Alle Beiträge

Die Texte unserer Sendungen in den SWR-Programmen können Sie nachlesen und für private Zwecke nutzen.
Klicken Sie unten die gewünschte Sendung an.

Filter
zurücksetzen

Filter

Datum

SWR1

     

SWR2 / SWR Kultur

   

SWR3

  

SWR4

     

Autor*in

 

Archiv

SWR2 Wort zum Tag

Die vier Weltelemente und der Heilige Geist (II)

„M`illumino/ d`immenso“  - eines der kürzesten und schönsten Gedichte der Weltliteratur, unübersetzbar und unerschöpflich.  Ich werde erleuchtet, könnte man übertragen, ich werde illuminiert. Aber treffender ist: ich lasse mich erleuchten,  bewusst öffne ich  mich  - z.B. gegenüber dem Sonnenlicht heute Morgen. Was der Dichter Guiseppe Ungaretti  in diesem wunderbaren Zweizeiler  verdichtet, sagt aber noch viel mehr: „ich lasse mich erleuchten vom Unermesslichen“. Als wäre  das Leben einige  Schuhnummern zu groß für mich. „Nicht zu fassen“, sagen wir ja auch, wenn etwas sehr schön ist oder ganz schlimm. Es sprengt unser Fassungsvermögen, es überwältigt und blendet, es durchströmt aber auch und öffnet erst richtig die Augen.  „M`illumino/d`immenso“  - man muss die hellen Vokale im Italienischen mithören: welche Lust, sich erleuchten und durchwärmen zu lassen; welch eine Freude,  sich vom unfassbar Größeren  ergreifen zu lassen.

Licht und Feuer sind seit Urzeiten etwas Unfassbares, ja Göttliches. Wir heute In unseren  hell erleuchteten Städten und Zimmern   können uns das kaum mehr vorstellen.  Aber auch wir sagen noch: da ist mir ein Licht aufgegangen. Wir sprechen von einem hellen Bürschchen  und  fordern Aufklärung  und Transparenz.  Ohne Licht kein Leben, wahrhaft eines der vier Weltelemente und  echtes Lebenselixier. Und entsprechend das Feuer:  vom begeisterten Menschen sagen wir, dass er brennt und heiß ist. Sprichwörtlich ist natürlich das Feuer der Liebe.

Entsprechend  spielen Licht und Feuer im Christlichen eine zentrale Rolle. Nicht zufällig werden ja die großen Feste in der Nacht gefeiert, Weihnacht und Osternacht. Aber jetzt zu Pfingsten ist es dann taghell. „Der Geist des Herrn durchweht  die Welt/ gewaltig und unbändig;/wohin sein Feueratem fällt, wird Gottes Reich lebendig./Da schreitet Christus durch die Zeit/in seiner Kirche Pilgerkleid,/Gott lobend: Halleluja“. Ja, die Freude in diesem Lied ist berechtigt. Man sollte Christen schon anmerken, ob sie brennen und wofür.  Deshalb wird gerade in der Zeit vor Pfingsten so nachdrücklich um den Heiligen Geist gebetet.  Offenkundig ist allzu oft Fehlanzeige, offenkundig geht es so oft geistlos zu, von innerem Feuer nichts zu spüren, von klarer Glaubensüberzeugung auch nicht. Deshalb also die drängende Bitte im alten Pfingsthymnus:  „Komm, o du glückselig Licht,/fülle Herz und Angesicht,/ dring bis auf der Seele Grund“ .  So kann Ungarettis Gedicht zum pfingstlichen Mantra werden: „Ich lasse mich erleuchten, vom Unermesslichen“.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26440
weiterlesen...

SWR2 Wort zum Tag

Mit dem Ostersonntag beginnt – nach kirchlichem Brauch - eine siebenwöchige Osterzeit – bis Pfingsten. Doch irgendwie ist Ostern gefühlt eigentlich schnell passé.
Das „Fest der Auferstehung“. Gerademal zwei Tage. Und dann gleich wieder: Normalbetrieb. Nichts von wegen – wie so oft besungen – der Tod ist bezwungen -  ein „neuer Mensch“ ist erstanden – Halleluja – und mit ihm eine neue Welt.

