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SWR4 Abendgedanken

Wie schön, wenn eine Sache gut ausgeht. Wenn man nach schweren Zeiten wieder richtig Freude haben kann am Leben. Wenn alles wieder ins Lot kommt.

Übermorgen ist Pfingsten. Da feiern wir Christen genau das: dass alles wieder ins Lot gekommen ist. Dass Menschen total begeistert waren, die vorher enttäuscht und ängstlich und verstört waren.

Für die Freunde von Jesus muss das damals echt heftig gewesen sein. Ein Wechselbad der Gefühle sozusagen. Erst wurde Jesus gekreuzigt und ist gestorben. Dann ist er plötzlich wieder bei ihnen. Von den Toten auferstanden. Und sie treffen sich mit ihm noch ein paar Mal. Eigentlich hatten sie dann gehofft, dass das so bleibt. Aber dann ist er endgültig zurück zu Gott gegangen. Da waren seine Freunde wieder allein.[1] Dieses Mal aber scheinbar endgültig. Und dann? Dann kam Pfingsten.[2]

Sie hatten sich wie schon so oft getroffen. Keiner hat so richtig gewusst, wie es weiter geht. Was sollten sie denn auch ohne ihren Freund und Lehrer tun? Klar Jesus hatte ihnen aufgetragen, dass sie weitermachen sollten. Dass sie allen Menschen davon erzählen sollten, was sie gemeinsam erlebt hatten. Aber anscheinend hat keiner von ihnen so richtig gewusst hat, wie das gehen soll.

Und dann gab es plötzlich einen Sturm. Der hat sie wachgerüttelt. Und der hat ein neues Feuer in ihnen entfacht. Es kam ihnen vor als wenn Feuerzungen vom Himmel gefallen wären und sich auf sie gesetzt hätten, erzählt die Bibel. Sie wurden erfüllt von Gottes Geist. Die Ratlosigkeit war weg und die Angst. Sie waren begeistert und haben das den Menschen in ganz unterschiedlichen Sprachen erzählt.

Ja, ich weiß, das klingt merkwürdig. Und auch die Freunde wurden damals verspottet: Ihr seid wohl betrunken.

Aber ich kenne das auch. Wenn mich was richtig begeistert, dann trau ich mich plötzlich, anderen davon zu erzählen. Und manchmal springt der Funke über und dann breitet die Begeisterung sich aus.

Wir Christen glauben: Seit jenem ersten Pfingsten kann man den Geist Gottes spüren. Der kann mich begeistern und lässt mich erleben: Ich bin nicht allein.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein begeisterndes langes Pfingstwochenende.



[1] Apostelgeschichte 1,1-11.

[2] Apostelgeschichte 2,1-13.

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SWR2 Wort zum Tag

Übermorgen ist Pfingsten, und da stellt sich die Frage nach dem Heiligen Geist. Was würde der Evangelist Lukas dazu wohl heute schreiben? Er hat ja erzählt, wie der Heilige Geist 50 Tage nach Ostern in Feuerzungen auf Maria und die Apostel herabgekommen ist, auf jeden persönlich.

Mich hat ein Pfingstbild aus dem 17. Jahrhundert auf eine Spur gebracht. Es ist eine Ikone, ein liturgisches Bild aus der Ostkirche, und es zeigt eben jene Geschichte von den Aposteln und den Feuerzungen, die Lukas erzählt. Da sitzen sie, die Apostel an Pfingsten, und mitten unter ihnen einer, der gar nicht dabei war: Paulus kam erst eine Weile später dazu, nachdem er zunächst die ersten Christen blutig verfolgt hatte. Paulus hat außerdem heftige Konflikte in Gang gebracht. Er war, etwas plakativ gesagt, der Neuerer in der frühen Kirche und hat sich mit dem Chefapostel Petrus heftig gestritten.

Mir sagt dieses Bild: Der Heilige Geist war nicht nur beim allerersten Pfingstfest wirksam, bei denen, die unmittelbar dieses Pfingsten erlebt haben. Das läßt mich hoffen für uns heute. Und: er hat die unterschiedlichsten Leute inspiriert. So wie Petrus und Paulus da gemeinsam unter dem Feuer des Heiligen Geistes sitzen, heißt das doch: auch wo Menschen verschieden denken in wichtigen Fragen, wo sie sich auseinandersetzen und ringen, ist Gottes Geist dabei. Wenn, ja wenn alle, die da streiten, ihren gemeinsamen Bezugspunkt nicht vergessen. Der Künstler des alten Pfingstbildes hat in der Mitte einen Platz leer gelassen – leer gelassen ganz offensichtlich für Jesus. Der ist die Mitte.

Wenn ich die Geschichte des Lukas und diese alte Pfingstikone zusammen sehe, kann das bedeuten: Im Heiligen Geist appelliert Gott beständig an unsere besten Kräfte, die Kräfte zum Denken, Gestalten, Streiten und Versöhnen. Der Heilige Geist bewegt dazu, in Fragen des Glaubens und der Wahrheit nicht aufzugeben, sondern zu ringen, Neues zu denken und zu versuchen. Und sich dabei zusammenbinden zu lassen von dem leeren Platz in der Mitte.

Vielleicht ist es gerade der Heilige Geist, den die Kirchen heute unserer Gesellschaft schulden: der lange Atem in kontroversen Fragen, der aus dem Glauben an einen lebendigen Gott kommt.

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SWR2 Zum Feiertag

Wahrheitsanspruch und Dialogfähigkeit des christlichen Glaubens
ein Gespräch mit Prof. Christoph Schwöbel, Tübingen

Choraleinspielung: O komm, du Geist der Wahrheit, und kehre bei uns ein...

Rittberger-Klas: So beginnt ein  bekanntes Pfingstlied. Herr Professor Schwöbel, Sie sind evangelischer Theologe, lehren Systematische Theologie an der Universität Tübingen - wie erklären Sie, was Christen meinen, wenn sie an Pfingsten vom „Geist der Wahrheit" singen?

Schwöbel: Zunächst erinnert diese Formulierung ja an das erste Pfingstfest, das Pfingsterlebnis, in dem der ersten christlichen Gemeinde in Jerusalem die Wahrheit der Christusbotschaft neu einleuchtete. Und an dieser spezifischen Erfahrung hat die christliche Gemeinde eine Erfahrung mit Wahrheit überhaupt gemacht, nämlich dass Wahrheit ein Widerfahrnis ist, eine Erfahrung, die sich für uns einstellt, die also nicht manipulierbar ist, nicht machbar ist, sondern gegeben werden muss. Deshalb auch die Einladung: O komm du Geist der Wahrheit.

Rittberger-Klas: Jetzt erlebe ich, wenn ich zum Beispiel mit meinen Schülern im Religionsunterricht darüber rede, dass Wahrheit ist eine Kategorie, die - zumindest in Glaubensdingen - ihnen ganz problematisch scheint. Bei den Schülern herrscht eher die Haltung vor: „Das kann man nicht sagen, was wahr und unwahr ist, das muss jeder für sich wissen. Und da kann man auch niemandem reinreden." Wie stehen Sie dazu?

Schwöbel: Auf der einen Seite ist da etwas ganz Richtiges dran: Wahrheit, gerade ist religiösen Dingen, ist sicher immer eine persönliche Erfahrung und sie führt zu einer persönlichen Gewissheit. Wobei das für uns eine Lebensgewissheit ist, die uns Orientierung gibt in unserem Leben, was für uns zu einem bestimmten Moment alternativlos ist. Wo wir nicht sagen würden „naja, das kann man so oder so machen." Die andere Sache ist die, dass man daran festhalten muss, dass es die Gewissheit einer Wahrheit sein kann, also dass diese Gewissheit auch in ihrem Wahrheitsgehalt kommuniziert werden kann. Und da finde ich es sehr problematisch, wenn  - nicht nur bei Schülerinnen und Schülern im Religionsunterricht, sondern auch in unserem gesellschaftlichen Diskurs manchmal so eine relativistische Tendenz durchkommt: „Meine Wahrheit, deine Wahrheit - das kann man sowieso nicht entscheiden" Alle Kommunikation, an der wir beteiligt sind, lebt von der Wahrheitsunterstellung. Wenn ich in Tübingen jemanden nach dem Weg zum Bahnhof frage, dann unterstelle ich, dass er die Wahrheit sagt, und mir den richtigen Weg weist. Ohne diese Wahrheitsunterstellung ist Kommunikation nicht möglich. Und das gilt auch in religiösen Dingen.

Rittberger-Klas: Der Wahrheitsanspruch des Christentums wird oft als Hindernis für den Dialog gesehen. Das Institut für Hermeneutik an der Evangelisch-theologischen Fakultät in Tübingen hat unter Ihrer Leitung den Titel „Institut für Hermeneutik und Dialog der Religionen" erhalten. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass Ihnen Verständigung mit Andersglaubenden ein zentrales Anliegen ist. Oft wird ja die Gleichung aufgestellt: Wahrheitsanspruch gleich Absolutheitsanspruch gleich Intoleranz. Was haben Sie dem entgegen zu setzen?

