SWR Kultur Zum Feiertag

30MAI2024
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Fronleichnam
Grenzen überwinden

 

Heute mit Pfarrer Thomas Steiger von der Katholischen Kirche. Guten Morgen!
Es gibt kaum einen Feiertag, der mehr katholisch ist wie Fronleichnam. Aber nur, wenn es ums Äußerliche geht. Da sind Kommunionkinder in weißen Kleidern, Fahnen, eine feierliche Liturgie und das auch noch in der Öffentlichkeit. Allerdings, der Inhalt des Festes, der ist gar nicht so katholisch. Es geht im Kern darum, was ich als Mensch wirklich brauche, um gut leben zu können, dass mich eben nicht satt macht, was ich besitze, dass es aufs Teilen ankommt und ich so nackt, wie ich auf die Welt kam, am Ende wieder sein werde, wenn ich sterbe.

Darüber spreche ich heute in SWRKulturZum Feiertag mit Andrée Gerland. Er ist weder katholisch noch Christ, sondern Humanist. So bezeichnet er seine Einstellung zur Welt. Und er ist beruflich Geschäftsführer der Humanisten Baden-Württembergs. Herr Gerland, danke, dass Sie sich Zeit nehmen für dieses Gespräch heute Morgen. Aber vielleicht erklären Sie uns erst mal, was überhaupt ein Humanist ist und was einen Humanisten auszeichnet.

 

Andrée Gerland: Sehr gerne und vielen Dank für die Einladung, lieber Herr Steiger. Tatsächlich bezeichnet die Formel Humanist sehr Vieles. Subsumiert unter anderem sowohl den Atheisten als auch den Agnostiker, den Freidenker als auch den Freireligiösen. Es gibt verschiedene Traditionen, die zum Humanismus geführt haben, und die Humanisten zeichnen sich eben dadurch aus, dass sie auch diesen moralischen Boden haben, den sie gerne veräußern. Das heißt also eine Moral, die sich gründet auf die Menschlichkeit, das menschliche Dasein, Toleranz, Gewaltfreiheit und Gewissensfreiheit.

 

Thomas Steiger: Da haben Sie ja schon ein bisschen was dazu gesagt, was ein Humanisten von einem Christen unterscheidet. Aber auf die Frage, wie das mit Gott ist, sind sie dabei noch nicht gekommen. Wollen Sie da auch noch ein bisschen was dazu sagen, wie Sie dazu stehen?

 

Gerland: Ja, gerne. Also tatsächlich sind die meisten Humanisten Atheisten auch. Das kommt aus dem Freireligiösen und daher speist sich auch die atheistische Überzeugung der meisten Humanisten. Es ist jedoch so, dass auch unter den Humanisten nicht unbedingt nur Leute wären, die sich zum Religiösen oder zur spirituellen Sphäre definieren. Also da gibt es auch ein weites Spektrum, beispielsweise von Leuten, die auch sagen, sie wissen nicht, was nach dem Tod kommt, nach dem Sterben und die das auch so positioniert haben möchten. Aber der Großteil tatsächlich speist sich aus den Atheisten.

 

Steiger: Vor einem halben Jahr ungefähr haben Sie ganz direkt mit mir Kontakt aufgenommen. Wie kam das eigentlich dazu?

 

Gerland: Ja, ganz genau. Es kam dazu, dass wir das Anliegen hatten - und wir haben es tatsächlich immer noch -  dass wir in Kirche-im-SWR ein Stück weit mehr präsent sein wollten. Und da haben wir nach einer geeigneten Ansprechperson gesucht. Und wir haben uns ja auch sofort über Hospizarbeit und Trauerarbeit gut unterhalten können.

 

Steiger: Also ich kann mir natürlich unter Humanismus was vorstellen. Einer, der menschlich ist, der andere freundlich und mit Respekt behandelt. Das würde ich auf der zwischenmenschlichen Ebene so für mich auch in Anspruch nehmen und es zudem auch für eine Einstellung halten, von der ich denke, dass sie ganz gut zu meiner christlichen Haltung passt. Deshalb ging es in unserem Gespräch auch eigentlich gar nicht so sehr darum, dass wir uns voneinander abgegrenzt haben, sondern am Ende sogar darum, wie wir besser an einem Strang ziehen können als Humanisten und als Menschen, die an Gott glauben. Es gibt nämlich durchaus Themen, die uns beide gemeinsam sehr beschäftigen. Wo sehen Sie, Herr Gerland, denn solche gemeinsamen Interessen von Ihnen und mir? Wir können das ruhig auch persönlich nehmen.

