SWR4 Abendgedanken

09JUL2024
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Ein Kuss ist etwas Besonderes. Meistens etwas sehr Intimes und Persönliches. Und er kann sehr viel bedeuten. Bei der Hochzeit küsst sich das Brautpaar. Eltern küssen ihre Kinder; und wenn Kinder größer werden und sich irgendwann ein erstes Mal verlieben – dann werden sie ihren „ersten Kuss“ wahrscheinlich nie vergessen.

Auch Christen sollen einander küssen, fordert die Bibel immer wieder. Denn ein Kuss ist in biblischer Zeit eine weit verbreitete Form gewesen, um sich zu begrüßen: Etwas Formelles, das gleichzeitig eine besondere Form von Nähe ausgedrückt hat. „Grüßt einander mit dem Heiligen Kuss!“, schreibt der Apostel Paulus an die Christen in Rom (Röm 16,16). Und damit hat er gewiss nicht so einen Kuss gemeint wie bei einer Hochzeit. Sondern auch einen, der formal ist und gleichzeitig große Nähe zum Ausdruck bringt. Christen sind in Christus verbunden und einander nah – und sollen so friedlich miteinander umgehen, dass sie sich küssen können.  Lange haben sich Christen im Gottesdienst geküsst. Erst im Mittelalter war das der Amtskirche eine Zeitlang nicht mehr recht.

Und hat deshalb die „Kusstafel“ erfunden. Das waren Tafeln aus Holz, Elfenbein, aus Kristall, Silber oder Gold, die jeder Gottesdienstbesucher geküsst und dann an seinen Nebenmann oder seine Nebenfrau weitergegeben hat. Geküsst wurde also nur noch symbolisch. Mancherorts hat man solche Tafeln „Pax“ genannt – Friede. Weil es dabei um den Friedenskuss ging: Ich grüße und küsse dich und wünsche dir Frieden.

Und irgendwann hat man solche Tafeln auch benutzt, wenn irgendwo Streit ausgebrochen war. Und wenn eine Familie sich mit einer anderen wieder versöhnen wollte, dann hat sie eine Friedenstafel verschickt, um eine Versöhnung damit vorzubereiten.

Eigentlich schade, dass es diesen Brauch heutzutage nicht mehr gibt. Wie hilfreich könnte es sein, wenn manche Familien oder gar ganze Nationen sich solche Kusstafeln zuschicken würden. Und damit sagen würden: Ich suche Deine Nähe und Dein Vertrauen – und gebe Dir den Kuss des Friedens.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40175
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