Schwöbel: Es ist meines Erachtens so, dass man gerade für die Religionen sich klarmachen muss, dass sie einander mit ihren Wahrheitsansprüchen begegnen. Wenn die Religionen im Dialog den Wahrheitsanspruch ausklammern würden, dann würden sie sich nicht mehr als Religionen begegnen, sondern nur noch als kulturelle Formen. Der Wahrheitsanspruch ist für Religionen konstitutiv. Allerdings sehe ich in allen Religionen auch eine bestimmte Relativierung dieses Wahrheitsanspruches: Der Wahrheitsanspruch gilt eigentlich nicht für die eigene Religion, deswegen kann man meines Erachtens nicht von der Absolutheit des Christentums oder der Absolutheit irgendeiner anderen Religion sprechen. Innerhalb der christlichen Theologie ist schon sehr früh die Einsicht zur Durchsetzung gekommen: Absolut ist nur Gott. Insofern ist das Christentum eine sehr relative Größe, eine Größe, die nur in Beziehung zu dieser absoluten Wahrheit Gottes besteht. Die Absolutsetzung der eigenen Religion halte ich für Götzendienst an der eigenen Religion, der vom wahren Gottesdienst fortführt.

Rittberger-Klas: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich", das ist ja so ein klassischer Satz, der einem oft entgegengehalten wird, wenn es um die Toleranzfähigkeit, die Dialogfähigkeit des Christentums geht. Wie interpretieren Sie den Satz, der ja Jesus zugeschrieben wird im Johannesevangelium?

Schwöbel: Zunächst mal bedeutet das, wer immer gerettet wird, das heißt, wer immer in Gemeinschaft mit Gott dem Schöpfer kommt, der wird durch Jesus Christus gerettet. Und das ist meines Erachtens eine Hoffnung, die für den christlichen Glauben unverzichtbar ist und nicht nur für Christen gilt. Dieses bedeutet allerdings auch, dass das Bekenntnis des christlichen Glaubens nicht den Status einer unabdingbaren Voraussetzung für das Gerettet-Werden haben kann, so dass man sagen kann: Eigentlich geschieht dieses Gerettet-Werden dadurch, dass wir den Glauben bekennen. Gott ist das Subjekt der Rettung und Gott ist der, der Rettung, Heil - Gemeinschaft mit dem Schöpfer - schenkt. Und dieses darf durch diese Formulierung nicht irgendwie eingegrenzt werden. Deshalb hoffen Christen, dass alle Menschen in Jesus Christus gerettet werden, ob sie nun zum gegenwärtigen Zeitpunkt an Jesus Christus glauben oder nicht.

Rittberger-Klas: Das heißt, man kann sagen: Ob wir Christen tolerant sind oder nicht, ist eine Sache - aber Gott ist auf jeden Fall tolerant?

Schwöbel: Martin Luther, der das Wort Toleranz in die deutsche Sprache eingeführt hat, hat den Begriff der Toleranz vor allen Dingen in Bezug auf das Verhältnis zwischen Gott und dem Sünder und Gott und dem Glaubenden verwendet. Und das Wort hat dort seinen Platz, wo er sagt: Gott hat uns ja schon toleriert, als wir noch Sünder waren, bevor wir zum Glauben gekommen sind. Und dieses halte ich für eine sehr wichtige theologische Anregung, mit dem Begriff der Toleranz umzugehen. Mir scheint es so, dass Christen aufgrund der Erfahrung wie ihr eigener Glaube konstituiert ist, wie sie selbst zum Glauben gekommen sind, sehr genau wissen, dass der Glaube ein Geschenk Gottes ist, ein Werk Gottes an ihnen, etwas, das nicht gemacht werden kann, weder für einen selbst noch für andere Menschen, und diese Einsicht in das Zustandekommen des eigenen Glaubens ermöglicht auch die Toleranz des Glaubens anderer, denn in den anderen Religionen wird man genauso Beschreibungen finden, dass sie jeweils ihre Einsicht der Wahrheit nicht für sich selbst hergestellt haben, sondern dass sie ihnen geschenkt worden ist. Und das muss ich als Christ tolerieren, das muss ich akzeptieren, obwohl möglicherweise die Wahrheitsansprüche, die mit diesen Religionen verbunden sind, solche sind, die nicht einfach zu akzeptieren sind. Und das ist ja gerade Härte der Toleranz und auch ihre Größe, dass sie die unmögliche Tugend ist, weil Toleranz bedeutet, das hinzunehmen, was man eigentlich nicht akzeptieren kann.

Rittberger-Klas: Wenn ich von einer Wahrheit überzeugt bin, wenn mir diese Wahrheit eingeleuchtet hat und ich sie sogar als Weg zum Heil sehe, theologisch gesprochen, muss ich dann nicht versuchen, andere auch von dieser Wahrheit zu überzeugen? Und bin ich dann nicht schon unfähig zu echtem Dialog? Wenn ich schon weiß, wie das Gespräch enden muss am Schluss...

Schwöbel: Ich glaube nicht, dass der Dialog beinhalten kann, dass man schon weiß, wie das Gespräch enden muss, dass am Ende eines Dialoges immer ein Konsens steht. Der Dialog ist ein Weg zu mehr Verständnis, und mehr Verständnis bedeutet zunächst einmal das Verstehen von Unterschieden, das Verstehen von Differenz. Wir verstehen nur etwas, wenn wir es in seinen Unterschieden verstehen. Und es ist ganz sicher für den christlichen Glauben so, dass dieser Glaube selbst die Möglichkeit, die Bereitschaft und die Verpflichtung beinhaltet, anderen vom Inhalt dieses Glaubens weiterzusagen, das steckt schon im Begriff der Wahrheit drin. Man muss auch sagen, es wäre ein moralisch ziemlich zweifelhafter Verstoß gegen das Gebot der Nächstenliebe, wenn ich eine Wahrheit erkannt hätte, von der ich meine, sie vermittelt den Sinn des Lebens und den Weg zum Heil, und ich halte sie nun den anderen vor und teile ihnen nicht davon mit. Allerdings bietet der Dialog auch die Möglichkeit, noch mehr zu entdecken von der Wahrheit Gottes, die sich auch in der Religion des anderen zeigen kann. Mir scheint es sehr wichtig zu sein, dass die Religionen nicht verstanden werden aus christlicher Perspektive als Betriebsunfälle in der Geschichte Gottes mit der Welt, so als hätte Gott mit den Religionen nichts zu tun. Christen können nicht den allmächtigen, allgegenwärtigen Schöpfer bekennen und gleichzeitig die anderen Religionen als eine Art gottfreie Zone verstehen. Sondern ich bin davon überzeugt, dass es zu den Grundüberzeugungen des christlichen Glaubens gehört, dass Gott auch in den anderen Religionen handelt, allerdings auf eine Art und Weise, die uns oftmals verborgen erscheinen mag. Aber wir begegnen den anderen Religionen mit der Erwartung der Gegenwart Gottes in ihnen.

 

Hier endet die Sendung.
Das Interview in voller Länge mit weiteren interessanten Aspekten können Sie jedoch gerne weiterlesen:

Rittberger-Klas: Und trotzdem: Wenn sich zwei Menschen begegnen und beide mit der Absicht, den anderen von der eigenen Wahrheit zu überzeugen, zu missionieren, muss man da nicht aneinander vorbeireden?

Schwöbel: Also zunächst mal redet man dann über das, was einem wirklich am Herzen liegt - und das scheint mir für den interreligiösen Dialog von ganz großer Bedeutung zu sein. Es kann aber gut sein, dass man dabei auch entdeckt: Wir können einander nicht überzeugen, weil Überzeugungen zu schaffen, Gewissheiten zu schaffen, eben kein menschenmögliches Werk ist, sondern - wir Christen würden sagen - vom Geist Gottes geschenkt werden muss. Und das begründet auch einen spezifischen Respekt vor der Glaubensüberzeugung des anderen. Eben die Gewissheit, dass eine Glaubensüberzeugung geschenkt sein muss und nicht gemacht werden kann. Wenn sie gemacht werden könnte, dann wären wir ganz schnell auf dem Weg zu Manipulationen der schlimmsten Art, die hergestellt werden müssten. Man kann das an totalitären Regimen sehen , die der Meinung sind, das Orientierungswissen lehrbar ist und deshalb Weltanschauungsunterricht etablieren und die Leute, die mit diesen weltanschaulichen Wahrheiten dann nicht übereinstimmen können, dann aus der Gesellschaft ausschließen müssen. Das ist meines Erachtens in den Religionen nicht der Fall, weil sie ein Bewusstsein davon haben, dass Wahrheitsgewissheit geschenkt sein muss und deswegen die Würde einer Person an dem Respekt vor ihren Glaubensgewissheiten hängt - und das muss auch im Dialog zum Tragen kommen. Im Übrigen kann es durchaus sein, dass der Dialog nicht zu einem Konsens führt, aber sehr wohl zu Möglichkeiten der Kooperation, die dann jeweils ganz unterschiedlich begründet sein mögen. Ich halte es z.B. für unsere Gesellschaft ganz wichtig, dass für den zentralen Begriff der Menschenwürde Begründungen gefunden werden, auf der einen Seite des christlichen Glaubens, aber auf der anderen Seite auch von muslimischen Gläubigen, von jüdischen Gläubigen oder auch von Menschen, die atheistische Überzeugungen haben, und dass diese unterschiedlichen Begründungen aber kooperieren können in der Realisierung von Menschenwürde in der Gesellschaft.