Wieso ist der Osterjubel so flüchtig? Woran liegt das? Und was liegt da drunter?
Worte der Dichterin Eva Zeller geben mir eine Antwort. Sie schreibt in einem Gedicht:

Wann
wenn nicht
um die neunte Stunde
als er schrie
sind wir ihm
wie aus dem Gesicht geschnitten.

Nur seinen Schrei
nehmen wir ihm noch ab
und verstärken ihn
In aller Munde.

Den ersten Satz verstehe ich sofort: Das leuchtet ein, das kann ich so nachempfinden:
Ja, um die neunte Stunde, als Jesus am Kreuz schrie, da sind wir ihm – wie aus dem Gesicht geschnitten. Wer hat nicht Angst – wer kennt nicht Leid, Not und Hilflosigkeit – aus eigener Erfahrung. In diesem einen Schrei:  Wir wie er – er wie wir: Mein, Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Diesen Schrei der Verlassenheit aus Psalm 22 meint Eva Zeller. Den hat Jesus geschrien – heißt es im Markus- und Matthäusevangelium. Nur seinen Schrei nehmen wir ihm noch ab
Wirklich nur den Schrei? Warum nicht mehr? Kleben wir etwa an Schrecken und Schreckensbildern? Geben wir nur die weiter? Die Erbschaften der Ängste, der Verlassenheit, der Gewalterfahrungen? Verstärken wir nur die in aller Munde? Das wäre fatal – wirklich traumatisierend.

Warum soll alles andere – das schöne, heile, erfüllte  Leben – vor und nach Golgatha – nicht glaubhaft sein? Die Osterzeit geht weiter – bis Pfingsten. Ich kann es doch sehen, erleben, beachten und eben auch verstärken: Neuanfänge, Güte, Freude und Glück. Auch an der wieder erwachenden Natur. An blühenden Bäumen und singenden Vögeln. Die Osterzeit will zu Singen und Jubeln animieren.

Eva Zellers Gedicht ist mir eine Mahnung: So nicht! Ostern nicht verdrängen! Bleib nicht im Schrei der Gottverlassenheit stecken – öffne dich für neues Leben.
Selbst der Psalm, der mit dem Schrei der Verlassenheit beginnt, endet nicht so:
„Als er schrie“ – heißt es da – „hörte ihn Gott – und half ihm heraus.“

Das ist Ostern – das bedeutet – Jesus, auferweckt von den Toten. Befreiung und Rettung sind nahe, sind erfahrbar. Dafür will ich meine Augen öffnen und eben das verstärken. Für mich selber – wie für Andere.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26232
weiterlesen...

SWR3 Gedanken

 Eines Tages kommt meine Tochter aus dem Kindergarten, grinst mich an uns sagt: "Je älska dieee!" Ich verstehe nicht ganz, schaue sie fragend an.  "Ach Mama“, sagt sie und lacht, das heißt doch „Ich hab dich lieb“! Ach, wie süß. Sie meint das dänische „jeg elsker dig!“ Irgendeins der Kinder hat im Kindergarten „I love you“ aufgeschnappt und dann haben sie gesammelt, die Kinder und Erzieherinnen, „Ich hab dich lieb“ in allen möglichen Sprachen.

Was für eine wunderbare Pfingstgeschichte, denke ich. Da haben die Menschen auch auf einmal andere Sprachen gesprochen. Und haben sich verstanden, über alle Sprachbarrieren hinweg. Sie haben sich verstanden, weil sie sich verbunden fühlten durch einen Geist der Liebe. Durch ein „Ich hab dich lieb“ von Gott.

Deshalb finde ich: Pfingsten ist auch heute noch eine wunderbare Gelegenheit, mal die Sprache zu wechseln. Das muss jetzt nicht unbedingt Dänisch sein, es genügt, die Sprache des Anderen zu verstehen. Oft reden wir ja in derselben Sprache und doch aneinander vorbei. Wir wissen, was wir meinen. Aber die anderen können sich aus dem, was wir sagen, keinen Reim machen.

Wie wäre es also, einfach mal den Zungenschlag zu wechseln, ganz neue Töne anzuschlagen, neue Worte für eine altvertraute Botschaft zu finden - und diese dann einfach aus zu probieren?

