SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

Teil 1
Am Geburtstag redet man nur Gutes über das Geburtstagskind - erst recht, wenn die Jubilarin schon eine ältere Dame ist und auch dann, wenn man weiß: es ist durchaus nicht immer einfach mit ihr und sie hat auch schwierige Seiten. Das zu klären ist an anderen Tagen dran und auch wichtig, wenn man miteinander auskommen will. Aber am Geburtstag redet man von ihren Stärken. Man redet von dem, was man der alten Dame zu verdanken hat und wofür sie womöglich immer noch gebraucht wird.
An Pfingsten feiern wir nun heute den Geburtstag der Kirche. Nicht irgendeiner Kirche - also nicht die katholische oder die evangelische hat Geburtstag, auch nicht eine der vielen Freikirchen - heute feiern alle zusammen. Die erste christliche Gemeinde hat sich zusammengefunden, in Jerusalem vor fast 2000 Jahren. Gottes Geist, hat damals den Leuten Mut gemacht und Hoffnung, im Geiste Jesu miteinander zu leben (Apg. 2). So erzählt das die Bibel. Im Laufe der Zeit hat sich diese Bewegung über die ganze Welt verbreitet und in manchen Fragen gibt es inzwischen unterschiedliche Meinungen. Deshalb haben wir jetzt viele Kirchen. Gott sei Dank haben die Christen es wenigstens gelernt, mit ihren Unterschiedlichkeiten friedlich zusammen zu leben. Heute aber feiern alle Christen Pfingsten - den Geburtstag ihrer Kirche.
Und da soll man nur Gutes reden von der Jubilarin? Was kann man denn Gutes sagen von der Kirche? Was sind Ihre Verdienste? Viele möchten wahrscheinlich lieber ihre Fehler auflisten, von den Kreuzzügen bis zu den Missbrauchsfällen.
Aber gibt es nicht auch „Brot für die Welt", Diakonie und Caritas - Einrichtungen, die sich um die kümmern, um die sich sonst kaum einer kümmern würde. Dass Menschen auch für die verantwortlich sind, die nicht direkt zur eigenen Familie gehören, das kann man ja auch anders sehen. Ist nicht überhaupt die Nächstenliebe, eine Idee, die auf Jesus zurück geht? Und die Kirchen und die Christen haben das weiter geführt. Inzwischen ist die Verantwortung für die Schwachen nicht mehr wegzudenken aus unserer Gesellschaft. Allerdings reden inzwischen viele lieber von Solidarität. Dass Juden und Christen es waren, die uns beigebracht haben: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!" - das ist inzwischen fast schon in Vergessenheit geraten. Und manche sagen, immer mehr gerät auch die Solidarität mit den Schwachen in Vergessenheit. Und in Zeiten der Krise gilt dann eher: „Jeder ist sich selbst der Nächste".
Da ist jeder und jede wichtig, finde ich, der erinnert: „Liebe Deinen Nächsten, wie dich selbst." Jeder Christ und jede Christin. Und die Kirchen auch. Jedem einzelnen allein würde sonst bald die Puste ausgehen.

2. Teil
Pfingsten. Die Kirche hat Geburtstag. Was kann man da Gutes von Ihr sagen? Was haben wir der Kirche zu verdanken?
Ich finde, es ist wichtig, dass die Kirche uns erinnert: Gott gibt seine Welt nicht auf. Davon sprechen die Kirchengebäude und die Gemälde und Figuren darin. Daran erinnern uns die Lieder, die dort gesungen werden und die Geschichten, die erzählt werden. Vor allem die Geschichten erzählen von den Erfahrungen, die man mit Gott machen kann, mitten im Alltag. Und sie laden ein, sich in den Erfahrungen wieder zu erkennen und wenn es nötig ist den eigenen Kurs neu zu bestimmen, damit man wieder erlebt und spürt, wie schön das Leben sein kann.
Und sie sind keineswegs alt und verstaubt, die biblischen Geschichten, von denen die Kirche erzählt. Da ist die Geschichte von dem Mann, der gar nicht aufhören kann mit schaffen und sorgen und vorsorgen - und der darüber das Leben versäumt und was wirklich wichtig ist. Oder die Geschichte von der Mutter, die nichts abgeben kann, weil sie alles, was sie hat, für sich und ihren Sohn braucht. Und die erlebt: Als sie dann doch mit einem teilt, der noch weniger hat als sie - da reicht es wirklich für alle drei. Oder die Geschichte von der Frau, die fremd gegangen ist. Wer weiß, was sie dazu bewogen hat. Jesus gibt sie nicht auf. Er verurteilt sie auch nicht. Er sagt ihr: sündige nicht mehr. Bring dein Leben in Ordnung. Wie vielen Ehen und Beziehungen heute täte es gut, wenn sie es so versuchen würden. Ohne Verurteilung und ohne gleich alles hinzuschmeißen. Stattdessen erst einmal sehen, ob und wie sich das Leben der betroffenen Menschen in Ordnung bringen lässt.
Solche Geschichten zu erzählen - das ist nicht einfach Moral predigen. Das sind Erfahrungen, die andere gemacht haben. An denen kann ich mich orientieren und dann tun, was in meiner Situation das Richtige ist. Dass sie diese Geschichten immer neu erzählt, das verdanken wir der Kirche, meine ich. Und ich glaube, solche Geschichten sind wichtig, damit wir heute sehen, wie Menschen gut miteinander leben können. Wir sollten sie nicht in Vergessenheit geraten lassen.
Aber die Menschen, die in der Kirche solche Geschichten erzählen, die machen doch selbst auch nicht alles richtig, machen sogar vieles verkehrt. Die sind doch nicht glaubwürdig, wenn sie dann noch solche Geschichten erzählen. Das sagen viele.
Aber, genau hingeschaut, reden sie ja nicht von sich selbst, die Christen und Christinnen, wenn sie biblische Geschichten erzählen und hoffen, dass man daraus für die Gegenwart lernen kann. Sie geben die Erfahrungen anderer weiter. Und geben damit vor allem die Hoffnung weiter. Die Hoffnung, dass es auch heute so gehen könnte, wie es Menschen schon früher erlebt haben. Die Kirche hält die Hoffnung wach mit ihren Geschichten.

Heute hat sie Geburtstag. Ich jedenfalls wünsche ihr, dass sie rüstig genug bleibt für diese Aufgabe.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8330
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