Rittberger-Klas: Lessings Ringparabel, das ist ja wahrscheinlich einer der berühmtesten Texte zum Thema religiöse Toleranz, die Ringparabel macht die Wahrheitsfrage zu einer sittlichen Frage: „Es eifre jeder seiner unbestochenen von Vorurteilen freien Liebe nach", das ist der Rat des Richters an die Söhne, die wissen wollen, welcher ihrer Ringe der echte ist. Das heißt, das sittlich richtige Verhalten erweist eine Religion als wahre Religion. Lässt sich die Wahrheitsfrage auch so lösen? Wäre das eine Lösung für unsere Gesellschaft, in der diese verschiedenen Kulturen, Religionen aufeinander treffen mit ihren unterschiedlichen Wahrheitsansprüchen?

Schwöbel: Richtig ist, dass die richtige sittliche Orientierung keine Alternative zur Wahrheitsfrage ist. Das rechte Handeln hängt immer ab von einer bestimmten Beschreibung der Wirklichkeit, von einem Wirklichkeitsverständnis, das mir Auskunft gibt über meine Handlungsmöglichkeiten, Handlungsmittel, Handlungsziele, die Tugenden, die dabei eine Rolle spielen mögen. Sittlichkeit ist also nicht von Wahrheit zu trennen. Nun ist es so, dass man sagen muss, Nathan der Weise ist ein ganz beeindruckendes Stück mit beeindruckenden Charakteren, Nathan selbst und natürlich Sultan Saladin. Bei der Ringparabel gibt es allerdings eine Prämisse, die ich für problematisch halte und von der ich der Auffassung bin, dass sie religiösen Gläubigen auch anderer Religionen nicht akzeptierbar ist. Der Richter geht mit dieser Empfehlung von der Voraussetzung aus: „Der echte Ring vermutlich ging verloren." Und das würde bedeuten, dass die unterschiedlichen Glaubenden nun auf der Basis von Ungewissheit handeln in Bezug auf die Wahrheit ihres Glaubens. Das würde meines Erachtens in der Selbstbeschreibung von Religionen nicht akzeptierbar sein, sondern in den Religionen wird gehandelt auf der Basis der Gewissheit von Wahrheit. Dabei zeigt sich noch etwas, was an der Ringparabel nicht so einfach ist: Wer soll denn entscheiden, was der richtige Ring ist? Gibt es eine dritte Position außerhalb derer, die nun den jeweiligen Ring besitzen, der ihnen vermacht worden ist? Das halte ich für ein großes Problem. Diese Position des Richters ist eine, die im menschlichen Miteinander unbesetzt bleiben muss. Wir verhandeln jeweils miteinander als Leute mit bestimmten Positionen und nicht als die unparteiischen Richter der Überzeugung anderer. Was Lessing allerdings ganz richtig gesehen hat, ist, dass die jeweiligen Wahrheitsüberzeugungen sich auch im Umgang miteinander zeigen. Und die Überzeugungskraft und die beeindruckenden Qualitäten einer Religion zeigen sich m.E. vor allem auch darin, wie sie mit Andersglaubenden umgeht. Und es wäre m.E. für die Überzeugungskraft des Christentums sehr viel gewonnen, wenn der respektvolle, tolerante, auf Kooperation abzielende Umgang mit den Andersglaubenden ein Aspekt des Zeugnisses des christlichen Glaubens in unserer Gesellschaft wäre.

Rittberger-Klas: Der Heilige Geist als „Geist der Wahrheit" - das ist ein Aspekt des Pfingstgeschehens. Es gibt noch viele andere Wirkungen, die dem Geist als dritter Person des dreieinigen Gottes zugeschrieben werden. Welche dieser Wirkungen ist Ihnen persönlich besonders teuer? Oder anders gefragt: Wenn Sie heute Pfingsten feiern, was feiern Sie dann?

Schwöbel: Die Verbindung, die immer wieder hergestellt worden ist zwischen dem Geist der Wahrheit und dem Geist der Freiheit, ist für mich besonders wichtig. Pfingsten ist ein Fest der Freiheit der Wahrheit. Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit, so heißt es schon bei Paulus, also das Herausgeführtwerden aus Formen der Knechtschaft, der Unterdrückung - wozu wahrscheinlich auch die Knechtschaft in unsere Illusionen und Selbsttäuschungen gehört - und damit Freiheit zu gewinnen, das halte ich für das Pfingstfest für besonders wichtig. Und das enthält auch eine Verheißung für unsere Kirche: Dass sie durch den Geist immer wieder neu in neue Freiheiten geführt wird. Dass sie also Gottes Gegenwart erlebt nicht nur als das Prinzip der Erhaltung des Bestehenden - und deswegen Selbsterhaltung das Gesetz des kirchlichen Handeln ist - sondern im Gegenteil der Aufbruch zu den Zielen, zu denen der Geist Gottes uns führt, und damit auch eine Offenheit. Denn die Zukunft ist das Reich des Geistes.

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SWR1 Begegnungen

Annette Bassler trifft Nora Weisbrod, Mitglied der Projektgruppe „Open Ohr Festival", Geschäftsführende Vorsitzende des Vereins „Tagwerk"begegnungen > weisbrod.JPG

Bei der Wahl des Bundespräsidenten Joachim Gauck war sie eine der jüngsten Wahlfrauen. Nora Weisbrod, 29 Jahre, Betriebswirtin. Für ihr Engagement im Verein „Aktion Tagwerk", an dem sich 190000 Schüler in Deutschland für Kinder in Afrika engagieren, wurde sie geehrt. Aber heute ist sie wie alle Jahre auf dem Open Ohr Festival in Mainz. Pfingstgeist zum Anfassen, wie ich finde.

Ja es ist eine besondere Pfingstatmosphäre und ja, es ist einfach auch so ein Treffen von vielen Bekannten, auch kennen lernen von neuen Leuten, es ist einfach mal die Füße hochlegen aber sich auch gleichzeitig auf Neues einlassen, weil das ist ja auch das Besondere des o Festival, dass es jedes Jahr unter einem Thema steht.

Teil 1 - Geistvolles Open- Ohr- Festival in Mainz

Eine hübsche blonde Frau in Jeans streckt mir freundlich die Hand entgegen. Das Büro, das sie mit Kolleginnen der Organisation Human Help Network teilt, liegt in der Mainzer Innenstadt. Mein Blick fällt auf ein Bücherregal, an dem hängen 6 abgeschnittene Krawatten. Na klar, hier arbeitet eine Mainzerin, die mit der Mainzer Fastnacht und Open- Ohr- Festival groß geworden ist.

Ich komm aus Mainz und bin an Pfingsten noch nie woanders gewesen. Das ist bis heute so, also mit meiner Familie bin ich dort und auch viele Freunde sind da und es ist eigentlich auch ein bisschen wie ein Familientreffen.

Bei dem allerdings meine Kinder ihre Eltern nicht dabei haben wollten. Aber es gibt auch junge Eltern mit Kleinkindern im Tragetuch. Und es gibt die Alt- 68er. Seit 38 Jahren verwandelt sich die Mainzer Innenstadt an Pfingsten in Little Woodstock. Open Ohr, das ist ein Multi- Kulti- Familienfest mit politischem Anspruch.

Ja, weil wir ein Festival sind, was alle Generationen ansprechen möchte, und das tun wir nach wie vor, das ist uns auch der freien Projektgruppe ganz wichtig an dem Programm, dass die kleinen Kinder schon ihr Programm haben und einfach mal über die Wiese rennen können, aber es auch gleichzeitig das Programm für die Jugendlichen gibt und das Programm für die 60, 70, 80jährigen- die es immer noch auf dem Festival gibt und das ist Tradition und soll es auch weiterhin Tradition sein.