Mich jedenfalls hat die „dänische“ Variante von “Ich hab dich lieb“ begeistert. Die Worte klingen mir bis heute im Ohr. In diesem Sinne: Glædelig pinse! Frohe Pfingsten!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24335
weiterlesen...

SWR2 Lied zum Sonntag

Das Herz bekommt Besuch: Ich finde, das ist ein gutes Bild dafür, wie manchmal mein Leben – mein Fühlen, Denken und Handeln – von innen heraus verändert wird: 

Wenn ich wie aus dem Nichts eine neue Idee habe – oder auf einmal mein Zorn verebbt und Frieden einkehrt. Dann habe ich den Eindruck, dass mein Herz Besuch bekommt. 

Wenn das Herz freundlichen Besuch bekommt, dann ist Pfingsten, dann kommt der Heilige Geist: So verstehe ich diese erste Strophe des Pfingsthymnus „Veni Creator Spiritus“, die gerade erklungen ist. „Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist“, so hat Martin Luther sie ins Deutsche übersetzt, „besuch das Herz der Menschen dein, mit Gnaden sie füll, denn du weißt, dass sie dein Geschöpfe sein“.

Martin Luther kannte sich aus damit, wie es ist, wenn das Herz Besuch bekommt. Er hatte oft das Gefühl, solchen Besuch zu bekommen – allerdings nicht nur freundlichen Besuch, sondern auch ungebetenen, feindlichen, von „bösen Geistern“ und „Dämonen“, wie er das genannt hat. Für ihn war das Herz ein Kampfplatz zwischen Gut und Böse. Umso wichtiger war ihm die Bitte um Gottes freundlichen Geist, den Heiligen Geist. Deshalb hat er sich die lateinischen Worte des mittelalterlichen Pfingsthymnus zu eigen gemacht und frei ins Deutsche übersetzt. Damit alle verstehen konnten, wie kostbar Gottes Geist ist:

Denn du bist der Tröster genannt, des Allerhöchsten Gabe teur, ein geistlich Salb an uns gewand, ein lebend Brunn, Lieb und Feur‘.

Gottes Geist tröstet, er heilt wie eine Salbe, kühlt und belebt wie frisches Brunnenwasser, wärmt und erhellt wie Feuer. Und er wirkt nicht nur im Herzen, auf das Gefühl, sondern auf alle Dimensionen des Menschen:

Gottes Geist besucht Herz und Verstand – und hilft auch, meine Bedürfnisse zu steuern.

Plötzlich einen Zusammenhang zu verstehen, oder für einen Menschen da sein zu können, weil ich ihn lieben gelernt habe, oder die Kraft zu bekommen, etwas anzugehen, vor dem ich mich lange gedrückt habe – das ist eine Gabe, ein Geschenk. 

Wer oder was die schöpferische Kraft ist, aus der solche Gaben entspringen, darauf gibt es unterschiedliche Antworten. Ich nenne diese Kraft in der christlichen Tradition den „Heiligen Geist“. Ich freue mich, wenn er mein Herz besuchen kommt. Und ich bitte heute an Pfingsten darum mit den alten Worten: Veni creator spiritus – Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist!

 

 

 
https://www.kirche-im-swr.de/?m=24361
weiterlesen...

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Endlich Samstag denken sich heute sicher viele  Zumindest mal die, die nicht am Wochenende arbeiten müssen.  Heute und morgen frei. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass am Montag wieder eine ganze Menge Leute sagen werden: „Wochenende? Ach ja, nichts Besonderes. Irgendwie verbummelt.“  Also: machen Sie was aus der freien Zeit! Irgendwas, was Sie immer schon tun wollten aber warum auch immer  nicht gemacht haben. Ist nämlich ein gutes Gefühl, wenn man einfach mal eine Entscheidung trifft und los legt. Dieses Hin und Her von wegen: Sollen wir wirklich? Dann müssten wir vorher noch….  Ach, lassen wir’s doch lieber…

