SWR Kultur Lied zum Sonntag

22SEP2024
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Darf ich vorstellen: eine Grille. Mit ihrem Zirpen hat sie gleich einen großen Auftritt im heutigen Lied zum Sonntag. Aber das kleine Tierchen ist nicht allein auf unserer imaginären Bühne. Da ist noch einer, der ihr zuhört: der heilige Franz von Assisi, der im 13. Jahrhundert gelebt und gewirkt hat. Was mit der Grille und dem heiligen Franziskus passiert sein soll, das steht in einem Gedicht aus der Feder des Konstanzer Kirchenmannes Ignaz Heinrich von Wessenberg, geschrieben vor etwa 200 Jahren. Es beginnt so: „Franziskus einst, der heilge saß vor seiner Zell und Psalmen las. Der Abend durch die Wipfel glüht, als durch der Dämmrung Stille mit hellem Flügelschlag ihr Lied ertönen lässt die Grille.“ Diese kleine Story wird sogar zur Musik, wenn der romantische Komponist Carl Loewe sie als Lied mit Klavierbegleitung vertont.

 

Musik 2: Legende „Der heilige Franziskus” von Ignaz Heinrich von Wessenberg (unter dem Titel „Das Lob Gottes”) und Carl Loewe; mit Dietrich Fischer-Dieskau (Bariton) und Jörg Demus (Klavier)

 

Franziskus einst, der Heilge saß

vor seiner Zell und Psalmen las.

Der Abend durch die Wipfel glüht,

als durch der Dämmrung Stille 

mit hellem Flügelschlag

ihr Lied ertönen lässt die Grille.

 

Jetzt könnte sich Franz von Assisi gestört fühlen in seinem Psalmengebet, von einer Grille. Aber er hat die Tiere ja hoch geschätzt und sogar den Vögeln gepredigt. Deshalb fühlt er sich im Gedicht von Wessenberg auch gar nicht gestört, sondern inspiriert. Ohne lange zu überlegen, schlägt er sein Gebetbuch zu und betet einfach mit der Grille mit.

 

Musik 3: „Der heilige Franziskus” (Fortsetzung)

 

Gott preist das Grillchen für den Tau,

der es erquickt auf grüner Au.

Der Heilge schlägt den Psalter zu,

denn schöner, wollts ihm scheinen,

ruf’ ihm das fromme Grillchen zu:

Wie groß ist Gott, wie groß ist Gott,

wie groß ist Gott im Kleinen!

 

„Wie groß ist Gott im Kleinen!“ Das ist doch ein schönes Motto für den heutigen Sonntag. Vielleicht höre oder sehe ich Heiliges und Göttliches in manchen kleinen Dingen: in einem Lied, in einem glücklichen Moment. Vielleicht sehe ich etwas Schönes in der Natur: die Wolken oder einen imposanten Baum im Wald beim Spazierengehen. Oder ich höre den Gesang der Vögel mit ganz neuen Ohren. Franz von Assisi macht es uns vor: Er war aufmerksam und konnte über das Kleine staunen. Nicht nur über den wunderbaren Gesang einer Nachtigall, sondern auch über das Zirpen einer Grille.

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