Bestimmt die Projektgruppe. Und plant das Programm, lädt Musiker und Künstler ein, organisiert workshops rund um das Schwerpunktthema. Und das lautet diesmal „System Neustart". Neustart durch die vielen Protestbewegungen rund um die Erde, vom Stuttgarter Wutbürger über Occupy bis zum arabischen Frühling. Jugendliche diskutieren mit Fachreferenten aus der Politik über die Frage der Teilhabe. An Macht, an Wohlstand, an Entscheidungen der großen Politik. Open_ Ohr Festival, das ist Party und Streitkultur zugleich. Ganz im Geist von Pfingsten. Ein Multikulti- Event, bei dem sich Menschen zusammenstreiten.

Ich glaube auch, dass das Open Ohr Fest auch ein eigener Geist vielleicht ist und der auch die Menschen wieder zusammenbringt und das ist auch das Besondere für uns an dem Festival.

Mich erinnert das an die biblische Pfingstgeschichte. Wo damals Leute aus verschiedenen Ländern mit verschiedenen Sprachen zusammen waren. Jeder redete in seiner Sprache und doch haben sie sich verstanden. Dieser Geist, der ist ein Geschenk, man kann ihn nicht machen. Aber man kann gute Voraussetzungen dafür schaffen. begegnungen > weisbrod1.JPG

Jeder kann sein wie er will und das ist auch das Spannende, dass man verschiedene Leute kennen lernt und auch gemeinsam vielleicht bei den Foren diskutiert und Meinungen austauscht, die dann manchmal auch auf den Wiesen abends bei der Musik weitergehen.

Teil 2: Geistvolle Schülerinitiative „Aktion Tagwerk"

Jugendliche interessieren sich nicht für Politik, sie wollen nur Party und Spaß haben- das ist wohl das gängige Vorurteil vieler Erwachsener.

Also ich kann absolut nicht das teilen, dass man sagt: junge Leute sind uninteressiert oder Politikverdrossen, das würde ich überhaupt nicht sagen-

Schließlich haben 190 Tausend Schülerinnen und Schüler von der 1. bis zur 13. Klasse letztes Jahr an der „Aktion Tagwerk" mitgemacht. Einen Tag lang haben sie eine Arbeit übernommen. Und das dabei verdiente Geld der Organisation „Human Help Network" gegeben. Und damit die Bildung der Kinder in Afrika unterstützt. Das Besondere bei der Aktion: begegnungen > weisbrod2.JPG

Dass wir eben Formen anbieten, aber sich alle jungen Leute auch selbst anschauen können, wie wollen sie sich freiwillig an diesem Tag engagieren. Und -das merke ich schon auch, und grade im Rückblick auf 10 Jahre Aktion Tagwerk- wie kreativ diese jungen Leute auch sind.

Es ist dasselbe Prinzip, derselbe Geist wie beim Open- Ohr Festival in Mainz. Die Verantwortlichen geben Impulse und schaffen Räume. Und die Jugendlichen füllen diese Freiräume mit ihren eigenen kreativen Ideen und haben selber was davon.

Weil sie mal einen Tag hinter die Kulissen eines großen Theaters schauen oder auch in einem großen Unternehmen mal gucken, wie läuft denn eigentlich das, wie  funktioniert das Unternehmen. Und darum geht's eigentlich, dass man auch für sich selbst einen Nutzen hat und gleichzeitig etwas Gutes tut und da kann auch jeder stolz sein auf sein Tagwerk, was er dann macht an diesem Tag.

Nach 10 Jahren Vereinsarbeit sehe ich bei Nora Weisbrod keine Spur von Frust oder Erschöpfung. Wie ihr das gelingt?

Dadurch, dass so was lebt! Dass es nicht stillsteht dass es auch weitergeht. Und wir haben jedes Jahr viele Schüler, die neue Aktionen finden. Oder auch hier bei Aktion Tagwerk arbeiten wir viel mit Mitarbeitern im Freiwilligen sozialen Jahr, die für ein Jahr hier sind und ihre Ideen in die Kampagne reinbringen. Und das hält eine Kampagne lebendig und macht viel Freude.

Heiliger Geist- so würde die Bibel das nennen. Ein Geist, der alle beflügelt und erfüllt und Kraft gibt. Ob sie an so einen Geist glaubt? Über persönliche Glaubensdinge mag Nora Weisbrod nicht so gern reden, das geht ihr ein bisschen zu nah. Aber:

Ich glaube durchaus, dass der Glaube  oder auch Religion generell für einen selbst eine gewisse Sicherheit bringen, eine Konstante, und dass das genau in dieser Aufbruch- und Umbruchstimmung, die momentan zu spüren ist, vielleicht für viele ein Halt ist. Auch bei jungen Leuten immer wieder das Thema aufkommt und vielleicht wieder mehr als vor 30, 40 Jahren.

Räume schaffen, in denen Andere ihre Kreativität entfalten können, das nehme ich aus dem Gespräch mit als ein Anliegen an mich als Vertreterin der Elterngeneration mit. Und dass ich selbstbewusst meinen Glauben als Impuls in die Runde gebe. Dann aber Raum lasse, damit Gottes Geist und die Kreativität der Jugendlichen auch noch zum Zuge kommen.

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SWR2 Zum Feiertag

Maria Meesters im Gespräch mit Magnus Striet

Meesters: Zu Pfingsten stellt sich die Frage nach dem Heiligen Geist, denn die christlichen Kirchen feiern, bei uns sogar mit zwei Feiertagen, dass der Heilige Geist zu den Aposteln und zu Maria gekommen ist - 50 Tage nach Ostern, und dass er da eine Menge Bewegung ausgelöst hat.
Wer und was und wie dieser Heilige Geist ist, darüber spreche ich mit Prof. Magnus Striet. Er ist katholischer Theologe und lehrt an der Universität Freiburg.

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Herr Striet, die erste Quelle zum Thema Heiliger Geist ist ja wohl die Bibel, was findet sich da über ihn? 

Striet: Ja, was wir zunächst einmal finden das sind Versuche von Menschen, bestimmte Erfahrungen in Geschichten einzukleiden, also die berühmte Erzählung , wie man versammelt ist und der Geist über diese Menschen kommt. Also Menschen lassen sich offensichtlich bewegen auch nach dem Tod Jesu von diesem Gott, den dieser Mensch nahe gebracht hat, und sie finden sich nun selbst erfüllt von dem Geist, der der Geist Jesu ist. Also man muss hier ganz streng unterscheiden, das sind Geschichten, die erzählt werden, und in diesen Geschichten probieren Menschen ihre nachösterlichen Erfahrungen mit dem Jesus, mit dem Gott zu interpretieren, die sie tatsächlich in ihrem Leben machen.

Meesters: Das heißt, dieser Heilige Geist hängt auf jeden Fall ganz eng mit Jesus und mit seinem Leben zusammen.

Striet: Ja, das ist ganz strikt so einzuhalten. Der Geist, der hier beredet wird, der gefeiert wird, ist immer der Geist Jesu, und dieser Geist Jesu verweist auf den Gott, den Jesus selbst gelebt hat, ihn angesprochen hat, und das ist der Gott Israels, der Gott, der für die Menschen da sein will.

Meesters: Und welche Bedeutung haben dann diese Bilder? Also es wird ja erzählt, dass in Feuerzungen der Geist auf sie herabkommt.

Striet: Ja dieses Bild von den Feuerzungen will natürlich zum Ausdruck bringen, dass Menschen tatsächlich restlos von diesem Geist erfüllt sind, dass sie sich beanspruchen lassen, ihre eigene Existenz jetzt einbringen, und das auf verschiedenste Art und Weise. Also sie sind selber erfüllt davon, aber probieren jetzt auch nach außen das entsprechend zu erzählen. Also das Feuer, das brennt, wird im Bild von den Feuerzungen zum Ausdruck gebracht.

 Meesters: Bis hin - dass die Menschen sie für betrunken halten?

Striet: Offensichtlich ist es so wahrgenommen worden, dass diese Menschen voll ergriffen waren von dem Geist, der der Geist Jesu ist, und das hat befremdet, so wie es auch bis heute befremdet, wenn Menschen sich tatsächlich von Gott restlos in Anspruch nehmen lassen.

 Meesters: Mir wird der Heilige Geist anschaulicher noch durch Bilder wie Beistand, wie Tröster. Was sagen denn diese Bilder über ihn aus?

