SWR2 Wort zum Sonntag

Pfingsten ist anders. Während Weihnachten und Ostern ein buntes Brauchtum um sich herum entwickelt haben, angeführt vom Weihnachtsmann und vom Osterhasen, wirkt das Pfingstfest eher nüchtern.

Vermutlich hatte schon Johann Wolfgang von Goethe ein Verständnisproblem und hat aus Pfingsten „das liebliche Fest“ gemacht, an dem Feld und Wald wieder grünen, die Vögel ihr fröhliches Lied erklingen lassen und Himmel und Erde heiter glänzen.

Dabei ist Pfingsten alles andere als ein nüchternes Fest. Den Menschen, die das erste Pfingstfest damals in Jerusalem erleben, vergeht bei ihrer Zusammenkunft Hören und Sehen. Sie werden Zeugen eines gewaltigen Brausens, so berichtet es die Apostelgeschichte.
Was geschieht, erinnert an den Schöpfungshymnus am Anfang der Bibel. Damals schwebt der Geist Gottes auf dem Wasser und lässt aus der Erde, die wüst und leer war, einen geordneten Lebensraum entstehen. Aus Chaos wurde Kosmos, aus Finsternis Licht.
An diese Erinnerung knüpft Pfingsten an: es ist die Wiederbegegnung und die Wie-derbelebung mit dem Geist Gottes. Aus dem chaotischen Gemenge zusammen gewürfelter Menschen wird eine Gemeinschaft Aus dem babylonischen Sprachgewirr wächst Verständnis füreinander. Herkunft und Hautfarbe, Alter und Geschlecht, Sprachen und Dialekte verlieren ihre Bedeutung.

Nicht allein also, dass an Pfingsten die Natur erwacht. Es erwachen vor allem die Menschen. Der Geist Gottes beendet alle Nüchternheit. Er fährt hinein in das trockene Stroh enttäuschter Hoffnungen und leerer Worte. Und entzündet sie zu einer neuen Vision. Nach den Karfreitagserfahrungen von Verlust und Zerstreuung bekommen die Menschen ihre Träume zurück.

Pfingsten heute: Ein Fest gegen die Nüchternheit. Gegen die trockene Bilanzierung des Lebens, bei der nur zählt, was in Zahlen ausgedrückt werden kann. Ein Fest gegen Apathie und Interesselosigkeit. Gegen die Grauzonen, wo sich Helles und Dunkles vermischen, weil ja sowieso alles egal ist.

Pfingsten ist geistvoller Widerspruch! Martin Luther hat in einem Pfingstlied in wun-derbarer Vermählung von theologischer Weisheit und poetischer Ausdruckskraft den an Pfingsten wirkenden heiligen Geist „ein lebend Brunn, Lieb’ und Feuer“ genannt.
Der Brunnen – das ist der Schöpfergott, aus dessen Händen die Welt ans Licht gehoben wird, so wie eine Hebamme das neugeborene Kind ans Licht hebt.
Die Liebe, das ist Geist auf der Beziehungsebene! Geist Gottes als das Liebesband, das Menschen zusammenbringt. Als Emotion, mit der wir aus uns herausgehen. Als Netz, das Beziehungen erstellt und erhält.

Schließlich: der Geist als Feuer! In alten Bibeln wird die Pfingstbegeisterung als Feuerflamme - schwebend über dem Haupt der Christen- dargestellt. Als Symbol für die von Christus angefachte neue Bewegung des Glaubens.

Zugleich gilt: diesen Geist haben wir nicht, so sachlich und nüchtern wie wir uns in dieser Welt eingerichtet haben. Es hat darum einen tiefen Sinn, wenn wir am An-fang eines jeden Gottesdienstes unsere leeren Hände ausstrecken und darum bit-ten: „Komm, heiliger Geist!“
Das soll klar machen, wir haben keine Verfügungsmacht über den Antrieb unseres Lebens. Sondern sind Wartende, Hoffende, Eingeladene.
Eingeladen an den Tisch der Sehnsucht, von dem der Romantiker Novalis schrieb:

„Hätten die Nüchternen / Einmal gekostet, / Alles verließen sie, / Und setzten sich zu uns / An den Tisch der Sehnsucht, / Der nie leer wird.“

Der Tisch der Sehnsucht ist an Pfingsten reichlich gedeckt. Mit frischem Schwung und gutem Geist! https://www.kirche-im-swr.de/?m=6106
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