SWR4 Abendgedanken BW

Lasst Euch die Kindheit nicht austreiben! In einer Ansprache an Schulkinder schärft Erich Kästner es einmal ein. Lasst euch die Kindheit nicht austreiben. Nur wer erwachsen wird und Kind bleibt, ist ein Mensch!

Wie keine andere Zeit im Jahr ist die Advents- und Weihnachtszeit geeignet, wieder der eigenen Kindheit zu begegnen. Und den Wünschen der Kindheit.
Mein größter Kinderwunsch war ein Roller mit Ballonreifen, luftgefedert. Der nicht so übers Pflaster knatterte wie mein alter Roller mit den Holzrädern und dem Eisenring. Er ist unerfüllt geblieben, dieser Kinderwunsch – aber vielleicht steckte er hinter meinem späteren Drang zum Motorradfahren. Und das konnte ich mir dann selbst ermöglichen und konnte auch wieder Abstand dazu gewinnen.

Jetzt werden wieder Wunschzettel verfasst. Meinen ersten habe ich wahrscheinlich ganz naiv geschrieben und mit vielen Fehlern, unbekümmert, so wie es mir in den Sinn kam. Je älter man wird, umso komplizierter wird es mit dem Wunschzettel.
Welche Wünsche soll ich aufschreiben und damit man öffentlich machen? Welche Wünsche behalte ich lieber für mich? Denn wenn ich ganz ungeschützt meine Wünsche äußere, mache ich mich angreifbar und verletzbar für spöttische Kommentare: was willst Du denn damit?
Ich muss mich entscheiden: Soll ich viele Wünsche aufschreiben, oder ist es besser, ich beschränke mich auf die wirklich wichtigen? Welcher Wunsch soll ganz oben stehen? Wie schütze ich mich vor Enttäuschungen, wenn ein wichtiger Wunsch nicht erfüllt wird?
Weil’s immer schwieriger wird, lässt man es schließlich sein und behauptet: Wunschzettel schreiben, das ist was für Kinder. So dachte wohl auch meine Mutter damals. Wenn wir sie nach ihrem Wunschzettel fragten, wich sie aus ins Unerfüllbare: Das einzige, was ich mir wünsche, sind liebe Kinder! Aber diese Antwort machte uns eher ratlos und setzte uns unter Druck.

Nur wer erwachsen wird und Kind bleibt, ist ein Mensch, behauptet Erich Kästner.
Der Erwachsene in mir hat gelernt, meine eigenen Wünsche kritisch anzuschauen. Ich bin realistischer geworden, will mich vor Enttäuschungen schützen. Und ich habe gelernt: Auch erfüllte Wünsche können Enttäuschungen in sich tragen.
Das Kind in mir aber sagt: Verlerne trotzdem nicht das Wünschen und vergiss die Wünsche der Kindheit nicht. Vergiss nicht, wie heftig Kinderwünsche sein können. Und wie es nicht nur die Kinderseele verletzen kann, wenn Wünsche lächerlich gemacht werden. Die Wünsche nach Anerkennung und Respekt zum Beispiel oder der Wunsch nach Frieden.
Lasst Euch die Kindheit nicht austreiben! https://www.kirche-im-swr.de/?m=7242
weiterlesen...