 Striet: Wir haben natürlich grundsätzlich das Problem, dass wir klären müssen: was macht eigentlich der Heilige Geist. Es gibt so die traditionelle Vorstellung, dass der Geist etwas im Menschen bewirkt. Ich wäre sehr vorsichtig mit so einer Ausdeutung, denn wenn wir tatsächlich bundesgeschichtlich denken, dass Gott einen Bund mit den Menschen eingeht, dann ist das immer strikt als ein Verhältnis zwischen Zweien zu begreifen: Der Gott, der sich frei zuwendet, und der Mensch, der frei antwortet. Das heißt, wenn sie Namensnennungen wie der Tröster, der Beistand nehmen. In dem Moment, wo sich Menschen sich auf diesen Gott einlassen, tatsächlich daran glauben können, dass sie sich immer bereits getröstet wissen dürfen, verändert sich ihr Leben. Der Druck, alles selbst leisten zu müssen, entgleitet, weil immer bereits mit einem Gott gerechnet wird, der noch mehr Möglichkeiten bereit hat, der tatsächlich Liebe ist, der ein Versprechen in die Welt gesetzt hat, und dann ist dieser Gott als Tröster, der als Tröster erscheinen wird, bereits in der Gegenwart da. Aber wichtig ist halt, immer zu sehen: es ist ein Freiheitsverhältnis, der Geist macht nichts im Menschen, weil wir auch sonst sofort die Frage uns stellen müssten: warum bewirkt er bei den einen etwas, und bei den anderen nichts? Viele Menschen, die diesen Geist nicht erfahren; sondern es ist ein strenges Verhältnis: Menschen lassen sich auf diesen Geist ein, und in dem Moment verändert sich ihr Leben. Wir können es auch im menschlichen Vergleich uns denken. In dem Moment, wo ich mich tatsächlich auf einen anderen Menschen einlasse, verändert sich mein Leben, weil ich jetzt in einer Beziehung existiere, und genauso ist es auch mit dem Geist Gottes zu verstehen. In dem Moment wo ich mich auf ihn einlasse, ihn in mein Leben hinein lasse, verändert sich mein Leben, weil ich mich jetzt als getröstet wissen darf.

 Meesters: Das heißt, da ist keine automatisch wirkende Kraft - er ist keine gegen den Willen von Menschen wirkende Kraft

 Striet: Genau. Es ist keine gegen den Willen wirkende Kraft, weil dieser Gott, den der Gott Jesu nahe gebracht hat, einer ist, der die Freiheit des Menschen ganz strikt achtet. Er will beim Menschen ankommen, aber er wird das nicht über die Freiheit der Menschen hinweg tun; das heißt, Menschen müssen sich auf ihn einlassen, und dann geschieht das. Gleichzeitig darf aber auch damit gerechnet werden, dass in dem Moment, wo Menschen sich nicht auf diesen Geist einlassen, diesen Gott einlassen, warum auch immer, Gott immer noch für sie da sein wird.

 Meesters: Der Heilige Geist gilt ja als eine der drei göttlichen Personen - wie ist denn diese Zuordnung zu verstehen? In wiefern ist der Geist Gott?

 Striet: Das ist eine der schwierigsten Fragen in der Theologiegeschichte, um die bis heute gerungen wird. Mir ist wichtig, dass man darauf hinweist, dass in der Person des Geistes die Gegenwart Gottes, des einen Gottes, zu allen Zeiten, in allen Kulturen ausgesagt wird, und das hängt eben damit zusammen, dass man diesen Gott als einen Gott aller Menschen glaubt. Als einen Gott von grenzenloser Menschenzugewandtheit, und deshalb ist auch damit zu rechnen, dass er immer gegenwärtig ist. Aber er ist gleichzeitig verborgen, weil er nur dann tatsächlich gegenwärtig sein kann, wenn Menschen ihn an sich heranlassen. Das Zueinander der drei göttlichen Personen, wie man sagt, ist eine komplexe Frage - also ich neige selber dazu, das so auszudeuten, dass tatsächlich drei gleich ursprüngliche Personen in Gott existieren, die die verschiedene Zuwendungsweisen des einen Gottes in die Geschichte hinein, in die Kulturen hinein, zum Ausdruck zu bringen versuchen.

 Meesters: Ich persönlich setze sehr viel Hoffnung auf den Heiligen Geist, und zwar in dem Sinne: Ich stelle mir immer vor, dass der Heilige Geist im Menschen die Fragen nach Gott wachhält und, etwas salopp gesagt, dafür sorgt, dass die Antworten nicht so total daneben liegen.

 Striet: Ja damit kann ich mich gut befreunden. Tatsächlich gehe ich auch davon aus, dass Gott gegenwärtig ist, um mich wirbt, da sein will für den Menschen, allerdings möchte ich immer auch darauf achten, dass es tatsächlich der Mensch ist, der sich ausstreckt nach diesem Gott, so dass es ein wirkliches Zueinander ist, das sich als Freiheitsverhältnis ausdrückt. Aber in der Tat würde ich auch sagen, diese Faszination, die Gott für uns sein will, die durchschimmert durch seine Welt, durch seine Schöpfung, durch die Geschichte, durch menschliche Erfahrungen, die lassen sich dann als Geisterfahrungen ausdeuten.

 Meesters:  Pfingsten wird ja oft das Geburtsfest der Kirche genannt. Halten Sie das für angemessen, und wie ist das Verhältnis Heiliger Geist und Kirche zu sehen?

 Striet: Ja ich halte das für angemessen, wenn man nicht einen zu engen Kirchenbegriff, einen zu fixierten Kirchenbegriff anlegt. Wenn man zunächst einmal unter Kirche diejenigen zusammenfasst, die sich auf diesen Gott, der in Jesus offenbar geworden ist, einlässt, dann ist das Pfingstfest tatsächlich die Schilderung der Entstehung der Kirche. Und dass das dann auch Strukturen gewinnt, ist selbstverständlich. Menschen leben in Strukturen, aber gleichzeitig ist es auch eine Weite mit zu sehen, denn der Geist, der da offenbar wird, sich kirchlich darstellt, ist kein Geist, der einengt, der Menschen fixiert, sondern der in die Weite des Lebens, in die Weite der Freiheit hineinführen will. Deshalb kann auch nur eine Kirche sich auf den Geist, der an Pfingsten gefeiert wird, berufen, die eine Kirche der Freiheit ist.

 Meesters: Es gibt so eine etwas geheimnisvolle Formulierung. Das ist die so genannte „Sünde wider den Heiligen Geist". Davon ist in der Bibel die Rede. Die Sünde wider den Heiligen Geist, die nicht vergeben werden könne.

 Striet: Der Vers hat mich als Student sehr beunruhigt. Ich wusste nie so richtig, wie ich ihn ausdeuten soll. Ich würde folgenden Vorschlag machen: Die Sünde wider den Heiligen Geist ist im Glauben selbst zu erlernen. Also nur diejenigen, die bereits in diesen Glauben hinein gelangt sind, können beginnen, zu sündigen. Das hieße, die Sünde wider den Heiligen Geist wäre: in dem Glauben zu sein, anfänglich ihn riskiert zu haben, und dann doch wieder ängstlich auf die alten Möglichkeiten zurückzufallen, d.h. ängstlich man selbst sein zu wollen, wie der dänische Philosoph Kierkegaard es formuliert hat. Warum kann dann diese Sünde nicht vergeben werden? Weil Gott nicht über die Freiheit des Menschen hinweg gehen kann und will. Weil er ein Freund des Menschen sein will. Aber das ist nicht moralisch rigoristisch zu verstehen, sondern sie kann nicht vergeben werden, weil Gott darauf hofft, dass der Mensch selbst zurückfindet in diesen Glauben. Aber jetzt kann man natürlich die Frage stellen, wenn Gott tatsächlich eines Tages allen Menschen offenbar sein wird, also in dem, was wir dann Himmel nennen, ob dann tatsächlich noch Menschen diese Sünde wider den Heiligen Geist leben wollen. Denn wenn Gott tatsächlich unbedingt vorbehaltlose Liebe ist, werden sich alle Menschen auf ihn einlassen

