SWR3 Gedanken

19SEP2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

In meiner Familie gibt es einen Schmerz, der über das hinaus geht, was Trauer macht, wenn Großeltern sterben oder alte Eltern. Ein Tod zur Unzeit, plötzlich. Ein harter Schnitt, der das Leben in ein Vorher und ein Nachher teilt. Ein Tod, der das Leben völlig durcheinanderbringt. Der Schmerz ist nun zehn Jahre alt. Damals ist mein Bruder bei einem Unfall gestorben. Der Schmerz darüber lässt nicht schlafen, und der Morgen danach fühlt sich an, als hätte man die ganze Nacht an einem Presslufthammer gestanden.

Kopf und Glieder, der ganze Körper verheert. Der Schmerz ist ein alter Bekannter. Ich weiß, ich muss ihm entgegentreten und mich vor ihm aufrichten. An einem solchen Tag mache ich mir am Morgen einen besonders feinen Cappuccino. Ich dusche lang und zieh mich sorgfältig an. Ich arbeite nicht und gehe nur ans Telefon, wenn jemand dran ist, der meine Tränen versteht und aushalten kann. Ich koche sein Lieblingsgericht, höre seine Musik, gehe ans Grab und rede lang auf ihn ein. Ich treffe mich mit seinen Lieblingsmenschen. Gemeinsam machen wir, was er liebte. Gehen an seinen See, schwimmen lange.

Ein Lied hat er uns hinterlassen, da heißt es: Wollt ihr mich sehn, so schließt die Augen, wollt ihr mich hören, so lauscht dem Wind. Schaut in die Sterne, geht zum Fluss. Soll ich ganz nah bei euch sein, besucht mich hier bei meinem Stein.

Da stehen wir, und manchmal gelingt es zu spüren, dass der Schmerz getragen ist. Mehr nicht. Aber es hilft.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40656
weiterlesen...