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SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

19MAI2024
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„Lieber Gott, mach‘ mich fromm, dass ich in den Himmel komm‘.“ Über viele Generationen haben Menschen dieses Kindergebet von ihren Eltern gelernt – und dann später auch mit ihren eigenen Kindern gesprochen. Das hat Wirkung gezeigt: In den Himmel kommen – für viele gilt das heute als das eine und entscheidende Ziel des christlichen Glaubens. Unabhängig davon, ob sie persönlich etwas damit anfangen können oder nicht.

In den Himmel kommen – das scheint eine gute und erstrebenswerte Sache zu sein. Andererseits: Wenn ich so darüber nachdenke, hat die Vorstellung auch ihre Schattenseiten, finde ich.

Der Himmel ist arg weit weg, wenn ich so über ihn spreche. Irgendwo hinter den fernen Wolken. Und in aller Regel wartet er erst nach dem Tod. Was ist dann mit dem Leben? Hat das gar keinen Wert? Muss ich es womöglich irgendwie aushalten und überstehen?

Oder muss ich die Zeit nutzen, um „fromm“ zu werden, – damit es auch klappt mit dem Himmel? „Fromm“ sein – für mich klingt das sehr steif. Und nach Bedingungen, die zu erfüllen sind. Muss ich vorbildlich leben? Dauernd beten? Und daran entscheidet sich, ob es reicht für den Himmel? Wer bleibt draußen? Da kann es schnell moralisch werden und eng.

In den Himmel kommen. Davon spricht auch die Bibel. Aber vorher dreht sie die Sache genau um. Es gibt biblische Texte, die erzählen, wie der Himmel zu uns Menschen kommt.

Eine besonders bekannte Geschichte ist die von Weihnachten. Da wird Gott als Mensch geboren, liegt als Jesuskind in einer Futterkrippe. Auf der Erde, in Bethlehem, zu Beginn unserer Zeitrechnung. Als Erwachsener begegnet Jesus Menschen so, dass sie merken: Gottes Liebe ist da und trägt mich. Und später schickt Gott seine heilige Kraft auf die Erde, den Heiligen Geist. Wieder kommt der Himmel auf die Erde. Das feiern wir jetzt an Pfingsten.

Wenn der Himmel zu uns kommt, – dann kann ich das schon zu Lebzeiten spüren. Und – dann kann ich gar nicht so richtig außen vor sein. Egal, ob ich nun besonders fromm bin oder nicht: Irgendwie bin ich Teil davon. Und kein Mensch kann mehr entscheiden, dass einzelne Leute draußen bleiben müssen.

Der Himmel kommt zu uns. Ich finde das viel verheißungsvoller. Und meinen Kindern möchte ich vor allem das weitergeben.

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SWR3 Worte

10OKT2023
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Wer anderen helfen will zu hoffen, muss selbst hoffnungsvoll sein. Davon ist der Arzt Bernd Deininger überzeugt. Sein Rat lautet deshalb:

 Wenn Ihnen ein (Kranker oder) Sterbender sagt, „Ich weiß gar nicht mehr, worauf ich mich noch freuen soll", dann dürfen Sie das als Steilvorlage nehmen, um ihm zu sagen: „Ich kann mir vorstellen, dass es für dich schwer ist, aber ich freue mich, dass ich bei dir sein kann.“

Das eröffnet ihm die Möglichkeit zu antworten: „Schön, dass du da bist." Oder: „Ich freue mich, wenn du morgen wiederkommst." So versinken Sie nicht mit ihm in Verzweiflung, sondern lassen den Kranken teilhaben an Ihrer Zuversicht.