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SWR2 Wort zum Sonntag

Der heutige Sonntag steht unter dem Namen „Trinitatis" - „Dreieinigkeit". Er stellt eine wichtige Zäsur im Kirchenjahr dar.
Als ich irgendwann in der Grundschule im Religionsunterricht den Verlauf des Kirchenjahres lernte, war ich enttäuscht darüber, dass die Zeit nach Trinitatis so unermesslich „langweilig" ist. Vom Adventsfestkreis über Weihnachten, die Passions- und Osterzeit bis hin zu Himmelfahrt und Pfingsten sind die Sonn- und Feiertage vielseitig und lebendig. Da geschieht etwas. Da werden Geschichten erzählt. Von Trinitatis an aber sind die Sonntage einfach nur noch durchgezählt: 1., 2., 3. ... bis zum soundsovielten Sonntag nach Trinitatis irgendwann im November.
Doch diese Gliederung des Jahreslaufs hat ihren Sinn: Bis zum Pfingstfest baut sich für uns Christen schrittweise die Erkenntnis Gottes auf. Wir werden sozusagen Sonntag für Sonntag mit den unterschiedlichen Seiten Gottes vertraut gemacht - mit seiner Schöpfermacht und mit seiner Menschenfreundlichkeit, mit seiner Nähe in unserem Herzen und unserem Bewusstsein.
Dass Gott der Schöpfer Licht und Leben schafft, ist die Botschaft im Advent und in der Epiphaniaszeit. Dass Gott uns im Menschen Jesus Christus menschlich wird, dass er ein von uns berührter und berührbarer Gott ist, ist Thema von Weihnachten bis zur Passionswoche. Dass Jesus mit der Kraft Gottes alles Lebensverneinende besiegt hat und wir daran Anteil haben, ist die Botschaft an Ostern. Und dass uns Gott in seinem Geist immer wieder nahe kommt und unser Denken, Fühlen und Handeln leitet - das ist die Erfahrung, die an Pfingsten gefeiert wird.
Gott ist vielseitig und er ist vielgestaltig: Er ist Schöpfer und Herr, König und Vater, Mutter und Leben, Mensch, Wegbegleiter und Heiler, Geist und Klarheit.
Für die Alte Kirche war darum der erste Sonntag nach Pfingsten der Tag, an dem gefeiert werden sollte, dass Gott sich uns umfassend und auf vielerlei Weise geoffenbart hat. In der Redeweise von der Dreifaltigkeit oder der Dreieinigkeit Gottes wird diese Einsicht zusammengefasst. Und das Geheimnis der Dreieinigkeit Gottes sollte am Trinitatis-Sonntag bedacht, ja meditiert und angebetet werden.
Dreieinigkeit bedeutet nicht: Gott ist zugleich dreifach und doch einer. Es geht nicht um eine falsche Mathematik, wie manche Religionskritiker vorrechnen. Wobei die alten ikonografischen Symbole für Dreieinigkeit ausdrucksstärker sind und mehr Wahrheit besitzen als das vulgärphilosophische Argument uns glauben machen will, nichts könne gleichzeitig dreifach und einfach sein. Das Dreieck zum Beispiel: Es hat drei Seiten und ist doch eine Figur.
Wo liegt das Problem? Vielleicht darin, dass wir durch die altkirchliche Redeweise von den drei „Personen" in der einen Gottheit zum Addieren verführt werden - und schon tauchen in der Vorstellung drei „Götter" auf. Doch das alte Wort „Person" meint etwas Anderes als unser modernes Verständnis des Wortes. Im Griechischen ist von „Angesichtern" die Rede. Und „Angesicht" meint hier die dem Gegenüber zugewandte, „geoffenbarte" Seite.
Der Gedanke der Dreieinigkeit Gottes ist die logische Konsequenz aus der Erfahrung der ersten Christen, dass Gott der Lenker der Geschichte Israels und Jesus der Christus ist. Dass er Jesus Christus ist und dessen Geist, der uns erleuchtet und entzündet, Erkenntnis und Liebe in uns wirkt.
Für mich hat die Rede vom dreieinen Gott eine ganz einfache und überzeugende Pointe: Gott ist uns Menschen auf vielerlei Weise nahe und offenbar, und doch bleibt er in dieser seiner Vielgestaltigkeit für uns immer er selbst - er bleibt sich treu. Der Gedanke der Dreieinigkeit macht ernst mit der Erfahrung, dass die uns zugewandte Seite Gottes unterschiedliche Angesichter, Ansichten zeigt, und doch er in alledem einer und stets derselbe Gott ist - nämlich der, dessen Wesen die Liebe ist.

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SWR1 Begegnungen

Pfarrer Wolf-Dieter Steinmann trifft Christian Wolff, Pfarrer an der Thomaskirche in Leipzig

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Bach im Blick
Das hat doch was, wenn alte Herrschaften noch fit und munter sind, geistig auf der Höhe, sich Humor bewahrt haben. Die Kirche z.B. immerhin wird sie an Pfingsten schon fast 2000. Dafür hat sie sich ganz gut gehalten, findet Christian Wolff, heute Pfarrer an der Thomaskirche in Leipzig.

Angesichts des hohen Alters ist es ja dann doch erstaunlich, dass wir immer noch nicht auf der Pflegestation sind, sondern eigentlich im Vergleich zu vielen anderen gesellschaftlichen Gruppen sehr lebendig sind.

Christian Wolff ist 1992, bald nach der Wende nach Leipzig gegangen, aus Mannheim. Von West nach Ost also, an die Thomaskirche. Eine Kirche mit großer geistiger und musikalischer Tradition, Johann Sebastian Bach hat hier lange gewirkt.

Christian Wolff bereut es bis heute nicht. Im Gegenteil. Er hat Spannendes erlebt.
Er sieht gut aus mit seinen Anfang 60, die Haare grau, aber immer noch drahtig und voller Energie. Obwohl er einiges hinter sich hat. Auch privat. Seine erste Frau, die damals mitgegangen ist, lebt nicht mehr. Inzwischen ist Christian Wolff wieder verheiratet. Er hat den Schritt nach Leipzig nicht bereut. Auch beruflich nicht. Man spürt es, wie er davon spricht. Freudigen Stolz, Feuer und Begeisterung spüre ich, auch zu Pfingsten.

Wir sind die einzige Kirchgemeinde hier in Sachsen, die an Pfingstmontagvormittag zusammen mit der katholischen Gemeinde einen ökumenischen Gottesdienst feiert. Hier am Bachdenkmal. In diesem Jahr zum Thema: „Alles nur heiße Luft?"

Christian Wolff freut sich auf gutes Wetter und auf über 500 Menschen, die mit ihm den Geist Gottes feiern. Der wie „heiße Luft" einerseits schwer zu fassen ist, und doch zu spüren. In der Musik. In der Atmosphäre zwischen den Menschen. Und ich glaube, auch persönlich hat er in den fast 20 Jahren als Pfarrer in Leipzig immer wieder diesen Geist gespürt, als kreativen Rückenwind. Aber auch als kritische Korrektur z.B. wenn er umdenken musste, neue Wege suchen.

Eine erstaunliche Erfahrung ist, ich werde ja in jedem Gottesdienst reichlich beschenkt, vor allem durch die Musik. Was für mich im Rückblick vor allem auch ganz wichtig ist, nämlich der Zusammenhang von Glaube und Bildung. Ich habe es nicht für möglich gehalten, dass ich mich noch einmal so stark beschäftige mit dem Bildungsauftrag der Kirchen. Das war für mich immer eher ein Randthema. In Klammern: Die schönste Grunderfahrung hier in Leipzig ist: Wie viel ich neu durchdenken musste und an wie vielen Stellen ich auch meine Meinung ändern musste.

Neu denken: In Krisen ist das besonders wichtig. Ich bin sicher das kommt auch auf uns hier im Südwesten noch zu. An der Thomaskirche haben sie sich vieles einfallen lassen.
Praktisches: Den Thomasshop. Sogar ein öffentliches WC unter dem Kirchhof als Einnahmequelle und Telefonzentrale zugleich.
Und richtig große Projekte. Christian Wolff denkt als Christ weit hinaus über den Raum der Kirche. Z.B. mit dem „forum thomanum": Um Thomanerchor und -schule herum entstehen Kita und Grundschule. Ziel: umfassende Bildung.

Das ist etwas Wunderbares, dass wir also diesen Dreiklang "glauben- singen -lernen", dass wir den jetzt auch hier  in die Stadt kommunizieren. Und ich denke insgesamt für die Bildung ist dieser Dreiklang von größter Bedeutung. (Aber) Wir wollen damit auch ausstrahlen auf die gesamte Bildung, dass wir sagen, ‚Leute denkt über diese drei Säulen nach: Ohne die geht's eigentlich nirgendwo.

‚Glaube - Musik - und Wissen' gehören für ihn zusammen. Menschen sollen nicht eindimensional und egoistisch werden, sondern weit und offen.

Städte sind ohne Kirchen nicht lebensfähig
Sich klein zu machen und bescheiden zu ducken, das ist nicht Christian Wolffs Ding. Und es wäre für ihn auch nicht christlich.

Ich habe hier gelernt, es gibt kein Gesundschrumpfen, schrumpfen ist ein Krankheitsprozess. Deswegen ist für mich wichtig, dass wir werben für Mitgliedschaft in der Kirche, für aktive Beteiligung an einem wunderbaren Gesamtthema des Lebens, nämlich dem christlichen Glauben.

Glaube ist wichtig. Das hat ihm das Leben in der atheistisch geprägten Umgebung erneut gezeigt. Für den Einzelnen. Aber auch für das Zusammenleben. Darum mischt sich Christian Wolff als Christ ein in die politischen Debatten in Leipzig.

Im Sinn dessen, dass wir stärker über die Grundfragen unseres Zusammenlebens debattieren, dass wir diese schreckliche Verengung auf Finanzfragen überwinden, dass wir uns Gedanken darüber machen: Wie wollen wir eigentlich zusammenleben? Und im Übrigen sollten wir immer wieder darauf hinweisen: Städte ohne Kirchen sind nicht lebensfähig! Das haben 40 Jahre DDR gezeigt. Jeder Politiker, der in einer Kommune tätig ist, wird sehr schnell merken: Die verlässlichsten Partner für ihn sind die Kirchgemeinden.

