SWR Kultur Wort zum Tag

03JUL2024
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Viele Menschen glauben nicht an Gott, weil sie ihn nicht sehen können. Das geht auch Christen so. Und sogar ein Heiliger hatte Zweifel an Jesus. Er wollte erst sehen und anfassen, bevor er das mit der Auferstehung glauben konnte. Es ist einer der engsten Vertrauten Jesu, der Jünger Thomas. Er glaubt nicht so recht, was die anderen Jünger ihm nach der Kreuzigung berichten: „Thomas, als du gerade weg warst, ist uns Jesus erschienen. Er hat uns Mut gemacht und Frieden gewünscht. Er ist tatsächlich auferstanden. Er war hier bei uns.“ Thomas verlangt Beweise: „Erst wenn ich mit eigenen Augen seine Kreuzigungswunden sehe und sie berühren kann, dann glaube ich das.“

Vielen Menschen geht es heute genauso: Sie glauben nur, was sie auch tatsächlich sehen. Obwohl: Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich auch glaube, ohne zu sehen: Ich glaube zum Beispiel meiner Hausärztin, der Tagesschau, meistens auch dem Kfz-Mechaniker. Die Forschung geht davon aus, dass Sie und ich höchstens 10 Prozent unserer gesamten Erfahrungen selbst gemacht haben, also selbst gesehen, gehört, gespürt. Beim Rest verlassen wir uns auf irgendwelche Quellen, die uns vertrauenswürdig erscheinen: Eltern, Lehrer, Fachleuten, Google oder Wikipedia.

Ich vertraue zum Beispiel auch der alten biologischen Erkenntnis, dass es Luft gibt. Ich atme sie. Sie tut mir gut, wenn sie frisch ist, manchmal ist sie auch dick. Wenn sie dünn wird oder wegbleibt, dann bin ich mir besonders sicher, dass es sie geben muss. Aber sehen kann ich die Luft nicht.

Und Gott? Auch da verlasse ich mich auf alte Erfahrungen. In der Bibel haben Menschen seit Jahrhunderten aufgeschrieben, wie sie Gott in ihrem Leben gespürt haben. Und ich habe inzwischen auch eigene Erfahrungen gemacht. Ich habe mich begleitet gefühlt, aber auch schon verlassen. Das macht mich irgendwie sicher: Gott ist da – auch wenn ich ihn nicht sehe.

Ach ja, die Sache mit Thomas hatte noch ein spektakuläres Ende: Jesus ist tatsächlich eine Woche später nochmal erschienen, er kam sogar durch die verschlossene Tür ins Hauptquartier der Jünger. Er bietet Thomas an, seine Wunden zu berühren, aber Thomas winkt ab. Er hat genug gesehen und sagt nur völlig überzeugt: „Mein Herr und mein Gott!“ Und Jesus antwortet ihm und damit auch mir und Ihnen: „Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“

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