SWR3 Gedanken

13JUN2024
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You, only virtual. Du, nur eben in digital – ein neuer Trend: Menschen, die todkrank sind, erstellen einen Avatar von sich selbst. Sie unterhalten sich mit einem KI-gesteuerten System. Ihre Stimme wird aufgezeichnet, ihre Gedanken werden eingespeichert. Wenn sie tot sind, können sich die Hinterbliebenen dann mit dem Avatar unterhalten. Der kann nicht nur auf Fragen reagieren, die bereits mit dem Lebenden besprochen waren, sondern in dessen Sinn antworten.

Ich stelle mir vor, von jedem von uns würde so ein Avatar existieren. Was würde das mit unseren Beziehungen machen? Ich verstehe die Sehnsucht danach, an den Liebsten festzuhalten. Trotzdem erschreckt mich die Idee einer digitalen Verlängerung des Lebens.

Zuerst und vor allem, weil ich es für besonders wertvoll halte, dass ich dieses eine Leben habe, das mir geschenkt ist. Dieses Leben, in dem mir manches gelingt und anderes schief geht, in dem ich Beziehungen habe, in denen ich wachse und immer mal richtig daneben liege. Ein Leben, in dem ich glücklich bin und traurig, verletzt und doch fröhlich. In meinem eigenen Leben war und ist es wichtig, den Tod von Menschen, die mir die liebsten sind, nein waren, aushalten zu müssen. Begegnungen und Beziehungen haben eine andere Tiefe, seit ich nach dem Tod meiner Mutter genau das verstanden habe: dass unser Leben ein Ende hat, dass es nur vorwärts gelebt werden kann, dass Leben wie Sterben Mut erfordern. Ich möchte auf keinen Fall nach meinem Tod einer KI erlauben, so zu tun, als dächte sie meine Gedanken. Weil – und das ist mein zweiter wichtiger Gedanke: Ich kann erklären so viel ich will, ich bin heute, wie und wer ich bin, aber - ich bin nicht fertig. Eine KI kann mein jetziges Ich spiegeln, aber, was das Leben oder Gott noch mit mir vorhaben, davon weiß die KI nichts, und auch ich weiß es nicht. Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, sagt Gott, und das finde ich gut.

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