Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

05JUL2024
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Die kleine Dorfkirche ist bis auf den letzten Platz besetzt. Gut 80 Personen in festlicher Kleidung füllen die Bänke. Viele von ihnen waren schon lange nicht mehr in einem Gottesdienst. Braut und Bräutigam sind um die sechzig; beide heiraten bereits zum zweiten Mal. Das wir auch nicht verschwiegen. Der Pfarrer nennt in seiner Predigt die verstorbene Frau des Bräutigams und den geschiedenen Mann der Braut beim Namen. Und spricht auch vom Schmerz über Trennung und Tod.

In den ersten Reihen rechts und links sitzen die erwachsenen Kinder des Paars mit durchaus gemischten Gefühlen. Das Brautpaar spricht selbst ein Gebet. Bringt sichtlich gerührt seinen Dank zum Ausdruck für diesen Moment, für die als Gottesgeschenk empfundene Begegnung, die dazu geführt hat, sich in fortgeschrittenem Alter noch einmal verlieben zu dürfen mit allem, was zum Verliebtsein und zur Liebe gehört. Spricht dankbar aus, dass Familienmitglieder, Freundinnen und Freunde diesen Weg begleitet haben und zu diesem Fest gekommen sind. Alles gar nicht selbstverständlich. In etlichen Augenpaaren sehe ich Tränen schimmern. Auch bei einigen Männern.

Und ich spüre in diesem Augenblick, dass wir genau am richtigen Platz sind: nämlich in einem Gottesdienst. Das lässt sich mit Worten gar nicht so leicht erklären: Es kommt eben nicht nur darauf an, was im Gottesdienst gesagt wird. Ich spüre, wie in den Menschen und zwischen ihnen ein Raum aufgeht, in dem Platz ist für alles, was das Leben weiter und tiefer macht. Für vieles, wofür im Alltag keine Zeit bleibt. Und dass der Gottesdienst passende, stimmige Formen bereithält, um sich davon berühren zu lassen. Angefasst zu werden. Vieles trägt dazu bei: Musik. Gebete. Ausgewählte Worte. Persönlich und erfahrungsgesättigt von mehr als einem einzelnen Menschenleben. Schließlich wird das Brautpaar gesegnet. Auch die Trauzeugin wirkt dabei mit. Und ich wünsche mir, dass alle andern sich in diesem Moment auch gesegnet fühlen. Gesehen mit allem, was sie in ihren Seelen und ihren unsichtbaren Rucksäcken mit sich tragen. Mit liebevollen Augen angeschaut von jener großen segnenden Kraft, die ich Gott nenne. So was Schönes, liebe Leute, so was könnt ihr in einem Gottesdienst erleben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40190
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