SWR3 Gedanken

08JUL2024
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Bin auf einer Tagung. Eine Pflichttagung, auf die niemand so richtig Lust hat. Unsere Zimmer im Gästehaus sind alle mit einem kleinen Spruch ausgestattet. Ich schaue mir also meinen Zimmerspruch an. Da steht: “Man sollte immer mit allem rechnen.“ Ja klar, denke ich. Dann entdecke ich die zweite Zeile: “… Auch mit dem Guten”.

Interessante Perspektive, überlege ich. Ich nehme mir vor, diesen Satz zu meinem Motto heute zu machen. Dann hole ich meine Unterlagen aus der Tasche und suche unseren Tagungsraum. Die meisten Plätze sind schon belegt. Ich habe die Wahl zwischen einem Stuhl direkt an der Türe oder neben der Kollegin, mit der ich schon zwei Mal in den letzten Wochen aneinandergeraten bin. Ich denke an meinen Zimmerspruch und setze mich neben die Kollegin. Sie schaut mich ein wenig erstaunt an. Mit dem Guten rechnen – ich schaffe es, sie anzulächeln. Sie lächelt vorsichtig zurück.

Unsere Tagung startet mit viel Input. Zwischendurch gibt es kurze Austauschphasen zu zweit. Pflichtbewusst unterhalte ich mich also mit der Kollegin über die jeweiligen Themen. Immer mit meinem Motto im Hinterkopf. Und siehe da: sie sagt ziemlich viele kluge Dinge. Unsere Gespräche bekommen richtig Drive. Als wir in größeren Gruppen weitere Schritte für unsere Abteilungen erarbeiten, achten wir darauf, zusammenzubleiben. Und stecken dann diese Gruppe an: mit aufmerksamem Zuhören und Konzentration auf die guten Gedanken. 

Am Abend stehen wir alle gutgelaunt an der Bar. Ganz nebenbei entstehen bei den Gesprächen Ideen für gemeinsame Projekte. Als ich mich schließlich aufraffe, doch mal schlafen zu gehen, höre ich im Rausgehen, wie die Kollegin zu einer anderen sagt: “Also, ich habe ja echt mit allem gerechnet. Aber nicht damit, dass diese Tagung so gut wird.”

Tja, man muss eben immer mit allem rechnen – auch mit dem Guten.  

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