst und Schrecken. Corona, das tödliche Virus sei reine Erfindung, behaupten die einen. Die  Verschwörungstheoretiker lieben es eher dramatisch: Sie verkünden lauthals, dieser Winzling von Virus sei – von wem auch immer – künstlich gezüchtet und gezielt auf die Menschheit losgelassen worden, um eine Welt-Diktatur zu errichten. Wieder andere sehen Freiheit und Grundrechte in Gefahr, und alle, alle treffen sich gemeinsam bei Kundgebungen und Protesten. Ein gefundenes Fressen für Antisemiten, Rassisten, Neo-Nazis und Rechtspopulisten. Wer zu einer solchen Demo geht, sollte tunlichst schauen, neben wem er da zu stehen kommt. 

Der „Geist der Wahrheit“ macht mir Mut, der Wahrheit nachzujagen. Das bedeutet, alle Nachrichten kritisch zu prüfen, um Spinnern nicht auf den Leim zu gehen und Lügner zu entlarven. Wer zum Beispiel eine seriöse Tageszeitung liest, fällt nicht so leicht auf eine Falschmeldung oder ein Gerücht im Internet herein. In aller Regel liefert die Presse, oft als „Lügenpresse“ diffamiert, eine gründliche Recherche. Außerdem wird eine Meinung angeboten, die zur Auseinandersetzung reizt. Denn jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber kein Recht auf eigene Fakten! Zur Wahrheitsfindung empfiehlt es sich auch, andere miteinbeziehen, Personen des eigenen Vertrauens, Menschen mit Sachverstand. 

Kein Zweifel: Der „Geist der Wahrheit“ kostet einige Mühe. Aber sie ist es wert. Denn nur „die Wahrheit wird euch freimachen“,verheißt Jesus imJohannes-Evangelium (8,32). Sie bewahrt vor Irrtum, macht frei von Angst und verjagt die Gespenster.   

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SWR3 Gedanken

01JUN2020
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An Pfingsten, so sagt man, ist der Geburtstag der Kirche. Und die Hauptaufgabe der Kirche ist, von der Vergebung zu sprechen - immer wieder. Denn: Menschen tun sich ja nun mal gegenseitig weh.

Männer tun Frauen weh und Frauen tun Männern weh. Kinder tun ihren Eltern weh und Eltern ihren Kindern. Alle tun wir uns gegenseitig weh. Körperliche oder seelische Schmerzen entstehen auf vielfältige Weise. Schlussendlich, glaube ich, kommen wir aus der Nummer nicht raus und am Ende bleibt die Frage: Wie gehen wir denn damit um, dass wir schuldig geworden sind?

Wer ein Gewissen hat und ein Gespür für solche Verletzungen, der bittet um Entschuldigung. Ich kenne das selbst zu gut. „Ich bin gerade total fertig, in der Arbeit läuft es nicht so gut, wie ich will und dann kommst du auch noch!“ So rede ich mich manchmal raus. Aber es nützt nichts. Ich muss um Verzeihung bitten „Nein, du bist nicht schuld an meinem Stress. Es war falsch was ich gesagt habe, bitte entschuldige, es tut mir leid!“

In den allermeisten Fällen ist es nach so einem Bekenntnis auch wieder gut und die Sache schnell vergessen. Es gibt aber auch andere Verletzungen, die nicht so einfach vergessen sind, die nicht so einfach heilen und die lange, lange weh tun. Da kann man lange um Verzeihung bitten, das wird einfach nicht besser.

Und trotzdem steht in der Bibel: „Vergebt einander, wie auch Christus euch vergeben hat“. Gott also vergibt uns. Und deshalb sollen wir es auch versuchen.

Auch wenn es uns schwer fällt zu vergeben auch wenn es wirklich nicht geht- der Andere soll das Recht für eine zweite Chance bekommen. Als Christ glaube ich daran, dass wir vor allem dann getrost und befreit miteinander leben können wenn wir vergeben und Vergebung erfahren. Deshalb erzählen wir in der Kirche immer wieder von der Vergebung. Und deshalb ist mir die Kirche so wertvoll. Weil wir dort nicht aufhören, von Vergebung zu reden. Auch wenn wir selber das manchmal kaum schaffen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

30MAI2020
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Ich weiß nicht, an welchen Himmel er geglaubt hat. „Wer weiß das schon, was danach kommt“, hat er gesagt, in seiner bodenständigen Art. Wahrscheinlich hat er an einen Himmel voller Cellos geglaubt. Richtiger Celli, mit Latein hat er es immer genau genommen- zum Leidwesen von uns Kindern: mein Vater.

Die lichten blonden Locken ungekämmt, die Zungenspitze zwischen den Lippen, ganz in die Noten vor ihm vertieft spielt er Cellosuiten von Johann Sebastian Bach. Wenn ich heute auch nur wenige Töne daraus höre, sehe ich ihn vor mir. Wie er eintaucht in diese Musik, in „seinen Bach“. Genauso wie in seine geliebten, kalten Seen.

