SWR Kultur Wort zum Tag

28MAI2024
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„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Fragt die Königin im Märchen ihren Wunderspiegel. Und der antwortet pflichtschuldig: „Frau Königin, Ihr seid die Schönste im Land.“ Da war die Königin zufrieden, heißt es im Märchen, denn „sie wusste, dass der Spiegel die Wahrheit sagte.“

Die Ironie ist nicht zu überhören. Im Märchen wird ein tiefsitzender menschlicher Wunsch angesprochen. Den es nicht nur im Märchen gibt. Das Bedürfnis nämlich, schöner, größer, mächtiger zu sein als andere. Was bedenklich daran ist: dass diese Art der Selbstbespiegelung grenzenlos ist. Der Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter hat schon vor Jahren vom Gotteskomplex gesprochen. Der Gotteskomplex bezeichnet den tief sitzenden Drang eines Menschen, andere in allem nicht nur zu übertreffen, sondern selbst letztlich gottgleich zu sein.

Die kirchliche Tradition kennt eine solche Haltung und nennt sie: Hochmut. Der Hochmut rangiert unter den sieben Todsünden an erster Stelle.

Und macht selbst vor dem engsten Umfeld Jesu nicht Halt.

In der Bibel wird in einer Episode erzählt, wie die Jünger in einen Wettstreit miteinander treten. Zwei von ihnen schleichen sich heimlich an Jesu Seite mit der Bitte, er möge ihnen doch bitte die besten Plätze in seinem kommenden Reich reservieren. Aber Jesus durchkreuzt ihren Ehrgeiz: „Anders herum !“, sagt er, „Wer unter euch groß sein will, der soll den anderen dienen!“

Jesus macht die Jünger darauf aufmerksam, dass man die eigenen Begabungen und Talente durchaus besser einsetzen kann als zur Steigerung   des eigenen Ruhms. Indem ich auch die Fähigkeiten und Talente anderer gelten lasse. Vielleicht sogar fördere.

So möchte ich seinen Einwand verstehen: Nicht nur mich selbst im Blick zu haben, sondern auch das, was andere mitbringen.

Und vielleicht wäre das gerade in Zeiten, wo Wahlen anstehen und sich Menschen in besonderer Weise in Konkurrenz zueinander treten, eine schöne Übung: den eigenen Überlegenheitsimpuls zu zügeln. Statt Hochmut Fairness im Umgang miteinander zu praktizieren.

Und - anders als die Königin im Märchen - Mut zu haben zum Respekt voreinander. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39981
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