Alles irgendwie unbefriedigend, im Nachhinein zumindest. Wenn man sich aber durchgerungen hat, wenn man doch mal früh aufgestanden ist,  hat die Radtour gemacht trotz schlechter Wetterprognose, hat die Freunde endlich mal besucht  obwohl die Fahrt eigentlich ja zu lang ist -  dann ist das schon ein gutes Gefühl. Sich auf die Socken machen, die Ärmel hoch krempeln, das Leben anpacken.  Die Bibel erzählt davon, dass genau das die Freunde Jesu an Pfingsten begriffen haben -  und sie nennt das den  Hl. Geist. Der hatte ihnen einen gehörigen Schubs versetzt, sie vor die Tür getrieben und aus einer zweifelnden und unentschlossenen Truppe  eine Gemeinschaft mit Vertrauen und Zielen  gemacht. Ich habe einen kurzen Text des Theologen Dietrich Bonhoeffer gefunden, der genau das im Sinn hat. Er lautet:

„Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen, nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen, nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit. Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens, nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen, und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend empfangen.“

Tolle Sätze! Nicht nur geeignet für die Zeit um Pfingsten. Man kann sie jeden Tag mit hinaus ins Leben nehmen. Und ins Wochenende erst recht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19922
weiterlesen...

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Ich hätte mich gefreut. Wenn es nachher einen ökumenischen Gottesdienst geben würde beim Evangelischen Kirchentag in Stuttgart.
Ein ökumenischer Gottesdienst am katholischen Feiertag Fronleichnam auf dem Evangelischen Kirchentag. Für mich hätte das was gehabt. Ein Signal dafür, wie nahe evangelische Christen und Katholiken einander gekommen sind.
Leider ist es nicht dazu gekommen. Ich hoffe, ‚noch‘ nicht. Es hat zu viele Hindernisse und Bedenken gegeben. Auf beiden Seiten. Evangelische und katholische. Bei den Bedenken sind wir jedenfalls „ökumenisch“.
Ich frage mich: Muss man immer wieder bescheiden sein, kleine Brötchen backen, wenn einem Ökumene wichtig ist.
Das Motto des Kirchentags heißt: ‚Damit wir klug werden‘. Bedeutet Klugsein in Sachen Ökumene zuerst einmal bescheiden sein? Weil dies nicht geht und das nicht?
Ich weiß schon Bescheidenheit ist eine Zier. Und steht gerade Christenmenschen sicher gut an. Aber mit Bescheidenheit allein überwindet man keine Grenzen. Grade haben wir Pfingsten gefeiert. Da haben wir uns erinnert, dass der Geist Gottes unüberwindbare Grenzen überwinden kann. Menschen mit ganz verschiedenen Sprachen und aus ganz verschiedenen Kulturen haben zusammengefunden. Wenn der Geist Gottes bescheiden gewesen wäre, dann hätte er den Bedenken Rechnung getragen. Aber dann wäre Pfingsten ausgefallen.
Können wir Christenmenschen in diesem Land uns noch ökumenische Bescheidenheit leisten?
Ich finde nicht. Als Christen und Kirchen sind wir es den anderen schuldig, dass wir – wann immer es geht – gemeinsam sagen und leben, was der Glaube an Gott fürs Leben bringt. Wie er leben hilft.
Ich beobachte, in den Lebenserfahrungen vieler Menschen kommt Gott nicht vor. Ich finde, als Christen müssten wir da sagen – verständlich, vielleicht sogar neu – dass Gottvertrauen ein Fundament ist, das das Leben trägt. Dass Gottvertrauen hilft, die vielen Ängste auszuhalten, die das Leben erschüttern. Vertrauen kann sogar helfen kann, Ängste zu überwinden: Die Angst, nicht geliebt zu werden, die Angst vor Krieg, die Angst, dass das Alter und der Tod zuerst meinen Verstand und dann mich einfach auslöschen. Gottvertrauen hilft leben: Diese Erfahrung machen wir Christen. Nicht immer. Aber immer wieder. Ich finde, die sind wir den anderen schuldig.
Manchmal muss man unbescheiden sein, wenn kann klug sein will, und sich verändern. ZB in der Ökumene.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19903
weiterlesen...