Ich weiß, woran er geglaubt hat in seinem Leben. Dass der Himmel nicht voller Abgase, das Wasser nicht verdreckt und die Felder nicht überdüngt sein dürfen. Er war ein Grüner, noch bevor es das Wort und die Partei gab. Er hätte aufgeatmet mit der Erde über die willkommene Auszeit in diesen Monaten. Hätte sich gefreut mit den Kindern in Wuhan, die zum ersten Mal den Himmel klar sehen konnten und nicht rußverhangen.

Er hat daran geglaubt, dass die Bäume, die er gepflanzt hat vor seiner Kirche ihn noch lange überleben sollten. Er hat sie abendelang gegossen. Selbst die Bäume am Straßenrand, gleich beim Acker, wo er mit den Bauern gesprochen hat. „Weißt du“ hat er mir als Kind erzählt „ich bin Bauer geblieben, wie meine Vorfahren, auch wenn ich Pfarrer geworden bin“. Sein Gottesdienst war, am Boden zu bleiben.

Warum ich das erzähle? Weil ich ihn vermisse. Und weil Himmelfahrt noch nicht lange her ist. Vatertag. Lange vor Bier- und Bollerwagenfahrten fährt Jesus zu seinem himmlischen Vater auf. Ein wunderbares Bild. Außerdem feiern wir morgen Pfingsten. Den Heiligen Geist, der von oben kommt, vom „Vater unser im Himmel“, wie wir beten. Gell, Papa, möchte ich sagen. Und blinzle zu den Wolken. „Wer weiß das schon so genau mit dem Himmel“, höre ich ihn lachen. Und dann - ganz leise ein paar Cellotöne.

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SWR3 Gedanken

30MAI2020
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Ganz schön ausgepumpt stehe ich auf dem Berggipfel. Die Tour war hart, aber schön. Ich bin ganz allein hier oben. Und jetzt rüttelt ein richtig starker Wind an meiner Kapuze. Die Aussicht und der Wind und dass ich es geschafft habe, das alles bewegt mich. Ich fühle mich frei und habe das Gefühl, hier oben werden die Sorgen kleiner und die Lust aufs Leben größer. 

Solche Momente haben für mich etwas mit dem Heiligen Geist zu tun. Ich bin überzeugt davon, dass der nicht nur irgendwas Altes aus der Bibel ist, sondern dass er auch heute noch da ist und manchmal mitmischt.

Damals an Pfingsten hat er wie eine Extraportion Überzeugungskraft gewirkt. Und die hat es auch gebraucht. Denn zunächst sitzen die Freundinnen und Freunde von Jesus völlig verängstigt in ihrem Hauptquartier. Ihre große Zeit scheint vorüber seit Jesus nicht mehr da ist. Und da jagt auf einmal ein heftiger Sturm durchs Haus und reißt sie von den Stühlen. Es heißt, „sie werden vom Heiligen Geist erfüllt“. Sie rennen nach draußen in die Straßen von Jerusalem und fangen an, begeistert von Jesus zu erzählen. 

Geister sind ja zeitlos. Warum nicht auch der Heilige Geist. Ich meine ihn zu spüren, wenn ich inspiriert werde zu einem neuen Projekt, wenn ich tolle Ideen dazu habe und mich voll reinstürze, die Zeit und alles um mich herum total vergesse. Oder wenn ich über etwas staunen kann oder mich freue wie Bolle, z.B. wenn mein kleiner Sohn die ersten Meter alleine auf dem Fahrrad fährt und ich gar nicht mehr weiß wohin mit meiner Gänsehaut. 

Das Pfingstereignis aus der Bibel ist schon lange her, aber manchmal kann ich nachvollziehen, wie das damals für die Jünger gewesen sein muss. Und dann weiß ich, der wirkt auch heute noch.

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SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

24MAI2020
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Die Fürbittbuch, das in unserer Kirche am Eingang liegt ist fast bis zur letzten Seite beschriftet. Mit Gebeten, Sorgen und Anliegen. Gerne blättere und lese ich darin und staune was Menschen so alles beschäftigt, wenn sie alleine hier in der Kirche sind. Kinder schreiben da etwas auf. Mit Großbuchstaben und Schreibfehlern. Erwachsene setzen gerne unter ihr Gebet noch ihre Unterschrift und das Datum. Und was alte Menschen geschrieben haben, erkennt man an der zittrigen Schrift.

Da lese ich von der bevorstehenden Operation und dass hoffentlich alles gut geht. Da wird gebetet für Flüchtlinge und Hungernde. Liebe Menschen, die gestorben sind, werden genannt und von der Trauer um sie wird erzählt. Auch den Kummer vor der bevorstehenden Klassenarbeit kann ich darin finden. All die Sorgen in den Corona Krisenzeiten werden dem Buch anvertraut. Und einer erzählt von seiner Freundin und der Hoffnung, dass sie doch endlich ja zu ihm sagt. Beten. Das pralle Leben kommt in dem Buch zur Sprache.

