SWR Kultur Wort zum Tag

02SEP2024
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Manchmal kann es problematisch sein, nur die Leute aus den ersten Reihen im Blick zu haben. Das habe ich auf einer Reise auf dem Flughafen von Rom erlebt. Ich war unterwegs nach Ghana, um dort einige Kirchengemeinden zu besuchen und musste in Rom in ein anderes Flugzeug umsteigen. Mit vielen anderen Flugreisenden habe ich im großen Gedränge am Gate gewartet, um rechtzeitig an Bord gehen zu können.

Um einen riesigen Ansturm zu verhindern und das Onboarding möglichst geordnet durchzuführen, hat die aufsichtführende Stewardess zunächst nur die Reihen 1-6 aufgerufen. Doch leider ist niemand nach vorn zum Schalter gekommen. Auch nach 10, 20, 30 min nicht. Warum das so war, hat sich mir nicht erschlossen. Stattdessen wurde immer mehr gedrückt und geschoben, es war das totale Chaos. Zum Glück haben es die meisten mit Humor genommen. Irgendwann wurde jeder neue Aufruf dann nur noch mit Gelächter kommentiert. Es folgten nun auch Aufrufe für die Reihen 7-15, für weitere Gruppen jedoch nicht. Eigenartig! Irgendwann ist dann schließlich ein weiterer Stewart gekommen und hat einfach alle Anwesenden an Bord gelassen. Mit einer Stunde Verspätung sind wir dann endlich vollbesetzt gestartet.

Was mich das lehrt? Manchmal ist es anscheinend notwendig, den Fokus zu weiten und das große Ganze in den Blick zu nehmen. Wo etwas nicht funktioniert, müssen die Dinge eben angepasst werden. Damit es weitergehen kann. Und das große Ziel erreicht wird. In diesem Fall, dass alle an Bord sind.

Auf meinem Platz in Reihe 24 hatte ich dann viel Zeit, darüber nachzudenken, wie wichtig das ist. Dass letztlich alle an Bord sind. Das gilt ja nicht nur für das Fliegen. Ich meine, es gilt auch für unsere Gesellschaft. Im sozialen Miteinander, in Wirtschaftsfragen, im Klimaschutz. Oft habe ich den Eindruck, dass in den sozialen Medien und in zunehmendem Maße auch in der Politik der Fokus nur auf ganz bestimmte Gruppen oder Anliegen gerichtet wird, und andere und anderes gar nicht im Blick ist. Und damit auch nicht das große Ganze einer Gesellschaft: nämlich der Zusammenhalt. Das gelingt doch nur, wenn alle irgendwie an Bord sind. Es kann nicht nur um die „Reihen 1-6“ gehen. Das betrifft z.B. auch die Frage zwischen den Generationen. Wenn auf der einen Seite nur die Alten und auf der anderen Seite nur die Jungen im Blick sind, wird es gesamtgesellschaftlich ziemlich schiefgehen. Für eine gemeinsame Zukunft müssen alle mit an Bord sein.

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