SWR1 Begegnungen

30JUN2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in
Eritrea Habte Foto: Edena Alfa

Martina Steinbrecher trifft Eritrea Habte, Mitglied einer eritreisch-orthodoxen Gemeinde in Karlsruhe, die sich für den Erhalt ihrer geistlichen Traditionen und für gelingende Integration einsetzt. Bei beiden Anliegen spielen Sprachkenntnisse eine wichtige Rolle. Eritrea Habte spricht vier verschiedene Sprachen.  

Sie heißt wie das Land, in dem sie zur Welt gekommen ist und 19 Jahre lang gelebt hat: Eritrea. Das kleine Land mit rund 4 Millionen Einwohnern liegt am Horn von Afrika zwischen dem Sudan im Norden und Äthiopien im Süden. Vor 31 Jahren ist die heute 50jährige nach Deutschland gekommen und wohnt seither mit ihrer Familie in Karlsruhe. Am Anfang hat sie kein einziges Wort Deutsch gesprochen.

Am Anfang habe ich mich tatsächlich auf Englisch verständigt. Ich habe zuerst hier bei der Volkshochschule ein Jahr Deutsch gelernt und dann bin ich dann in die Abendschule im Abendgymnasium in die zehnte Klasse eingestiegen und habe dann dort auch mein Abitur gemacht und konnte dann die Sprache erlernen.

Für Eritrea Habte war Deutsch bereits die vierte Sprache, die sie gelernt hat. Ihre Muttersprache heißt Tigrinya und ist eine von neun Sprachen, die in Eritrea gesprochen werden. In der Schule hat sie dann Englisch gelernt. Und Amharisch, die damalige äthiopische Amtssprache. Heute erlebt Eritrea ihren Sprachenschatz als großen Reichtum, denn jede Sprache hat für sie eine besondere Bedeutung und einen eigenen Reiz:

Ich kann mich auf Tigrinya am besten ausdrücken. Das ist meine Muttersprache. Dadurch, dass ich auch Amharisch in der Schule gelernt habe, kann ich mich auch sehr gut ausdrücken. Ich finde, auf Amharisch kann man sich auch geschmeidiger ausdrücken und es fühlt sich auch weicher an. Und ich singe und lese auch am liebsten auf Amharisch. Die deutsche Sprache, also ich finde die wirklich wunderbar. Literatur lese ich gerne auf Deutsch. Und was mich fasziniert an der deutschen Sprache: wie man differenziert sich auch ausdrücken kann. Zu einem Gefühlszustand auf Tigrinya mit einem Ausdruck gibt es zehn Differenzierungen auf Deutsch.

Dass ich Eritrea kennengelernt habe, hängt auch mit ihren sprachlichen Fähigkeiten zusammen: Im Jahr 2006 haben wir einen sechsjährigen äthiopischen Jungen adoptiert. Bis er seine ersten Sätze auf Deutsch gesprochen hat, hat Eritrea für uns gedolmetscht und ihm die neue und fremde Welt in seine Muttersprache übersetzt. Auch mit ihren eigenen fünf Kindern hat Eritrea die Erfahrung gemacht: Es hilft bei der Entwicklung der eigenen Identität, wenn man die sprachlichen Wurzeln nicht kappt:

Für uns war wichtig, dass die Kinder die Muttersprache lernen, dass sie die Muttersprache gut beherrschen. Da haben wir schon von Anfang an mit denen auf Tigrinya geredet, aber dann auch abends auf Deutsch Bücher vorgelesen. Am Anfang haben sie dann im Kindergarten natürlich nicht so gut kommunizieren können, aber nach ein paar Monaten haben sie wirklich gut gelernt und konnten dann einfach auch einwandfrei kommunizieren.

Eritrea Habtes Töchter Eden und Manna haben ihr Abitur später auf einem zweisprachigen Gymnasium abgelegt und können sich heute neben Tigrinya und Deutsch auch fließend auf Englisch und Französisch unterhalten. Durch den Erhalt der Muttersprache und die Förderung des Fremdsprachenerwerbs hat Eritrea ihren Kindern beide Welten zugänglich gemacht und beides miteinander verbunden: Tradition und Integration.

Sprache ist für sie der Schlüssel für ein gelingendes Miteinander.

Im großen Ganzen sehe ich Sprache als kardinales Element für soziale und akademische Integration, aber auch als kreatives Werkzeug. Auch sehe ich eine zentrale Rolle von Sprache in der Selbstfindung bzw. Identitätssuche. Deshalb war immer für mich sehr wichtig, dass meine Kinder mehrgleisig sprachlich gefördert werden.

Aber nicht nur in Ihrer Familie setzt Eritrea auf sprachliche Förderung, sondern auch in der orthodoxen Gemeinde, in der sie sich ehrenamtlich engagiert. Dort werden Traditionen gepflegt, und Integration wird großgeschrieben.  

Wir wollen keine Parallelgesellschaft, sondern Miteinander, dass wir unsere Religion und unsere Kultur unseren Kindern beibringen, aber wir haben einfach auch eine offene Tür, wenn Leute, die Zeit haben, sich engagieren möchten. 

Im Gespräch mit Eritrea muss ich an die Pfingstgeschichte denken: Wie Menschen sich plötzlich über Sprachbarrieren hinweg verstehen können – ein einmaliges Ereignis. Das Besondere daran: Dieses Verstehen kommt nicht durch eine Einheitssprache zustande. Die unterschiedlichen Sprachen bleiben weiterhin bestehen. Für mich heißt das: Niemand muss die eigene Tradition aufgegeben, um andere verstehen zu lernen. Und für Eritrea Habte ist es auch ihr christlicher Glaube, der solche Verständigung möglich macht.

Mein Glaube ist mir wirklich sehr wichtig als Gemeinschaft, in der ich mit meinen Mitmenschen die Dinge, die mir am Herzen liegen, teile und so gut ich kann, auch etwas Konstruktives für die nächste Generation hinterlasse.

Eritrea setzt dabei auf ein Jesus-Wort aus dem Matthäusevangelium:

Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.  

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40192
weiterlesen...