Heute wird im Katholischen Gottesdienst ein Text aus der Apostelgeschichte vorgelesen. Auch dort wird gebetet. Es ist die Zeit nach Ostern. In einem „Obergemach“ heißt es da versammeln sich Frauen und Männer zum Gebet. Jüngerinnen und Jünger von Jesus. Seine Mutter Maria. Und seine Brüder. Damals war das „Obergemach“ ein Ort im Haus, in dem Menschen zusammenkamen um in der Bibel zu lesen, darüber nachzudenken und zu beten. Dieses Obergemach ist jetzt ein Ort an dem ihnen bewusst wird wie sehr ihr Freund Jesus fehlt. Denn auch der war in solch einem Obergemach zum letzten Mal mit seinen Freunden zusammengekommen. Damals, am Abend vor seinem Tod. Zum Mahl. Wie soll jetzt alles weitergehen? Ohne ihn. Was haben sie durchmachen müssen seit seinem Tod. Am Karfreitag schien die Sache Jesu gelaufen, ja buchstäblich begraben worden zu sein. Unverhofft dann der Ostermorgen. Das leere Grab und die Nähe zu ihm, die manche spürten. So ganz anders wie noch zu seinen Lebzeiten. Sie brauchen ihn so sehr.

Auch das Fürbittbuch in unserer Kirche ist voll davon. Von Ängsten und Sorgen. Von Ausweglosigkeiten. Von großem und kleinem Kummer. Und immer vom Ruf nach Gott, er möge doch eingreifen hier unten auf der Erde und die Not wenden. 

Teil 2 

Um das Beten und wozu es gut sein kann, darum geht es heute Morgen in den Sonntagsgedanken. 

Gleich zu Beginn der Apostelgeschichte berichtet der Verfasser wie die engsten Vertrauten von Jesus nach seinem Tod zum Beten zusammenkommen.

„Sie alle verharrten einmütig im Gebet“, heißt es da. Das alte Wort verharren meint so viel wie durchhalten,oder aushalten. Wer im Gebet verharrt gibt in entmutigenden Momenten nicht gleich auf. Doch das ist leicht dahingesagt. Was habe ich schon gebetet, sagen wir auch. Und es hat nichts genützt. Immer hoffen wir, dass unsere Bitten durch inständiges Beten erfüllt werden. Wir meinen: Gott wird schon eingreifen und alles zum Guten führen. Wie oft hatten wir schon gehofft, dass da Hilfe kommt. Was habe ich schon gebetet. Und es hat nichts genützt.

Die Sprache der Gebete ist die am weitesten verbreitete Sprache der Menschen. Es ist eine Sprache, die keine Sprachverbote kennt. Sie verurteilt Gott nicht zur Antwort. Denn Gott bleibt unergründlich. Unverfügbar. Mein Beten kann Gott nicht zum Handeln zwingen. Gott lässt Fragen offen. Bleibt mir Antworten schuldig. Das lehrt uns die Geschichte. Das zeigen all die unerhörten Gebete. Auch die im Fürbittbuch unserer Kirche. Das zu respektieren ist bitter. Aber warum dann noch mein Danken und Beten. Mein Loben, Klagen, Fragen, Fordern und Protestieren im Gebet.

Die Theologin und Dichterin Dorothee Sölle hat einmal geschrieben:

Beten heißt, große Wünsche haben:

Die großen Wünsche nach Gerechtigkeit,

nach dem Sieg über das Unrecht,

nach einem menschenwürdigen Leben,

die hat man nicht einfach so,

die muss man lernen.

Beten ist Revolte.

Wer betet sagt nicht: So ist es und Amen!

Er sagt: So ist es! Und das und das soll geändert werden.

Beten ist eine intensive Vorbereitung auf das Leben.

Wer betet resigniert nicht angesichts der Zustände dieser Welt und gibt nicht die eigene Verantwortung an Gott ab. Im Gebet verharren. Einmütig. Im Obergemach. Damals bei den treuen Weggefährtinnen und Weggefährten Jesu, die jetzt ohne ihn auskommen mussten, geschah das Unerwartete. Pfingsten stand vor der Tür. Gottes Geist kam dazwischen. Eröffnete ihnen Perspektiven, für die sie zuvor blind waren und führte sie heraus aus Lethargie, Angst und Trauer.

Sie erinnerten sich an Jesu Worte. Er hatte gerade nicht zu allem so ist esund Amengesagt. Sie erkannten, dass sie selber Verantwortung für die Mitmenschen und eine gerechte Welt haben. Sie schritten zusammen zur Tat, weil sie, wie Dorothee Sölle meint, große Wünsche hatten. Ihr Gebet wurde zur Revolte.

Beten im Obergemach. Kein Rückzug. Sondern intensive Vorbereitung auf das Leben. Mit ganz viel Verantwortung. Und ganz viel Vertrauen auf seine Nähe.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30957
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