Quelle: Bernd Deininger und Anselm Grün, Was gibt Hoffnung? Online aufgerufen unter: https://www.zeit.de/2023/22/pfingsten-hoffnung-glaube-seelsorge (letzter Zugriff: 31.08.2023)

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SWR3 Worte

28MAI2023
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Heute, an Pfingsten feiern wir Christen, dass Gottes Geist uns Kraft und Mut gibt– und zwar für unser Leben hier und jetzt. Und dass es mehr Mut braucht in der Welt, hat wohl auch der Autor und Dichter Max Frisch gedacht als er schrieb:

(…) Immer öfter wundert es mich, warum wir nicht einfach aufbrechen – wohin?
Es genügte, wenn man den Mut hätte, jene Art von Hoffnung abzuwerfen, die nur Aufschub bedeutet, (…) die verfängliche Hoffnung auf den Feierabend und das Wochenende, die lebenslängliche Hoffnung auf das nächste Mal, auf das Jenseits – es genügte, den Hunderttausend versklavter Seelen, die jetzt an ihren Pültchen hocken, diese Art von Hoffnung auszublasen: Groß wäre das Entsetzen, groß und wirklich die Verwandlung.

Max Frisch, Tagebuch 1946-1949

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

24MAI2023
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Am Wochenende feiern wir Pfingsten. Gott schüttet sich in seinem Geist hinein in die Welt. Und gerade im Frühling scheint dieser Geist allgegenwärtig.

Und sooft ich kann, gehe ich jetzt eine Runde durch den Wald. Hier wird mein Herz weit, ich atme mit jeder Faser meines Körpers das Neue ein. Alle Sinne sind offen. Meine Augen sehen das frische Grün, das niemals so zart und wunderschön ist wie gerade im Mai. Meine Ohren hören das Zwitschern der Vögel, die vom Leben singen. Ich rieche den Flieder und bin wie betrunken von diesem Duft. Ich laufe durch den Wald und staune. Jedes Frühjahr neu, als sähe ich es zum ersten Mal. Und mein Herz ist voll und mein Mund singt eines meiner Lieblingsmailieder: Wie lieblich ist der Maien aus lauter Gottes Güt. Des sich die Menschen freuen, weil alles grünt und blüht. Und ich höre genau hin und ich weiß: Das Leben ist ein Geschenk. Und die Schöpfung in der ich lebe auch. Und gerade im Frühling habe ich den Eindruck, dass die ganze Schöpfung mitstaunt, dass sie lebt und wächst, grünt und blüht.

Doch all das Grün und das pralle Leben können nicht darüber hinwegtäuschen, wie bedroht die Schöpfung ist. Mir wird das wieder mal besonders deutlich, als ich in einer Ausstellung die Bilder eines Fotografen sehe. Er hat auf seinen Wanderungen durch den Pfälzer Wald die Folgen des Klimawandels eingefangen, vertrocknete Erde, abgestorbene Bäume, überflutete Städte. Und aus dem Staunen über die Schönheit der Schöpfung wird ein Seufzen, ein Schmerz über die Zerstörung.

Wenn ich auch in Zukunft noch durch Gottes Schöpfung laufen, staunen, loben und singen will, braucht es neben Gottes Geist auch meinen persönlichen Einsatz. Es ist nicht egal, wie ich lebe. Und jeden Tag neu kann ich mich entscheiden aus dem Staunen etwas wachsen zu lassen.

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SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

21MAI2023
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Die Bibel ist manchmal wirklich witzig. Im ersten Teil, dem Ersten Testament wird unter anderem die Lebensgeschichte eines Propheten namens Samuel erzählt. Seine Geschichte mit Gott fängt mit viel Situationskomik an.

Samuel wächst im Tempel bei seinem Lehrmeister auf; der heißt Eli. Beide schlafen und Samuel hört eine Stimme: „Samuel!“ Und Samuel geht zu Eli und sagt: Da bin ich. Eli antwortet: ich hab Dich nicht gerufen, geh schlafen.“ Samuel legt sich hin und hört eine Stimme: „Samuel!“ Und Samuel geht wieder zu Eli und sagt: Da bin ich. Und Eli antwortet: ich hab Dich nicht gerufen, geh schlafen.“ Und Samuel hört zum dritten Mal eine Stimme: „Samuel!“ Und Samuel geht nochmal zu Eli und sagt: Da bin ich. Und jetzt versteht Eli: Gott ruft Samuel. Und beim vierten Mal Rufen sagt Samuel wieder „Da bin ich.“ Aber er sagt es nicht zu Eli, sondern zu seinem Gott.

