SWR4 Abendgedanken BW

„Schön, das ist ja Venedig“ – so habe ich mich gefreut über eine Urlaubskarte in meinem Briefkasten. Der Anblick dieser Stadt erinnert mich an eine ganz besonders schöne Situation: Ein sonniger Spätsommertag. Wir nähern uns der Stadt vom Meer aus und auf einmal beginnen alle Kirchenglocken zu läuten, es ist 12 Uhr mittags.
Ein grandioser Augenblick! So viele Glocken vereinen sich zu einem beeindruckenden Klangerlebnis. Ich war ganz überwältigt. Da passiert was zwischen Himmel und Erde, so kam es mir vor.
Der Klang der Kirchenglocken. Ich mag ihn. Auch wenn er viel bescheidener daher kommt. Von einem einzigen Kirchturm und mit einem einfachen Glockenspiel.
Ihr Klang weckt in mir ein Gefühl der Geborgenheit, ein heimatliches Gefühl.
In ländlichen Gegenden kann man die Glocken oft weithin hören und sich daran orientieren, zu den verschiedenen Tageszeiten. Ich erinnere mich, wie ich als Kind nach Hause gelaufen bin, wenn es gegen Abend geläutet hat, weil ich gewusst habe, jetzt werde ich erwartet.
In den Großstädten von heute ist das anders. Manchmal ist das Glockenläuten im Straßenlärm gar nicht mehr so richtig wahrzunehmen.
Wenn ich sie aber mal mitten im geschäftigen Treiben höre, dann erlebe ich, wie mich das berührt. Und manchmal halte ich inne. Warum rennst du hier eigentlich so durch die Gegend, jetzt mach’ doch mal `ne kurze Pause.
Dann kann ich Dinge und Menschen um mich herum viel bewusster wahrnehmen. Und manchmal wandern meine Gedanken auch himmelwärts – dankbar oder auch bittend.
Wie eng der Klang der Glocken früher mit dem Leben der Menschen verbunden war, hat Friedrich Schiller in seiner berühmten Ballade von der Glocke ausführlich beschrieben.
Erich Kästner hat sich da kürzer ausgedrückt:
„Wenn im Turm die Glocken läuten, kann das vielerlei bedeuten: Erstens: dass ein Festtag ist, dann: dass du geboren bist, Drittens: dass dich jemand liebt, viertens, dass es dich nicht mehr gibt...“
Ein Menschenleben im Zeitraffer!
Ich meine, auch heute noch kann mir das Glockenläuten ein Gespür für meine Lebenszeit geben und dafür, wie ich sie ein wenig bewusster gestalten kann.
Und weil viele Kirchenglocken ja schon Hunderte von Jahren erklingen, sind sie auch irgendwie eine Verbindung zwischen Zeit und Ewigkeit. Eine Verbindung zwischen dem so ganz weltlichen Alltagsleben und der Besinnung auf Religiöses, auf Gott.
Und nicht zuletzt erklingen die Glocken auch heute noch zum Lobpreis Gottes.
Sie sind ein besonderes Erkennungszeichen des christlichen Europas.
Und ich meine, ihr Klang tut vielen Menschen in ihrem Alltag gut. https://www.kirche-im-swr.de/?m=4442
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