SWR Kultur Wort zum Tag

07JUN2024
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Ein Satz wie ein Bergkristall, klar und scharf und mit innerem Licht: „Der Mensch kann nicht leben ohne ein dauerndes Vertrauen zu etwas Unzerstörbarem in sich, wobei sowohl das Unzerstörbare als auch das Vertrauen ihm dauernd verborgen bleiben können. Eine der Ausdrucksmöglichkeiten dafür ist der Glaube an einen persönlichen Gott.“  Franz Kafka hat diesen Satz ihn im Dezember 1917 geschrieben, in der vielleicht glücklichsten Zeit seines Lebens.  Seit wenigen Monaten weiß der 34jährige durch einen dramatischen Blutsturz, dass er an Tuberkulose erkrankt ist, und er ahnt wohl auch schon, dass er daran sterben wird, am 3. Juni 1924 tatsächlich, vor 100 Jahren. Er ist zur Erholung auf dem böhmischen Land in Zürau bei seiner Lieblingsschwester Ottla, vieles ordnet sich neu in ihm und kommt sogar zur Ruhe. Die förmlich ererbte Lebensangst scheint wie gebändigt.

Aus der Lektüre Schopenhauers ist ihm der Gedanke des Unzerstörbaren wichtig geworden:  in jedem Menschen gebe es so einen letzten Grund. Dass ich da bin, ist nicht zu leugnen, dass ich irgendwie da sein will, auch nicht. Da ist ein Tiefenvertrauen, mindestens ein guter Verdacht. Kafka ahnt und lernt: Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser.  „Ein dauerndes Vertrauen zu etwas Unzerstörbarem“ als Basis von allem, und das längst vor allem Denken und Wissen. Manche sprechen von Urvertrauen. Mag es noch so angeknackst sein, gäbe es nicht wenigstens etwas davon, wir würden es auf Dauer nicht aushalten. Es ist wie bei der Gesundheit: was sie einem wirklich bedeutet, wird uns erst in der Krankheit bewusst. Bis dahin war sie verborgen. „Etwas Unzerstörbares“, wirklich tragfähig und verlässlich.  Es hat mit dem zu tun, was Menschen Gott nennen. Aber Kafka bleibt da erfreulich diskret. Es geht ja um das Intimissimum des Menschen, um die Lebensfrage: worauf sich verlassen, im Leben und im Sterben?

Die Geschichten, Aphorismen und Tagebücher Kafkas sind ein faszinierendes Medium, um sich dem All-Tag zu stellen.  Wer gar an einen persönlichen Gott zu glauben vermag, kann dadurch tiefer erfahren, welch unglaubliches Geschenk das ist, welch ein Schatz, z.B. das Beten. Und wer nicht glauben kann, wird gestärkt mit der Frage aller Fragen umgehen: worauf ist Verlass, im Leben und im Sterben, und jetzt?

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