Wenn ich mir diese Szene vorstelle, finde ich sie schon humorvoll Gott ruft und Samuel geht ins Schlafgemach seines Lehrmeisters.  Ich stelle mir vor, wie Eli völlig verschlafen in seinen Bart nuschelt: „Ich hab Dich nicht gerufen!“ Samuel macht auf dem Absatz kehrt, zuckt die Schultern, fragt sich nicht weiter, was eigentlich los ist. Und das macht die Komik dieser Szene perfekt: Gottes oberster Priester und sein  Schüler verpassen Gott; und zwar gleich dreimal.

Normalerweise sagen Menschen zu mir: Wissen Sie, Herr Pfarrer: Ich warte auf ein Zeichen von Gott. In dieser Geschichte ist es humorvoll andersherum: Hier wartet Gott auf eine Reaktion von den Menschen. Versetzen Sie sich mal gedanklich in Gottes Position. Sie schweben über den Dingen und sehen Samuel. Sie rufen unsichtbar seinen Namen. Und Samuel? Der marschiert schnurstracks zu Eli ins Zimmer. Kein Blick nach oben – er schaut stur geradeaus – mit Gott rechnet er gar nicht. Dann sehen Sie Eli! Ah, gut, der kennt Sie, er ist ja verantwortlich für den Tempel. Und was macht der? Schickt seinen Schüler wieder ins Bett und kommt ebenfalls nicht auf die Idee, dass Gott seine Finger im Spiel haben könnte. Sie als Gott würden sich wahrscheinlich am Kopf kratzen.

Ich weiß, es ist eigentlich unmöglich sich vorzustellen wie es wäre, Gott höchstpersönlich zu sein.  Aber hier finde ich es wirklich mal einen Augenöffner. Gott wartet auf die Menschen. Das ist mal wirklich eine Entdeckung. Ich höre oft – gerade auch von Teenagern – Gott überzeuge sie nicht. Der tut nix, sagen sie. Diese Geschichte zeigt mir: Aus Gottes Perspektive ist das andersrum auch so. Menschen überzeugen nicht. Sie tun nix.

Streng genommen tut Samuel natürlich nicht nichts. Er hört ja durchaus eine Stimme. Sonst würde er nicht zu seinem Lehrer gehen. Aber er orientiert sich eben nicht hin zu Gott, sondern bleibt ganz auf der Erde. Und auch der Priester Eli, der quasi mit Gott unter einem Dach wohnt, geht nicht davon aus, dass Gott ihn ruft.

Mir macht die Geschichte von Gott, der ruft und ruft, Hoffnung. Ich will gar nicht alle Krisen aufzählen, in denen wir leben. Aber manchmal – und das ist nicht mehr humorvoll – kommt mir die Welt vor als wäre sie voller Samuels und Elis. Gott ruft: Lasst die Kriege sein, lasst das Austrocknen von Flüssen sein, lasst Euren Müll sein! Und wir Menschen hören das auch irgendwie, aber irgendeiner sagt dann schon halb verschlafen: Ich hab Dich nicht gerufen, leg Dich wieder hin!

Hoffnung wächst für mich aus der Tatsache, dass Gott bei Samuel und Eli nicht locker lässt und es am Ende klappt. Dass Samuel sagt: Da bin ich! Wie schön wäre das, wenn das auch in unserer Zeit so wäre. Dass mal alle Menschen sagen: Da bin ich, Gott! Ich habe Dich gehört. Jetzt geht’s in Deinem Sinne weiter. Keine Kriege, ressourcenschonender Umgang mit der Schöpfung, ein achtsamer Umgang miteinander, weil wir Menschen gelernt haben, wirklich hinzuhören.