 

Gerland: Ja, gerne. Also tatsächlich ist es so, dass wir erst mal viele Gemeinsamkeiten in der Ausübung von Riten haben. Auch wir haben eine Namensfeier komplementär zur Taufe. Wir haben eine Jugendfeier komplementär zu Kommunion oder Konfirmation eben bei den Protestanten und wir haben auch eine Trauerfeier, eben dann in einem nichtreligiösen und undogmatischem Sinne. Tatsächlich ist es so, das muss ich hier sagen, weil wir uns in Tübingen befinden, finde ich es wichtig, dass man auch immer wieder auf das Paradigma der Ähnlichkeit zurückkommt und nicht immer nur auf das Paradigma der Differenz, dass man sagt: es gibt Vieles, was uns eint, vieles, was uns tatsächlich auch nicht unterscheidet. Und wir sollten unseren Fokus nicht immer darauf stellen, was die Differenz ausmacht, sondern was uns als Ähnlichkeiten auch ausmacht, als Menschen und als Gemeinschaft. Und da sind wir schon bei einem Schlagwort: die Gemeinschaft, dass wir uns darum bemühen, ein Gemeinwohl einer Zivilgesellschaft zu dienen, dass wir da auch uns auf den Menschen fokussieren. Und das machen wir zwar mit unterschiedlichen Möglichkeiten, zum Beispiel bei der Hospizarbeit und der Trauerarbeit. Aber wir haben das gleiche Ansinnen, nämlich den Menschen zu unterstützen, den Menschen irgendwo zu dienen, auch mit einer Formel auf die Menschen zuzugehen, die stark von Liebe geprägt ist.

 

Steiger: Da sind wir in Tübingen in der Tat natürlich an einem guten Ort, wo das Weltethos-Institut hier platziert ist, das ja im Grunde auch eine ähnliche Stoßrichtung und Denkrichtung verfolgt, was jetzt Zusammenarbeit angeht. Haben Sie auch eine Idee oder schon eine Vorstellung davon, wie so eine Zusammenarbeit konkreter werden könnte, praktischer werden könnte?

 

Gerland: Ja, also ich stelle mir zum Beispiel etwas vor. Es gibt ja durchaus Bewegungen, auch politische Bewegungen. Das muss man auch konkret sehen und benennen, die eher den Hass in den Vordergrund stellen. Und da geht es darum, dass die Zivilgesellschaft und das unabhängig von einer konfessionellen Verortung, dass sie Flagge zeigt für das, was sie für wichtig hält und darunter, was sie auch steht. Beispielsweise in Stuttgart gibt es das Projekt „Stuttgart Hand in Hand“. Da setzen wir uns für Menschenrechte, Demokratie und Europa ein, jetzt gerade auch vor der Wahl am 9. Juni. Und wir werden am 2. Juni am Marienplatz verschiedene Chöre, aber auch die Zivilgesellschaft ansprechen, dafür zu singen. Und ich finde, das ist eine schöne Gelegenheit. Da geht es nämlich nicht darum, welcher Konfession man angehört, sondern es geht darum, dass man Flagge für die Humanitas, für die Menschlichkeit, für Menschenrechte und Demokratie zeigt und etwas ablehnt, was wir tatsächlich tagtäglich, mit dem wir uns tagtäglich konfrontieren müssen, nämlich den Hass, dass wir das Gegenkonzept vertreten.

 

Steiger: Unbedingt. Ich bin in der Hinsicht auch sehr froh, dass die katholischen Bischöfe auf der Bundesebene sich sehr klar gegen rechtsradikale und rechtsextreme Positionen abgegrenzt haben und dadurch natürlich auch ein Zeichen setzen wollen für Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, der ja in verschiedener Hinsicht bedroht ist. Das gilt sowohl für die größere politische Ebene wie auch für das menschliche Miteinander in den sozialen Medien oder im kleineren gesellschaftlichen Raum. Die Kirchen haben in Stuttgart, natürlich in Tübingen genauso, große Chöre, und ich könnte mir vorstellen, dass sie dabei offene Türen einrennen, wenn sie bei denen nachfragen.