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Ein umstrittenes Großprojekt stürzte die Bevölkerung unserer Landeshauptstadt in ein tiefes Zerwürfnis. Man verstand jahrelang nur noch „Bahnhof“. Gegner und Befürworter verstehen sich bis heute noch nicht, obwohl sie dieselbe Sprache sprechen. 

Von einem Großprojekt ist auch in der Bibel die Rede. Mit einem gewaltigen Turm  wollte man sich damals in Babylon „einen Namen machen“, heißt es in einer alten Überlieferung (Genesis 11,1-9), und ganz nebenbei Gott aufs Dach steigen.

Der nimmt´s gelassen und sagt: „Auf, steigen wir hernieder und verwirren wir ihre Sprache, dass keiner mehr den anderen versteht.“ Und so wird Babylon zum Symbol der Wirrsal und der Spaltung.

Erst auf diesem Hintergrund versteht man, was an Pfingsten in Jerusalem geschah. Etwas Wundersames war in die verängstigte Christengemeinde hineingefahren, man brachte es mit Gottes Heiligem Geist in Verbindung. Begeistert stürmten die Frauen und Männer nach draußen auf die Straße. In Jerusalem wohnten damals viele Juden aus anderen Ländern, mit anderen Sprachen und Dialekten. Doch das Unglaubliche geschah: „Ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden“. So erzählt die Apostelgeschichte (2,5).

Verstehen hängt nur bedingt mit der Muttersprache zusammen. Die nützt gar nichts, wenn – wie damals in Babylon – Macht und Überheblichkeit ins Spiel kommen. Dann sind Missverständnisse vorprogrammiert. Erst recht, wenn auch noch Gewalt angewandt wird – die zerstört die gemeinsame Plattform des Verstehens. Fassungslos stehen wir gegenwärtig diesen irren Gotteskriegern gegenüber. Kaum jemand begreift noch, was in deren Gehirnwindungen vorgeht. Da verschlägt es einem einfach die Sprache.

Auch Beziehungen und Freundschaften splittern, wenn einer sich über den andern erhebt. Das schafft Verwirrung zwischen Mann und Frau, Jung und Alt, Deutschen und Ausländern. Zwist in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz und bis hinein in unsere Gemeinden sind die Folge. Verstehen kann man sich nur, wenn man in den Spiegel blickt und sich der eigenen Begrenztheit und Bedürftigkeit bewusst wird. Auf dieser Ebene ist man sich plötzlich ganz nahe. Und erst recht dort, wo uns Liebe miteinander verbindet. Die Sprache des Herzens bedarf keiner Worte.

Pfingsten lässt hoffen, dass viele, die sich nicht mehr verstehen, wieder eine gemeinsame Sprache finden. Das kann gelingen, wenn man vom Thron der Rechthaberei, der Überheblichkeit herabsteigt und einander liebevoll zur Seite steht. So, wie es von der Jerusalemer Urgemeinde berichtet wird: „Sie waren ein Herz und eine Seele...“ (Apostelgeschichte 4,32).

 

 

 

 

 

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19882
weiterlesen...

SWR2 Lied zum Sonntag

Schemelli Gesangbuch Nr. 938, NBA Nr. 68 

 Kommt wieder aus der finstern Gruft, 
ihr Gott ergebnen Sinnen!
Schöpft neuen Mut und frische Luft,
blickt hin nach Zions Zinnen;
denn Jesus, der im Grabe lag,
hat als ein Held am dritten Tag
des Todes Reich besieget. 

Mit der Feier von Ostern sind wir nicht so schnell fertig. Sieben Wochen lang, bis Pfingsten, feiert die Kirche die Auferstehung Jesu. Und außerdem gilt seit der Zeit der frühen Kirche jeder Sonntag als ein kleines Osterfest.

Auch die Versuche, Ostern zu verstehen, auszudrücken oder darzustellen, sind noch lange nicht am Ende. Wir haben ein Beispiel aus dem 18. Jahrhundert gehört. Es stammt aus einem Gesangbuch von Georg Christian Schemelli; die fast tausend Lieder, die es enthält, waren vermutlich für Hausandachten bestimmt. Johann Sebastian Bach hat an der Vertonung mehrerer Lieder mitgewirkt.