Das finden Sie unrealistisch? Das mag schon sein. Aber heute – am Sonntag zwischen Himmelfahrt und Pfingsten – darf ich träumen und darauf warten, dass mein Traum Realität wird. Denn heute ist der Wartesonntag. Eli und Samuel warten im Tempel auf Gott. Gott wartet aber auch auf Eli und Samuel. Ich warte auf Gottes Nähe und Gott wartet auf meine Nähe. Er wartet auf jeden einzelnen Menschen – auf Sie, auf Dich und auf mich – und lässt dabei nicht locker.

Dass Gott wartet, halte ich jedenfalls nicht für unrealistisch. Und das macht für mich das Träumen am Wartesonntag auch so hoffnungsfroh. Weil es eines Tages so sein wird, dass es die ganze Welt wie Samuel macht; nach oben schaut und ruft: „Da bin ich!“

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche!

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SWR3 Worte

17MAI2023
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Die Zahl der Flüchtenden über das Mittelmeer steigt. Ende April sank vor der Küste Libyens erneut ein Boot - mindestens 55 Migranten starben. Mitglieder des Seenotrettungsdienstes „United4Rescue“ haben solche Situationen miterlebt. In einem Gottesdienst beten sie:

„Du, Gott des Lebens. Wir bitten Dich für alle, die aus Verzweiflung ihre Heimat verlassen. […] […]
Du siehst […] die Menschen in den Booten, […] ihr Schreien, […] ihr vergebliches Hoffen.
Du siehst ihre Familien […] und Freunde, die voll von Schmerz und Trauer sind. Die weiterleben und nicht wissen, wie ihr Herz den Verlust ertragen soll.
Du siehst die Menschen, die […] helfen. […] Die nicht aufhören werden, solidarisch zu sein, solange Menschen ihre Suche nach Schutz mit dem Leben bezahlen müssen. […]
Du siehst auch uns. Lass unser Gewissen nicht ruhig werden.
Schenke uns Hoffnung und Tatkraft zu helfen. […] Amen.

Autor*innen: Annika Schlingheider, Birgit Mattausch, Dietlind Jochims, Bärbel Greiler-Unrath, Thorsten Leißer, Fürbitten, in: United4Rescue (Hg.): Pfingsten/Weltflüchtlingstag. Liturgische Bausteine zu Seenotrettung & Flüchtlingsschutz

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SWR2 Wort zum Tag

16DEZ2022
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Wichtige Ereignisse im Leben brauchen eine Vorlaufzeit. Es gibt Menschen, die sich auf den ersten Blick verlieben. Doch heiraten werden auch sie in der Regel nicht von einem Tag auf den anderen. Und das ist gut so!

Ich meine, Vorlaufzeiten gehören zum Leben. Wir springen nicht als fertige Wesen unseren Eltern aus dem Kopf wie einst die Göttin Athene dem Göttervater Zeus. Wir Menschen brauchen eine, wir brauchen unsere Weile! 9 Monate haben Mütter Zeit, um sich auf die Geburt ihres Kindes und die Kinder, sich im Bauch ihrer Mütter auf das Leben vorzubereiten. Auch die großen Kirchenfeste haben eine Vorlaufzeit: Sieben Wochen vor Ostern, eine Woche vor Pfingsten und immerhin vier Wochen vor Weihnachten. Vorlaufzeiten sind spannend, weil sie Zeit lassen, sich mit großen Dingen auseinanderzusetzen. Sie sind zugleich abgründig und ambivalent sind. Da kommt in der Verlobungszeit schon einmal die Frage auf, ob der andere tatsächlich der Richtige ist, da fragen sich Eltern, ob sie den Anforderungen eines kleinen Kindes tatsächlich gewachsen sind. Da ist ganz viel Liebe und zugleich die Angst davor, nicht genug lieben zu können - oder auch nicht genug geliebt zu werden. Und so liegen in diesen Zeiten himmelhoch jauchzende Begeisterung und unruhige Bangigkeit manchmal ganz nahe beieinander. Folgerichtig sind auch die Lieder der Adventszeit nicht durchgehend fröhlich, viele dunkle Töne, viele Fragen klingen mit. „Wie soll ich dich empfangen?“ fragt Paul Gerhard in einem Adventslied, und das klingt verzagt und zärtlich zugleich, sehnsuchtsvoll und zögernd. Auch das Wort „empfangen“ ist so vielschichtig, kann die Begrüßung eines Königs genauso meinen wie die Zeugung eines Kindes und den Liebesakt. Die Adventszeit schenkt Raum für das Nachdenken über diese großen Fragen, gestaltet mit ihren Ritualen den Weg zum Fest und die Wartezeit.

