SWR Kultur Wort zum Tag

10JUN2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Geteilte Freude ist doppelte Freude – so das Sprichwort. Dem kann ich nur zustimmen! Wir Menschen sind Resonanzwesen und leben im und vom Austausch anderen. Schon Neugeborene sind in der Lage, Mimik nachzuahmen. Wenn Papa die Zunge herausstreckt, dann ahmt das Baby ihn nach. Kein Lebewesen imitiert so mühelos wie der Mensch – und ist so sehr angewiesen darauf, dass andere reagieren. Kinder lernen nur, gut mit ihren Gefühlen umzugehen, wenn Erwachsene sie ernst nehmen und mitfühlen. Leider merken sie auch schon sehr bald, dass es nicht so einfach ist mit der Resonanz. Wenn sie mit einem selbstgemalten Bild aus dem Kindergarten kommen, Mama oder Papa aber nur einen flüchtigen Blick darauf werfen und zwar „Ganz toll, mein Schatz!“ sagen, in Wirklichkeit aber gerade mit etwas ganz anderem beschäftigt sind. Oder wenn sie einen großen Kinderkummer haben und die Erwachsene meinen, dass Kinder sich halt nicht so anstellen sollen.

Was bei Kindern jedoch noch ganz selbstverständlich funktioniert – Sie freuen sich mit anderen, lassen sich von einer Begeisterung mühelos anstecken – das ist leider bei Erwachsenen keineswegs mehr selbstverständlich. Es ist wirklich nicht leicht, jemanden zu finden, der meine Freude von Herzen teilen mag. Schnell kommt da statt Mitfreude Neid auf. Oder man hat ein schlechtes Gewissen wegen des eigenen Glücks und behält, was einen freut, lieber für sich.

Menschen, die sich wirklich mitfreuen können, sind daher kostbar. Auf einer Tagung hat mir ein Wissenschaftler neulich von seiner Tante Waltraud erzählt. Waltraud aus Castrop-Rauxel hat er immer angerufen, wenn er über irgendetwas richtig glücklich war. Sie war der einzige Mensch, von dem er sicher wusste, dass sie sich aufrichtig mit ihm freut. Waltraud war Feuer und Flamme, wenn ein Anruf kam. Sie hat immer interessiert nachgefragt und war richtig begeistert über jeden Erfolg und selbst über kleine Glücksmomente. Waltraut, sagt der Wissenschaftler, war ein echter Glücksfall für mich. Ein Gottesgeschenk. Leider ist Waltraud irgendwann gestorben. Aber noch in der Erinnerung strahlt nach, wie gut sie dem Mann getan hat, und noch die Erinnerung an die geteilte Freude ist schön.

Ich wünsche Ihnen einen Menschen wie Waltraud. Der sich mit Ihnen freuen mag und kann. Einen Menschen, mit dem Sie erleben können, dass geteilte Freude tatsächlich doppelte Freude ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40043
weiterlesen...