SWR1 Begegnungen

01SEP2024
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Markus Wolter Copyright: Misereor

Martin Wolf trifft Markus Wolter von Misereor.

Heute, am 1. September, beginnt in vielen christlichen Kirchen die sogenannte Schöpfungszeit. Fünf Wochen lang will sie den Blick bewusst auf die bedrohte Schöpfung lenken. Dazu habe ich Markus Wolter getroffen. Geografie, Agrarökonomie und Bodenkunde hat er studiert und als Biolandwirt gearbeitet. Heute ist er beim Hilfswerk Misereor in Aachen für Landwirtschaft und weltweite Ernährung zuständig. Und unsere Ernährung, sagt er, habe ganz viel zu tun mit der Bewahrung der Schöpfung. Es müsse sich etwas verändern.

34 Prozent der Treibhausgasemissionen kommen aus dem Ernährungssystem, und zwar so, wie wir es derzeit handhaben, eben mit sehr hohen Anteilen an Entwaldung für Soja oder Rindermast zum Beispiel, oder eben für Stickstoffdünger, die sehr, sehr hohe Treibhausgasemissionen haben … Und daher ist es dringend geboten, dass wir das ändern, hin zu dem, wie Landwirtschaft auch sein kann, nämlich lebensfreundlich und lebensdienlich.

Das geht aber letztlich nur, wenn viele bereit sind mitzuziehen. Deshalb hält Markus Wolter auch nichts von einseitigem Bauern-Bashing.

Landwirte stehen ja unter einem unfassbaren Druck. Und da ist jetzt eben die Politik gefordert, das auch einzulösen, was sie versprochen hat, nämlich die Förderung und die Wertschätzung der bäuerlichen Landwirtschaft. Die ganzen Subventionen, die aus Brüssel kommen, müssen so umverteilt werden, dass eben auch die Leistungen honoriert werden, die ich zum Tierschutz, zum Klimaschutz, zum Gewässerschutz mache. Das ist bislang nicht der Fall. Wenn diese Rahmenbedingungen sich nicht ändern, dann wird es eben so bleiben.

 Kann ich auch selbst was dafür tun, dass sich etwas ändert?

Essen ist politisch und damit können wir eine ganze Menge bewegen, weil jeder Einkauf von mir im Lebensmittelbereich immer ein Einkommen für den Bauern ist. Und je pflanzlicher ich mich ernähre, desto besser für die Mitwelt. Und wenn das auch noch ein Bauer ist, den ich kenne, aus der Nähe, dann ist schon mal viel gewonnen.

Menschen im globalen Süden erleben die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen ja oft viel dramatischer. Vor einiger Zeit war Markus Wolter für Misereor in Südamerika.

Bolivien hatte eine 3-jährige, ganz schlimme Dürre hinter sich. Menschen in Bolivien sind sehr stark auch noch von der indigenen Kultur geprägt und sind sehr katholisch geprägt. Und in diesem Konsensus zu sagen: nein, wir können so nicht weitermachen, wir tun der Erde weh und wir müssen da anders mit umgehen! Was ich jetzt in Bolivien sehr toll gesehen habe, das ist diese Kultur der Agroforstwirtschaft. Das ist eine Kombination aus ackerbaulicher Nutzung und eben einer forstlichen Nutzung. Und das ist eine Kombination aus Bodendeckern wie Ingwer und Kurkuma. Und dann wird Gemüse angebaut und Obst, wie Ananas und Chili, Tomaten. Das ist wie so ein Stockwerk, bis zu 30 Meter hohe Kokosplantagen, die dann da sind.

 Was sich für mich als Laien ziemlich aufwändig anhört. Warum macht das Sinn?

 Wir brauchen die Vielfalt, wir brauchen die Abwechslung. In Bolivien sind wir auf einem wissenschaftlichen Betrieb gewesen, wo das System mit dem Agroforst dreimal mehr Artenvielfalt aufgewiesen hat wie eine Kakao-Monokultur mit Pestizideinsatz. Und das finde ich faszinierend, dass es eine Gewinnsituation für jeden der Beteiligten ist. Sowohl für den Bauern als auch eben für die Tierwelt und die Schöpfung, die sich daraufhin einstellt.

Das Konzept, Ackerbau mit Bäumen zu kombinieren, klingt faszinierend. Ich frage mich aber, ob so ein zusätzlicher Aufwand bei uns überhaupt möglich ist.

Dieser Arbeitsaspekt ist ein ganz wichtiger Aspekt. Aber es gibt tatsächlich die ersten Landwirte, die genau aus den Gründen wie im globalen Süden, dort Bäume einsetzen. Ich war jetzt vor einiger Zeit im Schwarzwald, wo es tatsächlich die Jahre vorher auch schon erste Trockenschäden gab. Und da haben die Bauern dort in ihren Kartoffel- und Dinkelacker und auf ihren Weiden mit den Milchkühen tatsächlich jetzt Agroforstlinien eingezogen, die man eben dann auch trotzdem noch mit Maschinen gut bearbeiten kann.

Die Schöpfung ist ja ein Thema in vielen Religionen. Kann Religion tatsächlich einen nötigen Wandel unterstützen?

Da liegt eine ganz große Chance drin, von Religionen. Die Menschen, die ich erlebt habe, die es aus einer tiefen Überzeugung heraus machen und getragen sind aus dieser Überzeugung, dass ich eben auch nicht alleine bin und dass ich verbunden bin mit der Schöpfung und mit einer göttlichen Kraft, dass das zu ganz, ganz tollen, Ergebnissen und Umkehren geführt hat.

 Und von der Kirche? Gibt es da Unterstützung?

 Papst Franziskus hat ja eine ganz tolle Veröffentlichung gemacht, die uns da ganz stark hilft in unserer Arbeit, weil sie eben eine Grundlage dafür schafft: Ja, wir sind in einem gemeinsamen Haus und dieses Haus brennt und wir zerstören dieses Haus.

„Laudato Si“ heißt diese Veröffentlichung und erinnert damit an Verse aus dem „Sonnengesang“ des Heiligen Franz von Assisi. Mit dessen Gedenktag am 4. Oktober endet auch die Schöpfungszeit. In seinem Sonnengesang sieht Franz alles, was ihn umgibt, als Schwestern und Brüder. Können wir uns da etwas von ihm abschauen?

Also meine Lieblingsgeschichte von Bruder Franz ist die Geschichte des Wolfes von Gubbio, wo er mit dem tanzt. Das finde ich eine wunderschöne Geschichte darüber: wie können wir denn miteinander leben, statt gegeneinander? Den Anderen, das Insekt, den Wolf, was auch immer als Feind zu betrachten. Es gibt den Feind nicht, sondern dieser Feind, mit dem kann man tanzen, mit dem kann man sich auseinandersetzen, und kann versuchen, gemeinsam Lösungen zu finden. Und ich glaube, da steckt eine Riesenkraft und ein großer Vorbildcharakter. Als einer der großen Mystiker, der in seiner unfassbaren Liebe zur Schöpfung und in seiner unfassbaren Liebe zu Jesus Christus da ein Vorbild für uns alle sein kann.

 

 

Weitere Infos unter:

https://www.misereor.de/presse/expertinnen-und-experten/markus-wolter-landwirtschaft-und-welternaehrung

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40611
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