Sicher, manchmal würde ich diesen Prozess auch am liebsten abkürzen, so wie ein Kind, das heimlich in die Keksdose greift. Erwachsen geworden weiß ich, dass ich Zeit brauche, dass ich mir die ganze Freude am Fest nehmen kann, wenn ich nicht auch die Höhen und Tiefen durchhalte, die zur Vorbereitung dazugehören.

Am Ende des Wartens geschieht die Geburt, ereignet sich das Fest. Und ich merke dann, rückblickend, dass ich meine Zeit gebraucht habe, um dann mit ganzem Herzen mitfeiern zu können.

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SWR2 Wort zum Tag

18OKT2022
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Kürzlich hat er seinen 80. Geburtstag gefeiert. Der Regisseur Werner Herzog. Schon als Student hat mich sein Film über Kaspar Hauser begeistert. Mit dem rätselhaften Titel „Jeder für sich und Gott gegen alle“.

Auch seine Dschungelfilme, wo einmal mitten im Dschungel ein Flussdampfer einen Berg hinaufgezogen wird. Visionäre, außerordentliche Momente, die Herzog in seinen Filmen festgehalten hat.

„Das geht nur“, sagt der Regisseur heute, „wenn Sie eine ganz klare Vision haben. Und das, was man im Katholizismus die Heilsgewissheit nennt. Fast wie eine gewisse religiöse Gewissheit.“

Was er von seinen Dreharbeiten im Dschungel mitgebracht hat, bezeichnet Herzog als „ekstatische Wahrheit“. Fakten seien wichtig, aber eben nicht alles. „Sonst müsste man“, sagt er, „das Telefonbuch von Manhattan als das Buch der Bücher bezeichnen, weil es ein paar Millionen faktisch völlig korrekte Einträge enthält.“

Ich glaube, von ekstatischen Wahrheiten, solchen, die die Alltagserfahrung sprengen, lebt auch der Glaube. Wenn er nicht blutleeres Gedankenspiel sein soll.

In der Bibel gibt es viele Geschichten, die ekstatische Erfahrungen schildern. Etwa die Bekehrungsgeschichte des Paulus vor Damaskus. Wo Paulus von einer plötzlichen Lichterscheinung zu Boden gestreckt wird. Und sein Leben eine neue Wendung bekommt.

Oder das rauschhafte Ereignis zu Pfingsten in Jerusalem, bei dem sich fremde Menschen als große Gemeinschaft erleben.

Natürlich sind solche Erlebnisse ambivalent. Sie können missbraucht werden. Andererseits sind sie die Glut unter der Asche, die einen erschlafften und ausgelaugten Glauben neu belebt.

Nicht immer muss es dabei so dramatisch zugehen wie im Dschungel bei Werner Herzog. Oder auf der Straße nach Damaskus. Ekstatische Erlebnisse gibt es auch anderswo.

Beim Hören einer Bachkantate geht mir etwas auf. Beim Durchleiden einer Krankheit sehe ich plötzlich klarer. Beim Blick in den nächtlichen Sternenhimmel erlebe ich einen Moment der Ewigkeit.

Ekstase heißt ja heraustreten. Ich finde es wichtig, sich nicht vom Alltag verschlingen zu lassen! Sondern offen zu sein für Erfahrungen der anderen Art. Wo mir blitzartig klar wird, um was es geht. Es nicht mehr heißt: „Jeder für sich und Gott gegen alle“.

Sondern das Leben eine Wendung bekommt, einen Dreh, der mich auf eine völlig neue Spur führt.