 

Gerland: Ja.

 

Steiger:  Weil Sie vorhin das Stichwort Hospizarbeit auch angesprochen haben. Also Menschen zu begleiten in ihrem Sterbeprozess auf den Tod zu, dass es dann natürlich schon einen fundamentalen Unterschied gibt. Also Sie legen - und das würde ich für uns hoffentlich auch in Anspruch nehmen für unsere Hospizarbeit in den Kirchen - einen großen Wert darauf, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Aber für uns gibt es natürlich trotzdem darüber hinaus die Dimension, dass es ein Leben nach dem Tod gibt, dass einer über uns steht, auf den wir durch den Tod zugehen, was unsere Möglichkeiten des Handelns im Sterbeprozess etwas einschränkt. Wie beeinflusst es denn Ihre Einstellung zum Sterben und zum Tod, dass Sie nicht davon ausgehen, dass es einen Gott gibt?

 

Gerland: Ja, mit der aktuellen Gesetzesnovelle, die sich auch um beispielsweise selbstbestimmtes Sterben handelt, da zeigt sich unsere Positionierung sehr deutlich, indem wir sagen: wir gehen auf den Menschen zu. Und da es bei uns eben diesen dogmatischen Bau nicht gibt, ist es für uns sehr wichtig zu sehen, was denn für den Menschen tatsächlich dem entgegenkommt. Beispielsweise hatte ich vor einigen Monaten ein Telefonat mit einem über 90-jährigen Herrn, der mich darum bat, ob ich ihm Pentobarbital verschaffen könne und ich ihm gesagt habe Das kann ich nicht, das ist auch nicht legal. Und …

 

Steiger: … Ein Medikament, das zum Sterben führt.

 

Gerland: Ganz genau richtig und möglichst schmerzfrei. Er hat mir dann seine Situation erläutert, eben Einsamkeit, hohes Alter, Gebrechlichkeit und keine Freunde mehr. Und er meinte dann als Konklusion, er hätte da weniger Rechte als ein Hund. Und das ist traurig, mit anzusehen. Aber tatsächlich, wenn wir solche Bedürfnisse, nach allen Abwägungen, das ist keine leichtfertige, das ist wahrscheinlich die schwierigste Abwägung überhaupt. Wenn so eine Entscheidung da steht, dann müsste man Möglichkeiten finden, dem entgegenzukommen und zu sagen: Ja, wir wollen auch Wege suchen, wo ein Leiden verhindert wird.

 

Steiger: Also die Frage, wie wir Menschen im Sterben begleiten, wird ja ein bisschen so schematisch unterschieden zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe. Das trifft den Punkt meiner Meinung nach nicht immer ganz gut. Wird ja auch in der Theologie, auch in den Kirchen kontrovers diskutiert. Das ist auch gut. Man versucht da schon eine Differenzierung reinzubringen in diese doch schwierige Entscheidungen. Das ist ja für die Ärzte, für die Angehörigen, für die Hospizmenschen, für alle, die Sterbende begleiten, eine schwierige Frage. Für uns als Christen gibt es natürlich diese letzte Reserve, dass der Mensch sein Leben nicht aus eigener Hand hat und auch zuletzt nicht selber in der Hand hat. Aber ich war selber schon beim Sterben von Menschen dabei, von Angehörigen, auch von anderen Menschen und weiß auch, wie sehr manche Menschen sich nach dem Tod sehnen. Ob sie dann sagen, dass sie hoffen, in die Ewigkeit einzugehen oder ob sie sagen, dass ihre Seele eben entschwindet, das ist dann wahrscheinlich manchmal gar nicht die entscheidende Frage. Ich bin froh, dass wir uns vor einem halben Jahr begegnet sind, Herr Gerland, und uns in der Zwischenzeit ein bisschen kennengelernt haben. Da ist sicher noch Manches ausbaufähig, auch was unsere Gemeinsamkeiten und gemeinsamen Punkte angeht. Wir bleiben dran. Ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch heute Morgen und wünsche Ihnen und den Hörerinnen und Hörern am Radio jetzt noch einen guten Tag.

 

Thomas Steiger aus Tübingen von der Katholischen Kirche.

 

Gerland: Vielen Dank, Herr Steiger.

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