SWR4 Abendgedanken

26JUL2024
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Als ich ein Schüler war, da habe ich immer gedacht: Menschen, die 60 Jahre alt sind, sind uralt und eigentlich fast schon tot. Jetzt bin ich 60 Jahre alt. Und ich fühle mich noch überhaupt nicht tot. Ich fühle mich noch ziemlich lebendig. Ich stehe noch mitten im Beruf, meine Kinder sind teilweise noch in der Ausbildung und ich freue mich über fünf Enkelkinder. Da ist noch ganz schön viel Leben drin. Hätte ich als Schüler nicht gedacht.

Und dennoch ist mir eines bewusst geworden: Auch wenn ich noch ziemlich lebendig bin, meine Lebenszeit ist dennoch begrenzt. Ich habe definitiv schon viel mehr Jahre hinter mir als noch vor mir. Die Zeit verfliegt immer schneller. Und darum muss ich mich mit dem Gedanken anfreunden, dass nicht mehr alles in meinem Leben möglich ist, was ich mir vielleicht wünschen würde. In sieben Jahren gehe ich spätestens in Rente. Ich muss mir überlegen, was ich noch in meinem Beruf schaffen kann – und was nicht mehr. Meine Kraft ist begrenzt. Ich kann keine Nächte mehr durcharbeiten und leider auch keine mehr durchfeiern – so wie früher - ohne am nächsten Tag völlig k.o. zu sein. Meine Ziele sind begrenzt. Ich werde auch nicht mehr jedes Land bereisen können, das ich gerne noch sehen würde. Und ich kann nicht mehr jedes Buch lesen, das mich interessiert. Ich fange an, meine Begrenztheit zu begreifen und damit zu leben.

Und ich frage mich viel mehr als früher: Was ist wirklich wichtig? Wofür will ich meine verbleibenden Jahre einsetzen? Auf was kann ich verzichten? Ich merke, dass mir Menschen und die Zeit mit ihnen wichtiger geworden sind. Begegnungen, gute Gespräche, zusammen zu essen und zu reden und zu lachen. Das ist wichtig. Und ich frage mich jetzt immer öfter: Was hat Gott noch mit mir vor?

In der Bibel heißt es mal im Psalm 91: „Gott, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden“. Das Sterben kann ruhig noch etwas warten. Aber klug möchte ich heute schon werden. Oder mit einem anderen Wort: weise. Ich will meine Jahre im Vertrauen auf Gott weitergehen. Auch wenn nicht mehr alles im Leben möglich ist, wird er mir das geben, was wirklich zählt. Darauf vertraue ich, wenn ich jetzt 60 geworden bin.

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