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SWR3 Worte

05SEP2022
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Der 17jährige Denis ist vor dem Krieg in Kiew nach Berlin geflohen.  Der Journalist Jan Stremmel hat ihn in seinem Alltag begleitet. Was er dabei an Denis‘ Seite erlebt hat, gefällt ihm. Er sagt:

„[Ich sehe] ein Land, in dem der Sportlehrer die aufgedrehte Willkommensklasse in der Turnhalle zwanzig Minuten lang mit Engelsgeduld […] dazu bewegt, die Handys mal wegzulegen und sich in vier Teams aufzuteilen.
[Ein Land], in dem die Kellnerin im Café eine Horde Teenager, die nichts konsumieren, so lange unter einem Schirm am Tisch sitzen lässt, bis der Regenschauer vorbei ist. […]
Wenn man Deutschland eine Weile durch die Augen von Denis […] beobachtet, kann man überrascht sein. Man sieht ein großzügiges Land. Eines, in dem Menschen von sich aus Schwächeren helfen, Augen zudrücken und geduldig sind.“

Jan Stremmel, Text: Einfach nur leben. Dennis und seien Freunde sind mit 17 vor dem Krieg aus Kiew nach Berlin geflüchtet. Wie ist es, allein in einer fremden Stadt erwachsen zu werden? In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 128, Pfingsten, 4./5./6. Juni 2022

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

27MAI2021
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Letzten Sonntag war Pfingsten, in der Kirche das Fest des Heiligen Geistes Gottes. Die Bibel berichtet, wie der Heilige Geist Menschen erreicht und was er in ihnen auslöst: Bei Petrus zum Beispiel: Er war einer der engsten Freunde von Jesus. Aber seit Jesus in den Himmel aufgefahren ist, muss Petrus allein klar kommen - und er macht sich nirgendwohin auf. Er sitzt zitternd vor Angst in einem Versteck in Jerusalem. Zum Glück erreicht ihn aber der Heilige Geist, und verscheucht seine Angst. Petrus kommt heraus aus dem dunklen Loch. Und er fängt an, in aller Öffentlichkeit zu reden.

Erst mal klingt das gut. Wie Petrus seine Angst verliert und mutig loslegt und predigt - im Namen Gottes. Wenn ich allerdings daran denke, wer schon alles im Namen Gottes ausgezogen ist… Wenn ich mir überlege, was überzeugte Christen schon alles gepredigt - und was sie damit angerichtet haben, dann sieht die Sache gleich ganz anders aus. So richtig Angst bekomme ich, wenn mir klar wird, dass fast alle dabei fest davon überzeugt waren, wirklich Gottes Willen zu tun, genau wie Petrus. Schon die Kreuzritter des Mittelalters waren davon felsenfest überzeugt, und auch so mancher Prediger von heute. Ich habe selbst schon die unglaublichsten Sachen von der Kanzel gehört: Gott würde Menschen bestrafen mit Unfällen, Naturkatastrophen oder Krankheiten. Die Guten in den Himmel, die Bösen in die Hölle! Solche Prediger verdrehen die Frohe Botschaft zur Droh-Botschaft.

Da stellt sich mir eine wichtige Frage: Woran erkenne ich denn, wer wirklich im Geiste Gottes predigt - und wer eben nicht? Wie unterscheiden zwischen gutem Geist und bösem Geist?

Zurück zu Petrus: Ein Blick in seine Predigt hilft sicher weiter: Und tatsächlich: Petrus droht nicht, und er zwingt auch niemandem etwas auf. Er sagt nicht, dass alles bleiben soll, wie es ist. Petrus predigt keine Vorurteile. Bei ihm ist nichts zu finden, was die Menschen einengt oder sie daran hindert, sie selbst zu sein. Petrus predigt von Freiheit. Die Bibel selbst macht Freiheit zum Prüfstein für den Geist Gottes. In der Bibel ist zu lesen: Wo der Geist Gottes ist, da ist Freiheit.

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