Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

04JUL2024
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Mein ältester Sohn geht jetzt schon stramm auf die Dreißig zu. Wir verstehen uns gut und reden gern miteinander über die unterschiedlichsten Themen. Vor kurzem kam mir im Gespräch mit ihm plötzlich der Gedanke, dass Jesus ja nur ein paar Jahre älter geworden ist als er. Anfang dreißig war der, als er zum Tod verurteilt worden ist. In der langen, mittlerweile zwei Jahrtausende überbrückenden christlichen Tradition sind die Geschichten, die Reden und Worte von Jesus zu zeitlosen Wahrheiten und universell gültigen Weisheiten geworden. Ursprünglich aber sind es die Erlebnisse, Diskussionsbeiträge und Ansichten eines gerade mal Dreißigjährigen, der vom Alter her mein Sohn gewesen sein könnte.

Mit 30, das merke ich jetzt deutlich, lebt man entschiedener als mit 56, hat kantig-klare Ansichten und ein gesundes Sendungsbewusstsein. Sofern man noch keine Familie gegründet hat, trägt man auch keine Verantwortung für Kinder. Das alles trifft auf Jesus zu. Er musste nicht für eine Familie sorgen. Deshalb konnte er ungebunden umherziehen und von der Hand in den Mund leben. Wer genug Wut im Bauch und keine Angst vor den Folgen hat, kann auch die Verkaufsstände von friedlichen Kleinhändlern umschmeißen und sie rüde anpöbeln. Ein klarer Fall von Sachbeschädigung und Beleidigung.

Eigentlich reagiere ich auf solche unkontrollierten Ausbrüche mit Empörung und Unverständnis. Wenn Jesus das macht, rege ich mich nicht weiter auf. Und was ist das zum Beispiel für eine Ansage aus seinem Mund: „Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert!“ Wenn mein Sohn mir mit einer solchen Parole käme, würde ich sofort versuchen, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Jesus hatte radikale Ansichten wie ein junger Mensch sie hat. Das find ich völlig in Ordnung. Manchmal frage ich mich aber, wie er wohl gelebt und was er gesagt hätte, wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, doppelt so alt zu werden und noch jede Menge Lebenserfahrung zu sammeln. Gäbe es dann auch eine Sammlung von altersweisen Sprüchen, so wie vom König Salomo? Von dem ist zum Beispiel der Satz überliefert: „Ein Geduldiger ist besser als ein Starker und wer sich selbst beherrscht besser als einer, der Städte einnimmt.“ Unvorstellbar, dass ein dreißigjähriger Jesus das gesagt hätte. Mit siebzig vielleicht. Aber wer weiß?

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