Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

29JUN2024
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Ich habe so eine kleine Angewohnheit. Noch vor dem Frühstück, nach meinem Morgengebet, öffne ich immer mein Dachfenster, um ein paar Augenblicke nach draußen zu schauen. Dort sehe ich meist das satte Grün im Garten direkt vor meiner Wohnung und über die Tübinger Südstadt hinaus bis hin zur Schwäbischen Alb in der Ferne. Und über all dem den weiten, blauen Himmel.

Ich liebe dieses Grün, dieses Blau und diese Weite. Es erinnert mich an etwas, das ich vor vielen Jahren erzählt bekommen habe: Ich war mit einem Freund im Süden Mexikos unterwegs. Uns wurde gesagt, dass für die indigenen Menschen dort in ihrer Muttersprache Grün und Blau keine unterschiedlichen Farben sind, sondern nur Schattierungen, Abstufungen derselben Farbe. Und so blicken diese Menschen dort auch auf die Welt. Der blaue Himmel und die grüne Erde sind nicht getrennt. Das alles gehört zusammen. Es sind nur Schattierungen, Abstufungen. Nicht verschiedenen Dinge. Was für ein wunderbarer Gedanke. Nicht von dem auszugehen, was trennt, sondern von dem, was verbunden ist.

Diesen Gedanken finde ich auch in der biblischen Schöpfungsgeschichte wieder. Dort wird erzählt, wie am Anfang auf der Erde ein richtiges Tohuwabohu herrscht. Und Gott? Der krempelt die Hemdsärmel hoch und macht sich ans Werk. Ordnet alles. Gibt allen Dingen ihren Platz. Der Sonne, den Sternen, dem Himmel, der Erde. Ich lese diese Geschichte so, dass Gott die Dinge zwar aufteilt, aber sie bleiben untereinander verbunden. Sind nicht wirklich getrennt.

Mich fasziniert dieser Gedanke der Verbundenheit der ganzen Schöpfung. Auch auf jeden Menschen hin, der mir begegnet. Da ist der Punk, der schon durch seine Klamotten von mir und meiner Lebenswelt völlig getrennt zu sein scheint. Oder die Frau, die ich aus meiner früheren Gemeinde kenne. Die mich jedes Mal, wenn ich sie treffe, durch ihr vorlautes Auftreten unglaublich herausfordert.

Aber der Blick aus dem Fenster am Morgen hilft mir immer wieder auch zu denken: Hey, diese Menschen sehen so anders aus als ich und ticken vielleicht auch ganz anders, aber wir sind alle Menschen dieser einen Schöpfung. Wollen alle ein gutes Leben. Geliebt und gesehen werden.

Vielleicht sind manche blau und manche grün, aber wir gehören alle zusammen

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