SWR1 Begegnungen

16JUN2024
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Dorothee Höfert

Peter Annweiler trifft Dorothee Höfert, im Feld von Kunst und Religion engagierte Kunsthistorikerin

Teil 1: lebensgeschichtlich und klassisch

Stundenlang kann ich ihr zuhören: Dorothee Höfert erzählt frisch, fundiert und humorvoll. Die Kunsthistorikerin bringt Schwung in die Bude. Beruflich hat sie den als Leiterin der Kunstvermittlung in die Mannheimer Kunsthalle getragen. Immer wieder ist sie auch davon begeistert, wie Kunst und Religion zusammenwirken können. 

Wenn man zumindest mal den Verlauf der 2000 Jahre europäischen Kunst sehen will, dann kommt man ja nicht umhin, sich auch mit theologischen oder religiösen Fragestellungen zu beschäftigen. Denn ein Großteil der auf uns gekommenen Kunst ist religiös, und da war ich dann immer ganz munter dabei.

Diese Munterkeit von Dorothee Höfert gefällt mir. Egal, ob zeitgenössisch oder traditionell. Egal ob Kirche oder Museum. Da spricht eine Frau, deren Herz höherschlägt, wenn die Geschwister Kunst und Religion zusammenfinden.

Mich fasziniert, wie früh das für die 63jährige angefangen hat: In ihrer Kindheit in einfachen Verhältnissen in Norddeutschland.

Ich habe sehr früh lesen gelernt und stöberte in den Büchern, den wenigen, die es bei uns zu Hause gab, und vor allen Dingen an den langen Winterabenden. Und dort ist ein Buch ganz wichtig für mich geworden. Das hieß tausend Jahre deutsche Malerei. Ein Prachtband, den ich bis heute besitze und ich konnte diese Texte überhaupt nicht verstehen. Kunsthistorisches Kauderwelsch -

aber eben die Bilder: Die erreichen nicht nur Kinder schnell, direkt und emotional. Noch Jahrzehnte später erinnert sich Dorothee Höfert an ein besonderes Bild:

Es ist ein Gemälde aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Michael Pacher ist der Autor. Es ist eine Altartafel.  Ich bin ziemlich sicher, dass es der heilige Antonius ist. Und der steht vor einer grünen Dämonengestalt mit vielen Augen und Hufen. Und diese Dämonengestalt hält ihm ein aufgeschlagenes, riesiges Buch hin. Die Begegnung eines würdig gekleideten Kirchenmannes mit einem Dämon. Also eine solche Figur würde man auch heute in irgendeinem Horrorfilm sofort einbauen können - das fand ich ungeheuerlich, dass sich da zwei Sphären auf Augenhöhe begegnen und offenbar miteinander kommunizieren.

Faszinierend, was Kunst ganz ohne Worte sichtbar machen kann: Gefühle, Lebenslagen und -fragen. Manchmal gar nicht „schön“, sondern ungeheuerlich und ungewohnt. Eine grüne Dämonengestalt mit Hufen hält einem Heiligen ein Buch hin. Das Teuflische und das Heilige begegnen sich. Kunst weitet den Blick. Hin auf das, was unsere Augen so nicht im Alltag sehen können. Und genau darin ist sie mit der Religion verwandt: Dass wir mit neu geöffneten Augen ganz andere – und womöglich größere, göttliche - Zusammenhänge sehen, in denen wir Menschen stehen.

Teil 2: zeitgenössisch und interreligiös

Bei ihren Führungen in der Mannheimer Kunsthalle beobachtet die Kunsthistorikerin gerade bei zeitgenössischer Kunst, dass die Leute

ganz schnell sich zurückziehen und sagen, das verstehe ich nicht. Es spricht mich nicht an, das ist hässlich, oder das ist ja gar keine Kunst, weil sie zu schnell vielleicht sich abschrecken lassen von etwas, was erstmal tatsächlich auch Fragen aufwirft. Das geht mir nicht anders.

Ganz entlastend finde ich das, wenn auch die Fachfrau erst mal irritiert ist. Und dann hilft sie mit ihrer Kompetenz eben doch, „dran“ zu bleiben: Sie verhindert, dass ich mich abwende – und trägt dazu bei, dass ich geduldig und neugierig auf ein Kunstwerk blicke.

Was ist da eigentlich los? Denn wenn es gute Kunst ist, dann ist es etwas Menschliches. Dann fließt etwas von dem Menschen, der es gemacht hat, hinein in das Werk. Und ich kann das herausnehmen. Ich kann das versuchen zu verstehen. Ich komme in Kontakt mit etwas, und das kann mich im besten Fall faszinieren, kann mich weiterbringen, kann mich zu einer neuen Sicht auf die Welt stimulieren.

Kunst bildet nicht das Sichtbare ab, sondern macht sichtbar – sagt der Maler Paul Klee – und eben darin bleibt sie für mich verwandt mit Religion. Dabei brauchen zumindest meine Augen für das Sehen des Neuen oft eine Sehhilfe. Dorothee Höfert engagiert sich schon lange für diese Sehhilfe. Deshalb hat sie Gespräche zwischen Kunst und Religion in die Kunsthalle gebracht. Denn sie findet,

dass man auch da ein Angebot schaffen muss. Und wie soll das aussehen? Und dann hab ich gedacht, na ja, ich bin keine Theologin. Ich bin Kunsthistorikerin. Ich würde das ganz gerne mit jemandem zusammen machen, der sich fachlich theologisch dazugesellt. Und auf diese Weise haben wir ganz allmählich etwas aufgebaut, was jetzt 15 Jahre später sogar noch erweitert worden ist. Einfach weil sich das Interesse daran ergeben hat. In … Mannheim, wo ganz viele Muslime auch leben, wo es eine rege jüdische Gemeinde gibt, zu sagen wir bauen das aus in ein interreligiöses Gespräch

- und gerade das lockt bei ihren monatlichen Gesprächen im Feld von Kunst und Religion viele Gäste in die Kunsthalle. Wenn ich an so einem Gespräch teilnehme, dann spüre ich, wie diese Geschwister Kunst und Religion wieder zusammenfinden. Und darüber hinaus sich auch die Religionen auf das besinnen, was sie vereint…

Mir fällt da ein Begriff gerade ein: existenziell. Den Menschen betreffend, menschliche Fragen betreffend, wo kommen wir her? Wo sind wir? Wo gehen wir hin?Gibt es Hoffnung? Ist das Leben zu Ende? Wenn wir sterben, geht es darüber hinaus.

Über diese großen existentiellen Fragen sind Kunst und Religion verbunden. Dorothee Höfert lässt mich neu spüren, wie lebendig diese Verwandtschaft ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40116
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