„Kommt wieder aus der finstern Gruft, / ihr Gott ergebnen Sinnen! … denn Jesus, der im Grabe lag, / hat als ein Held am dritten Tag / des Todes Reich besieget“: An die barocke Sprache müssen wir uns erst gewöhnen. Doch der Gedankengang ist klar: Jesus ist gestorben, aber nicht im Grab geblieben. Deshalb haben das Dunkle und der Tod nicht das letzte Wort, und sie sind auch nicht der letzte Ort, der uns Menschen bleibt. 

Im Neuen Testament lädt der Auferstandene mehrmals seine Jünger zu einem Mahl ein. Er teilt mit ihnen sein Leben, und er teilt ihnen sein Leben mit. Diese Einladung gilt bis heute; sie ist der Grund und die Mitte des christlichen Gottesdienstes: „Zum Siegel solcher Seligkeit gibt uns der Herr zu essen die Speise der Unsterblichkeit.“ Mit Bildern aus der Bibel umschreibt der Verfasser, was in der Feier der Eucharistie geschieht: Das Lamm, das geopfert wurde, wird zum Gastgeber. Die Speise, die wir empfangen, schenkt ewiges Leben.

Gott, unserm Gott, sei Lob und Dank,
der uns den Sieg gegeben,
der das, was hin ins Sterben sank,
hat wiederbracht zum Leben.

Der Sieg ist unser: Jesus lebt,
der uns zur Herrlichkeit erhebt,
Gott sei davor gelobet.

 

„Gott, unserm Gott, sei Lob und Dank, / der uns den Sieg gegeben, / der das, was hin ins Sterben sank, / hat wiederbracht zum Leben“: Die letzte Strophe lobt Gott und dankt ihm dafür, dass Jesus lebt und dass wir leben. 

Die Versuche, Ostern auszudrücken, sind noch lange nicht am Ende. Fast dreihundert Jahre nach dem Gesangbuch von Georg Christian Schemelli ist das Gedicht osterspaziergang von Andreas Knapp entstanden. Die Bilder entstammen unserer Gegenwart. Doch die Botschaft ist die gleiche. Und es bleibt die Einladung, sich ergreifen zu lassen: 

bei licht besehen
ist das grab kein endlager mehr
überwältigt betrete ich
den aufwachraum ins unbegrenzte
 

Musik:

J. S. Bach, Die kompletten Werke. Bohemian Music Service. MM 4193-2 „Licensed under permission of Hänssler Classic“. CD 4, MM 4088-2 “Ein Choralbuch für Johann Sebastian: Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten, Trinitatis”. Track 6: „Kommt wieder aus der finstren Gruft“: Geistliches Lied BWV 480, Choralsatz BWV deest / Wiemer 10.

Sibylla Rubens, Sopran; Gächinger Kantorei, Bach-Collegium Stuttgart; Leitung: Helmuth Rilling 

Textzitat:

„osterspaziergang“: Andreas Knapp, Heller als Licht. Biblische Gedichte. Würzburg: Echter 2014, S. 72.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19647
weiterlesen...

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

An Pfingsten ist vom Heiligen Geist die Rede. Heiliger Geist, das sorgt bei vielen für Unverständnis. Und was dieser Geist machen soll, klingt ebenso unverständlich: In der Bibel kommt der Geist in einem Sturm, in Feuerzungen, die sich auf Menschen niederlassen. Und alle können in fremden Sprachen sprechen. Kurz: Der Geist macht, dass Menschen in Ekstase geraten, dass sie Dinge können und sich zutrauen, die sie niemals gedacht haben. Dass sie alle Grenzen überwinden: der Sprache, des Verstehens, der Hoffnung.

Klingt fremd, ist aber gar nicht so fremd. Denn was wird passieren, wenn Deutschland bei der morgen beginnenden Fußballweltmeisterschaft der Männer in Brasilien Tore schießt, gewinnt, weit kommt im Turnier? Menschen jubeln hemmungslos, sind ekstatisch, Wildfremde umarmen sich beim Public viewing. Stecken sich an mit ihrer Begeisterung und werden von anderen mitgerissen. Da lässt sich hautnah erleben, was in den biblischen Bildern erzählt wird – vom Sturm, vom Feuer, davon, dass sich Menschen verstehen.

