SWR1 3vor8

30MAI2024
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„Wir müssen Opfer bringen.“ – Wenn Sie solche Sätze hören, läuft Ihnen da auch ein leiser Schauer über den Rücken? „Wir müssen Opfer bringen“ – um Krisen zu bewältigen. In einem Buch, einer „Karriere-Fiebel“ habe ich von den Opfern gelesen, die man bringen muss, wenn man im Beruf erfolgreich sein und Karriere machen will. Oder bei Krisen, Konflikten oder sogar Kriegen: Da gilt es dann, Opfer zu bringen, um den Feind zu besiegen. Das Böse zurückzudrängen.
Mir wird’s unbehaglich, wenn ich das höre – auch, wenn ich’s manchmal nachvollziehen kann. Dem Dichter Erich Fried ist es wohl ähnlich gegangen. Sein Unbehagen bringt er in einem Gedicht auf den Punkt. Es heißt: DER AUGENBLICK DES OPFERS:

Er ist opferbereit
er steht
zu seinem Opfer

Er versteht
die Notwendigkeit
seines Opfers

Er entschließt sich
nicht mehr zu warten
mit seinem Opfer

Er überwindet die Schwäche
die ihn abhält
von seinem Opfer

Sein Opfer
reißt sich los
und läuft schreiend davon

Das bringt es auf den Punkt, was mir solches Unbehagen bereitet: Wenn wir Menschen „opferbereit“ sind, dann opfern wir so gut wie immer das Glück, die Freiheit oder das Leben von anderen: Die Opfer, die jemand für seine Karriere bringt, treffen auch die, die mit ihm konkurrieren. Und oft genug auch die eigene Familie. Und wenn Terroristen ihre Kämpfer auf Unschuldige loslassen. Oder irgendein Despot einen Krieg vom Zaun bricht für eine angeblich gerechte Sache – dann wird die Rede vom „notwendigen Opfer“ vollends zum reinen Hohn.

Am heutigen katholischen Feiertag Fronleichnam geht es auch ums „Opfer-bringen“. Vrohn Lichnam, das ist Mittelhochdeutsch und bedeutet: des Herren Leib. Es geht um den Leib und das Blut von Jesus Christus. Darum, dass er sich hat kreuzigen lassen und seinen Leib und sein Blut geopfert hat, um uns Menschen zu erlösen: Von unserem Egoismus, von dem, was wir einander antun. Dass wir uns gegenseitig zu Opfern machen von Ungerechtigkeit und Gewalt.

Und auch, wenn mir als evangelischer Christin manches an den katholischen Vorstellungen dazu fremd bleibt. Ich bin froh, über alle Konfessionsgrenzen hinweg auch zu Jesus Christus zu gehören. Denn um mir Hoffnung zu schenken – um zu zeigen, dass Gott stärker ist als alle Ungerechtigkeit und Sünde der Menschen – dafür opfert er sich selbst. Und nicht irgendjemand anderen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40031
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