SWR2 Wort zum Sonntag

Welche Sinne brauche ich, um die Kirche wahrzunehmen? Diese Frage geht mir immer dann durch den Kopf, wenn ich auf meinem Weg in die Innenstadt an einem bestimmten Geschäft vorbeikomme. Die Auslagen im Schaufenster signalisieren eine Mischung aus östlicher Religion und Esoterik. Und aus der meist geöffneten Tür strömt ein Duft heraus, eine Mischung aus Räucherkerzen und ätherischen Ölen, die den Sinnen der Vorbeieilenden ein verheißungsvolles Wohlgefühl versprechen. Der Duft passt zu dem, was dort verkauft wird. Man kann das dort feil gebotene religiöse Versprechen riechen und schmecken.

Immer wieder, wenn ich an dem Geschäft vorbeigehe, verlangsame ich  meinen Schritt und nehme eine Nase voll Sinnennahrung mit. Und dann frage ich mich regelmäßig, wonach denn die Kirche riecht. Und ob man ihre Angebote auch schmecken kann. Die römisch-katholische Kirche mag da immerhin noch mit Weihrauch locken. Aber wie ist es da denn um die evangelische Kirche bestellt?

Um die Kirche mit meinen Sinnen wahrzunehmen, reicht es nicht aus zu schmecken und zu sehen. Es braucht dazu nicht selten noch einen weiteren Sinn, nämlich das Gehör. Wer heute an einer offenen Kirchentür vorbeigeht, hört das Singen der Gemeinde. Und hört womöglich noch häufiger als sonst einen Chor, eine Gesangssolistin. Hört einen Bläserkreis oder ein kleines Instrumentenensemble.

Das ist kein Zufall. Heute ist im Kirchenjahr der Sonntag Kantate. Kantate ist ein Imperativ. Singt! heißt der mit einem Wort übersetzt. Seit ihren Anfängen können die Menschen die Kirche am Singen erkennen. Lieder des Lobens und des Klagens, Lieder, die einfach schön sind und zu Herzen gehen. Am Anfang waren es Psalmen und kurze Bekenntnistexte. Nicht selten auch Lieder des Widerstandes. Mit der Zeit wurden die Texte ausführlicher und erzählender. Und ab dem 16. Jahrhundert, nach der Reformation, entstehen dann die Choräle mit manchmal über 20 Strophen. Viele stehen auch heute noch im Gesangbuch. Und viele Feste des Kirchenjahres sind ohne die dazugehörigen Lieder gar nicht zu denken. Zu Ostern gehört das gesungene Bekenntnis „Christ ist erstanden". An Pfingsten wird in den Gottesdiensten häufig wieder „O komm, du Geist der Wahrheit" gesungen.

Singen, vor allem das gemeinsame Singen, das tut nicht nur einfach gut. Singen hat eine heilende Wirkung. Wenn wir Singen - das hat die Wissenschaft längst nachgewiesen - produziert unser Körper Stoffe, die das Glücksgefühl und die Gesundheit fördern. Unser Gehirn schüttet so genannte Transmitter aus, die jene Nerven aktivieren, die unsere Sinnen und Emotionen fördern Wer singt, versorgt seine Seele also mit einer Art Seelendroge, die höchst bekömmlich und gesundheitsfördernd  ist. Dass Menschen singend zugleich auch noch wichtige Botschaften des Glaubens in ihr Gedächtnis einschreiben, ist eine wichtige Begleiterscheinung. Wir müssen unser Singen aber gar nicht verzwecken. Wir müssen nicht gleich wieder ein Ziel damit erreichen. Es reicht, dass wir uns und anderen damit gut tun. Auch das Lob Gottes und der Schöpfung klingt singend am schönsten.

Die Kirche schmeckt also nach guten Worten. Worte, die gesprochen werden. Aber viel stärker noch, Worte, die wir singen. Schmecket und sehet, wie freundlich Gott zu uns Menschen ist, heißt es in der Liturgie des Abendmahls. Und Paulus schreibt der Gemeinde in Korinth: „Ihr seid ein Wohlgeruch Christi!" Und ein Wohlklang dazu, möchte ich gleich anfügen. Und beim nächsten Mal, wenn mir der Duft aus dem Geschäft mit den Ölen und Räucherkerzen in die Nase steigt, singe ich leise einfach eine Liedstrophe. Weil meine Art zu glauben zu Ohren und dann zu Herzen geht. Und weil ich möchte, dass auch andere Menschen Geschmack an meinen Glauben finden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8200
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