Erstaunlich für meine Ohren. Ermutigend für mich. Er sagt das für Leipzig, wo Christen ja in der Minderheit sind. Für ihn ist klar, christliche Werte müssen das Gespräch über unsere Zukunft mit prägen. Auch an der Universität, bei der Ausbildung von Wissenschaftlern und Führungskräften.

Woher kommt es, dass in den Chefetagen unserer Gesellschaft so viel Fehlleistungen auch sind? Weil in der Ausbildung auch vernachlässigt wird eine kritische Auseinandersetzung mit den Grundwerten unserer Gesellschaft und das ist ohne lebendige Auseinandersetzung mit den Grundwerten der jüdisch-christlichen Glaubenstradition nicht zu machen.

Und das gilt letztlich nicht nur für eine Stadt oder ein Land, sondern für die ganze Erde.

Als Christen haben wir eine Weltverantwortung. Wir haben aber gleichzeitig auch die Aufgabe, vor jeder Verengung von Globalisierung auf die Finanzmärkte zu warnen und dem auch entgegen zu treten.

Das christlich geprägte Wort für Globalisierung ist für Christian Wolff „Ökumene". Und damit meint er nicht nur die Gemeinschaft der Christen, sondern die Gemeinschaft aller Menschen auf unserer einen Welt. Wie wir Zusammenleben dafür sind Christen mitverantwortlich. Wir sind Weltbürger. Geprägt vom Geist Jesu. Diese Verantwortung ist keine Last für die Kirche. Sondern herausfordernd, spannend und bereichernd. Ich glaube, auch deshalb mag er Pfingsten, den Geburtstag der Kirche, und wünscht uns:

Dass das eine Geburtstagsfeier ist, dh dass wir uns darüber freuen, dass es das Geburtstagskind gibt und dass wir feiernd uns auch bewusst machen, was wir diesem Geburtstagskind verdanken, nämlich einen Grund und Sinn des Lebens, den wir nicht herstellen müssen.

Als Christ kann ich glauben, der Sinn des Lebens ist von Gott gegeben.

 

Mehr Informationen zur Thomaskirche Leipzig
http://www.thomaskirche.org/

zum Thomanerchor und dem „forum thomanum"
http://www.thomana2012.de/
http://www.forum-thomanum.de/
http://www.leipzig-online.de/thomanerchor/

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SWR2 Wort zum Tag

Noch eine Woche bis Pfingsten. Pfingsten? Da hat doch Jesus geheiratet! Diese Antwort hört man öfter mal bei Umfragen. Der Heilige Geist, um den es an Pfingsten tatsächlich geht, ist vielen nicht bekannt. Was soll man sich darunter auch vorstellen? Geist, und heilig? Die Bibel hat Bilder dafür: Wind, Sturm, Atem, Feuer sind die wichtigsten. Manchmal heißt er in der Bibel auch Beistand. Also muss der Heilige Geist kräftig sein und hilfreich, und gleichzeitig unscheinbar.
Vielleicht kennen Sie folgende Situation: Ich bin gut vorbereitet für eine Arbeit, ein Gespräch oder auch für ein Fest, habe an alles gedacht – und trotzdem ist da immer etwas, das ich nicht in der Hand habe, das von irgendwoher dazukommen muss. Damit der Funke überspringt, damit aus Teilen ein Ganzes wird, eine runde Sache; damit Leute sich verstehen; damit ich in einem Problem, bei einem Gespräch plötzlich einen Ausweg sehe, wie’s weitergehen kann. So etwas lässt sich vorbereiten, dafür kann ich eine Menge tun, aber ich habe es nie so ganz in der Hand. Da muss irgendetwas dazukommen, von außen, vielleicht auch von innen, das keiner der Beteiligten erzwingen kann.
Diese Erfahrung ist für mich eine Brücke zum Heiligen Geist, so wie die Bibel ihn vorstellt. Könnte es nicht sein, dass der Heilige Geist wie dieses gewisse Etwas ist?
Im Johannesevangelium steht: Der Geist ... wird euch in die ganze Wahrheit führen (16,13).Vielleicht passiert das ja gar nicht so feierlich und großartig, sondern indem der Geist genau jenen entscheidenden Funken springen lässt, mit dessen Hilfe ich plötzlich vieles verstehe. Die Bruchstücke fügen sich zusammen – jetzt sehe ich, was wirklich ist.
Und was ist die Wahrheit des Heiligen Geistes? Dass wir die Welt erst dann richtig sehen, wenn wir Gott in ihr sehen oder wenigstens ahnen. Manchmal vielleicht nur, dass der Geist uns merken lässt: Ohne Gott hängt die Welt in der Luft, und dass der Geist uns Sehnsucht ins Herz gibt. Sehnsucht ist ein Anfang für die Wahrheit unserer Welt und unseres Lebens. Ein erster, kräftig glühender Funke des Heiligen Geistes.
Ich wünsche mir, dass wir diesen Funken immer merken, wenn er kommt, und dass wir dann kräftig draufblasen, damit er ordentlich glüht.
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SWR2 Wort zum Sonntag

11MAI2008
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Verehrte Hörerinnen und Hörer!

Zu den Wissenschaften, die in den letzten Jahren mit staunenerregenden For-schungsergebnissen aufwarten konnten, gehört zweifellos die Hirnforschung. Im-mer neue Methoden werden entwickelt, um dem Geheimnis unseres Denkens auf die Spur zu kommen. Mit Hilfe von sogenannten bildgebenden Verfahren kann sichtbar gemacht werden, welche Hirnpartien bei bestimmten Vorgängen aktiv sind. In Gelb und Orange leuchten sie auf den Bildschirmen.

Mit diesen Erkenntnissen taucht aber auch die Frage auf, was denn Denken über-haupt ist. Sind tatsächlich wir es, die denken, oder werden wir gedacht? Manche Hirnforscher haben bereits die radikale Konsequenz gezogen: Sie halten das Ich des Menschen für eine Illusion und das, was wir Geist nennen, für eine giganti-sche Selbsttäuschung, die letztlich in nichts anderem besteht als in einem komple-xen Zusammenwirken physiologischer und chemischer Prozesse in den Nerven-zellen. Nur weil wir Menschen es bisher nicht besser wussten, so behaupten sie, konnten wir uns dem Glauben hingeben, es gäbe ein Ich, das selbstständig denkt, fühlt und entscheidet. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis die wahren Zusam-menhänge entschlüsselt sind und uns die Augen aufgehen, wie es wirklich um uns steht. Dann ist es freilich auch um unsere Freiheit geschehen. Denn dann sind wir keine eigenständigen Subjekte mehr, die darüber entscheiden, was sie sagen oder tun. Wir bleiben zurück als ausführende Organe, die lediglich das umsetzen, wozu uns elektrische Reize und chemische Prozesse in unserem Gehirn stimulieren.

Theorien dieser Art - zumal dann, wenn sie mit einem entsprechenden Pathos vor-getragen werden - erschrecken. Doch sollten wir uns nicht vorschnell in die Enge treiben lassen. Denn wieso sollten wir einer Behauptung Glauben schenken, die ihrer eigenen Logik nach nicht mehr sein kann als das Produkt einer mehr oder weniger zufälligen Verkettung chemischer Reaktionen im Gehirn derer, die sie sich ausgedacht haben?

Mir scheint es da vernünftiger, der Botschaft des Pfingstfestes zu glauben, das wir Christen an diesem Sonntag feiern. Pfingsten ist das Bekenntnis zur Existenz des Geistes Gottes, zur Überzeugung, dass der Ursprung unserer Welt nicht in einer Eruption des Zufalls liegt, sondern in Gottes schöpferischer Vernunft. Die ist nicht nur auf den Raum der Kirche begrenzt, sondern steht als Schöpfergeist am Beginn allen Lebens. Nicht umsonst stellt die katholische Liturgie heute ein Wort aus dem Buch der Weisheit an ihren Anfang: »Der Geist des Herrn erfüllt den Erdkreis. In ihm hat alles Bestand« (Weish 1,7). Genügend Hinweise dazu hat der Schöpfer selbst ausgestreut: In der atemberaubenden Schönheit der Natur, im faszinieren-den Zusammenwirken ihrer Gesetze, in der überbordenden Vielfalt der Arten ...

Pfingsten bliebe allerdings ein naives Schöpfungsfest, sähen wir nicht auch die zerstörerischen Kräfte, die in der Schöpfung vorhanden sind, und die entsetzlichen Versuchungen, die selbst in den allerbesten Endeckungen des menschlichen Geis-tes lauern. Augustinus hat Recht, wenn er sagt: »Wissen allein macht traurig.« Wäre der Geist Gottes nur Vernunft, so müsste uns das bodenlos deprimieren an-gesichts der Komplexität und der Gefährdungen, denen wir Menschen ausgesetzt sind.

