SWR1 3vor8

30JUN2024
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Mich voll und ganz ohnmächtig fühlen – das kann ich nur schwer ertragen.
Bei kleinen Dingen geht es noch. Zum Beispiel, wenn ich im Stau stehe und es nur im „stop and go“ vorwärtsgeht. Es nervt mich, dass ich ausgebremst werde, aber ich weiß auch: Das geht vorbei. Oder wenn eine Kollegin mich auflaufen lässt oder ein anderer meint, über mich bestimmen zu müssen. Das ist kein schönes Gefühl, aber meist merke ich mit ein wenig Abstand: so ohnmächtig bin ich gar nicht. Irgendwas kann ich doch noch tun. Sei es auf Abstand gehen oder ein klärendes Gespräch suchen.
Ganz anders ist es, wenn eine Krankheit Lebenspläne durchkreuzt. Oder wenn im Alter die Kräfte nachlassen, der eigene Körper zunehmend Grenzen setzt. Es ist hart, wenn ich erlebe, dass ich nichts für einen geliebten Menschen oder mich tun kann und der Situation hilflos ausgeliefert bin.
Und damit nicht genug: Mit einem Blick in die Welt, gibt es noch mehr, was mich ohnmächtig macht: die Klimakatastrophe, die vielen Kriege in der Welt. Da wird das Ohnmachtsgefühl manchmal bei mir riesengroß. Und es fühlt sich verdammt mies an, dass so vieles nicht in meiner Hand liegt.

In katholischen Gottesdiensten ist heute eine Stelle aus der Bibel zu hören, in der es um zwei Menschen geht, die sich auch ohnmächtig gefühlt haben. Der eine ist Jairus, Vater einer 12-jährigen Tochter, die im Sterben liegt. Die andere, eine Frau – ihr Name ist nicht bekannt –, die eine langwierige, vielleicht sogar chronische Krankheit hat. Bei vielen Ärzten ist sie gewesen, all ihr Geld hat sie in ihre Gesundheit gesteckt. Nichts hat geholfen.

Jairus und die Frau sind an dem Punkt, an dem sie sich absolut machtlos fühlen. Doch so ohnmächtig sie auch scheinen, sie erstarren nicht. Statt zu resignieren, wenden sie sich an Jesus. Sie muten ihm ihre Ohnmacht zu und sagen vielleicht so etwas wie: Ich bin am Ende. Kannst Du, Jesus, noch was machen? Ich kann es nicht mehr.
Ich finde beachtlich, wie die beiden mit ihrer Ohnmacht umgehen. Sie verdrängen sie nicht, sondern sie sind sich bewusst, dass sie nichts mehr machen können. Und trotz all der Krisen, in denen sie stecken, bauen sie darauf, dass es weitergehen wird. Auch wenn sie noch keine Idee haben, wie das funktionieren soll.
Dieses Vertrauen wünsche ich mir auch. Weil es Kräfte freisetzt, die es zum Leben braucht. Weil es spüren lässt: Ich muss mit meiner Ohnmacht nicht alleine bleiben, ich kann mich anderen anvertrauen. Und: es ist möglich, sich ohnmächtig zu fühlen und zugleich die Hoffnung nicht aufzugeben.

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