Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

20JUL2024
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Der Junge hüpft mit Gummistiefeln in eine Pfütze. Hüpft und hüpft. Und lacht. Am Vormittag hatte es doll geregnet und nun weiß der Junge fast nicht, welche Pfütze er zuerst nehmen soll.

Eine Frau kommt vom Friedhof. Sie geht durch das Tor, es quietscht, der Junge schaut rüber zu ihr. Vorhin war sie mit dem Schirm durch den Regen gekommen. Das Wetter war ihr grad recht gewesen, um auf den Friedhof zu gehen. „In mir drinnen regnet es eh seit Wochen“, hat sie gedacht. Und so begegnet sie wenigstens nicht so vielen Leuten.

Jetzt geht sie auf den Jungen zu, der zu einem letzten Hüpfer in die Pfütze ansetzt. Die Frau will ausweichen, gleich wird’s platschen. Sie zögert. Und mit einem Mal tritt sie ganz fest mit dem Fuß in die Pfütze. Es spritzt, sie spürt das Wasser an der Strumpfhose. Es ist kühl. Ein eigentümlich erfrischendes Gefühl.

Sie tritt nochmal in die Pfütze, sie stampft jetzt richtig auf. Der Asphalt ist hart unter ihren Sohlen, tut fast weh. Sie spürt ihre Wut. Wie kann das hier sein? Musste das sein? Sie stampft und stampft, Tränen laufen ihr übers Gesicht. Schuhe, Strümpfe, Beine, Wangen, Gesicht, alles ist nass.

Der Junge steht noch da. Er ist ganz still in seinen gestreiften Gummistiefeln und guckt die Frau an. Langsam und vorsichtig geht er jetzt weg und macht einen Bogen um die Frau und um die Pfütze. Die Pfütze gehört jetzt ihr.

Alles hat seine Zeit, so hat in der Bibel eine gedichtet. Sie kannte das Leben wie wir. Und war überzeugt: Das Leben ist nicht einfach lose Abfolge: Hüpfende Kinder und irgendwann sind sie groß. Trauer hat ihre Zeit und irgendwann ist sie wieder gut. Die Zeit heilt nicht alle Wunden. Jedenfalls nicht immer.

Die Sommerpfützen sind übrig vom Regen. Und zum Glück hüpfen auch Erwachsene manchmal rein. Wir wissen noch, wie’s geht. Nur die gestreiften Gummistiefel passen nicht mehr. Alles hat seine Zeit.

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