Klar an Pfingsten geht es nicht um Fußball. Und trotzdem trägt der Vergleich. Der Heilige Geist steht für Begeisterung, für Leben, für Gemeinschaft. Das alles braucht der Glaube genauso, wie es auch der Fußball braucht. Ein Stadion, in dem niemand singt und jubelt? Undenkbar. Eine Kirche, in der keine Gemeinschaft herrscht, in der Menschen nichts miteinander zu tun haben wollen? Genauso undenkbar.

Sicher: Viele Gottesdienste können es an Spannung nicht mit einem WM-Spiel aufnehmen. Finalstimmung? Fehlanzeige. Aber die zweitausendjährige Geschichte des christlichen Glaubens zeigt auch:  Es muss immer wieder Menschen geben, die sich für den Glauben begeistern, die Feuer und Flamme sind für diesen Jesus. Die ihre Begeisterung weitergeben. Wo das passiert, da lässt sich dann sagen: Da ist der Heilige Geist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17738
weiterlesen...

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Falls Sie noch nicht wissen, was Sie heute tun sollen ... Ich hätte da einen Tipp für Sie. Eigens ausgesucht für den Pfingstmontag. Er lautet: Leben Sie in diesen Tag hinein. Ohne Plan und Ziel. Lassen Sie sich treiben. Ich glaube, dass passt gut zu Pfingsten.

Der Pfingstmontag ist ja so ein schöner Feiertag, weil er überflüssig ist. Ich bin versucht zu sagen: Es gibt gar keinen Grund, dass heute für alle arbeitsfrei ist. Sogar die eingefleischteren Christen gehen nur mit Mühe in den Gottesdienst. Ursprünglich war’s aber so gedacht: Weil Pfingsten ein großes Kirchenfest ist, soll keiner gehindert sein, an zwei Tagen am Gottesdienst teilzunehmen. Das tun aber nur noch wenige.

Aber auch wenn in unseren Tagen am Pfingstmontag nur noch kleine Grüppchen in die Kirche gehen: Frei haben heute trotzdem fast alle. Und ich finde, das ist gut so. Weil für mich auch das etwas mit Gott zu tun hat. Wenn ich mir Gott vorstelle, dann hat das etwas mit Weite zu tun, mit Großzügigkeit. Ich stelle ihn mir eben nicht als Kleinkrämer vor, der genau rechnet und einteilt, sondern als einen, der mit vollen Händen verschenkt: Freude und Liebe und eben auch Zeit. Bei Gott können wir ohne Grund frei haben. Ohne, dass ich oder irgendjemand etwas dafür tun müsste. Es braucht auch keinen äußeren Anlass. Also ein Ereignis oder einen Jahrtag. Nein, am Pfingstmontag, da haben wir einfach so frei. Ich stelle mir vor, dass es Gott Freude macht zu sehen, wie entspannt und gelassen wir mit dem umgehen, was er erschaffen hat.

Und was tun wir dann heute, wenn wir nichts tun? Nichts zu tun, das geht doch gar nicht, werden manche sagen. Wir machen doch immer etwas. Im Italienischen gibt es das geflügelte Wort vom dolce far niente, vom süßen Nichtstun. Ich übersetze das für Sie folgendermaßen: Leben Sie einfach in den Tag hinein. Planen Sie nichts. Machen Sie, was sie wollen und was sich gerade so ergibt. Wichtig ist nur, dass sie das jetzt am Beginn des Tages auch so mit sich vereinbaren. Bloß kein Ziel festlegen, das sie am Abend dann doch erreicht haben wollen: einen Anruf, den Sie schon lange vor sich her schieben ... die Steuererklärung ... den Schreibtisch aufräumen. Wenn Sie sich etwas vornehmen und gleichzeitig nichts tun wollen, dann sind Sie nachher unzufrieden. Nein, sie lassen sich treiben. Eins ergibt das andere. Wenn es klappt, dann spüren Sie etwas davon, wie frei wir ursprünglich sind. Und dieses Gefühl kann sehr, sehr schön sein.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17696
weiterlesen...