Nun ist aber der Geist, den der Auferstandene am Pfingsttag den Jüngern schenkt, nicht bloß der Geist der göttlichen Vernunft, sondern der Liebe, mit der er nicht nur die Seinen, sondern alle Menschen liebt. An Pfingsten entpuppt sich diese Liebe als die eigentliche Vernunft. Die Vernunft, die am Ursprung unserer Welt steht, heißt Liebe. Sie ist die geheime Formel, »die den Erdkreis zusammenhält«. Sie ist die einfachste und die zugleich anspruchsvollste Formel, die wir Menschen kennen. Mit ihr kann man die Welt und die Menschen über alle Barrieren von Sprache, Kultur und Bildung hinweg verstehen.

Ich wünsche Ihnen ein frohes Pfingstfest! https://www.kirche-im-swr.de/?m=3680
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SWR1 Begegnungen

Grillfeste, Open Air Konzerte und Gottesdienste im Freien- das hat Tradition an Pfingsten.
Und das hat etwas mit der Begeisterung zu tun und der Lebenslust, die fürs Christsein typisch ist. Oder sein sollte. Wie damals, an Pfingsten, als der Heilige Geist über die Jünger kam.
Wie war es möglich, dass diese kleine Sekte der Christen in so kurzer Zeit zu einer Weltreligion werden konnte?
Klaus Berger ist in seinem neuesten Buch „die Urchristen“ über 360 Seiten dieser Frage nachgegangen. Er sieht die Initialzündung für die Kirche lange vor Pfingsten, in der Gestalt Jesu selbst, der sich 12 Jünger gesucht und mit ihnen das letzte Abendmahl gefeiert hat.

Ich denke Jesus selber hat dafür die Grundlage gelegt, indem er einen neuen Bund gestiftet hat, eine juristische Institution beim letzten Mahl und indem er 12 Repräsentanten des neuen Israel gerufen hat und außerdem: die Grundlage im Judentum und Christentum geht es immer um Gott und ein Volk und natürlich wollte Jesus ein neues Volk.

Teil 1
Ich sitze mit Klaus Berger in seinem Arbeitszimmer. Dass ein Professor viele Bücher hat, ist zu erwarten. Dass das Wandregal voll ist von alten Büchern mit braunem Schweinslederrücken, nicht unbedingt. Das älteste, ein handgeschriebenes Evangeliar, stammt aus der Zeit, als Luther die Reformation ausrief, also dem 16. Jahrhundert. Alte Kommentare und Urschriften anderer Religionen aus dem Mittelmeerraum liest er grundsätzlich im Urtext: in aramäisch, syrisch, koptisch und arabisch. Schließlich hat er diese Sprachen auch studiert. Und er möchte vergleichen zwischen den Anderen und den christlichen Texten.

Mir liegt die Geschichte am Herzen. Dafür lebe ich in alten Bibelkommentaren, das heißt in Geschichte. Die ist für mich immer wichtig, weil wir da herkommen und weil die Urgemeinde die Urchristen in ihren Anschauungen ein guter Kommentar sind zu Jesus. Man kann Jesus besser verstehen und vieles ist vor allen Dingen auf dem gemeinsamen Boden des Judentums gewachsen. Das Judentum ist der gemeinsame Boden für alle neutestamentlichen Autoren wie für Jesus selber und dadurch wirkt das Ganze doch enger zusammen.

Dieses historische Entstehen war ein Gewaltiges. Aus einer Lokalveranstaltung unter Fischern und Bauern im letzten Winkel der Antike- im Galiläa der Jünger Jesu- wurde innerhalb von wenigen Generationen eine Weltreligion. Wie war das möglich? Welche Sprengkraft war da am Werke? Dieser spannenden Frage geht Berger in den 360 Seiten seines neuesten Buches über die Urchristen nach.

Das frühe Christentum hat sich durchgesetzt, weil es den Glauben an den menschlichen Gott verbunden hat mit der intensiven Zuwendung zu den Menschen. In dem, was man Diakonie oder Charitas nennt.

Schon in der Antike also haben die Menschen das auseinandersortiert: den persönlichen Glauben einerseits und das Alltagsverhalten andererseits. Den Privatglauben und die Welt der Politik und Moral. Die ersten Christen waren für ihre Zeitgenossen überraschend. Überraschend war-

Dass die Christen die Kinder nicht ausgesetzt haben, im Unterschied zur üblichen Praxis, dass die Frauen keine Sache waren, auf die man beliebig verzichten konnte, sondern dass die Ehe nicht scheidbar war, dass man die Gefangenen besucht hat und die Kranken besucht hat, dass die Krankheit selber geadelt wurde als Weg mit Christus zu Gott , all diese Dinge, die den Menschen ernst nehmen, das war entscheidend für das frühe Christentum.

Das Verhalten im Alltag - besonders gegenüber den Schwachen war nichts anderes als die sichtbare Seite des Glaubens. Das zweite überraschende Moment der Christen: Sie waren keine Gemeinschaft von moralisch hoch stehenden Menschen, die sich nichts zuschulden haben kommen lassen. Sogar ein Petrus, der Jesus im entscheidenden Moment verraten hat, macht Karriere in der Gemeinde.

Das heißt, man rechnet mit Menschen, die nicht einfach Sünder sind und rausgeschmissen werden, sondern mit Menschen, die sich entwickeln können auf dem Weg ihres eigenen Versagens immer noch Gott begegnen. Das ist die Überzeugung, weil es sich um einen barmherzigen, vergebenden Gott handelt und die Umkehr, siehe Petrus, immer möglich ist, zu jedem Zeitpunkt.

Teil 2
Jesus verkündigte das Reich Gottes und was dann kam, war die Kirche. So haben viele Pfarrer schon gepredigt. Und das wirkt bis heute. Jesus, sagen viele, der überzeugt. Was er gesagt und getan hat, Respekt! Und die ersten Christen, die haben noch alles miteinander geteilt und haben wirklich geglaubt. Doch von da an gings bergab, heißt es oft.
Dem gegenüber weiß Berger: eine ideale Christengemeinde hat es nie gegeben. Das waren Wunschträume, Projektionen. Christen waren schon immer zerstritten. Sie haben über alles gestritten, und zwar öffentlich.

Es gab eine christliche Öffentlichkeit und zwar eine Öffentlichkeit zwischen den Gemeinden, sodass der Bischof der einen Gemeinde einer anderen Gemeinde schreiben konnte, wenn da Probleme auftraten. Sodass die Gemeinden nicht vor sich hin gekriselt haben und vor sich hingeschmort sind, sondern es gab immer wieder sich einmischen von Gemeinden in christliche Gemeinden, weil offenbar das Empfinden zusammenzugehören stärker war als alles Andere.

Und es half, die verschiedenen Positionen auszuhalten. Immerhin verdanken wir der öffentlichen Debatte die meisten der Briefe, die im Neuen Testament erhalten sind. Briefe, von denen wir heute noch lernen und an denen wir uns heute noch wärmen können.
Dass diese Briefe und die Evangelien – 27 Schriften an der Zahl- dann verbindlich für alle Christinnen und Christen in der Welt zum Neuen Testament wurde, das ist für Klaus Berger bis heute eins der großen Wunder. Schließlich waren damals dreimal so viele christliche Schriften im Umlauf.
Zwei Besonderheiten sieht Berger im Christlichen Glauben:
Der Glaube an den unsichtbaren Gott- und die Gemeinde als Familienmodell, mit allen Konsequenzen:

Das Entscheidende am Glauben ist - die Unsichtbarkeit Gottes auszuhalten, dass man sich an ein Gegenüber bindet, das man nicht sieht und in der Regel nicht wahrnimmt, das wie abwesend scheint und - die anderen Christen auszuhalten, die angeblich die Brüder und Schwestern im Glauben sind, aber das ist halt wie in einer Familie, wo man einander nicht loswird. Und das Christentum ist ja soziologisch gesehen der Beginn einer neuen Familienstruktur.

Kirche als eine neue und besondere Art von Familie. Brüder und Schwestern im Glauben, die man eigentlich nicht mehr loswerden kann. Warum? Weil man einen gemeinsamen Vater im Himmel hat. Bleibt die Frage: Hat Jesus eine Kirche gewollt? Wollte er eine Organisation, eine Institution, die weiter trägt, was er gesagt und gelebt hat? Klaus Berger ist davon überzeugt.

Ich denke Jesus selber hat dafür die Grundlage gelegt, indem er einen neuen Bund gestiftet hat, eine juristische Institution beim letzten Mahl und indem er 12 Repräsentanten des neuen Israel gerufen hat und außerdem: die Grundlage im Judentum und Christentum geht es immer um Gott und ein Volk und natürlich wollte Jesus ein neues Volk.

Ein neues Volk von Christinnen und Christen, die wissen: wir leben mit unseren Fehlern, wir machen was draus, wir kümmern uns um die Schwächsten und geben niemanden auf. Und wir glauben, dass Gott uns liebt. Das ist der neue Geist, den wir feiern. Heute an diesem schönen Pfingstsonntag. https://www.kirche-im-swr.de/?m=3684
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