SWR1 Begegnungen

Grillfeste, Open Air Konzerte und Gottesdienste im Freien- das hat Tradition an Pfingsten.
Und das hat etwas mit der Begeisterung zu tun und der Lebenslust, die fürs Christsein typisch ist. Oder sein sollte. Wie damals, an Pfingsten, als der Heilige Geist über die Jünger kam.
Wie war es möglich, dass diese kleine Sekte der Christen in so kurzer Zeit zu einer Weltreligion werden konnte?
Klaus Berger ist in seinem neuesten Buch „die Urchristen“ über 360 Seiten dieser Frage nachgegangen. Er sieht die Initialzündung für die Kirche lange vor Pfingsten, in der Gestalt Jesu selbst, der sich 12 Jünger gesucht und mit ihnen das letzte Abendmahl gefeiert hat.

Ich denke Jesus selber hat dafür die Grundlage gelegt, indem er einen neuen Bund gestiftet hat, eine juristische Institution beim letzten Mahl und indem er 12 Repräsentanten des neuen Israel gerufen hat und außerdem: die Grundlage im Judentum und Christentum geht es immer um Gott und ein Volk und natürlich wollte Jesus ein neues Volk.

Teil 1
Ich sitze mit Klaus Berger in seinem Arbeitszimmer. Dass ein Professor viele Bücher hat, ist zu erwarten. Dass das Wandregal voll ist von alten Büchern mit braunem Schweinslederrücken, nicht unbedingt. Das älteste, ein handgeschriebenes Evangeliar, stammt aus der Zeit, als Luther die Reformation ausrief, also dem 16. Jahrhundert. Alte Kommentare und Urschriften anderer Religionen aus dem Mittelmeerraum liest er grundsätzlich im Urtext: in aramäisch, syrisch, koptisch und arabisch. Schließlich hat er diese Sprachen auch studiert. Und er möchte vergleichen zwischen den Anderen und den christlichen Texten.

Mir liegt die Geschichte am Herzen. Dafür lebe ich in alten Bibelkommentaren, das heißt in Geschichte. Die ist für mich immer wichtig, weil wir da herkommen und weil die Urgemeinde die Urchristen in ihren Anschauungen ein guter Kommentar sind zu Jesus. Man kann Jesus besser verstehen und vieles ist vor allen Dingen auf dem gemeinsamen Boden des Judentums gewachsen. Das Judentum ist der gemeinsame Boden für alle neutestamentlichen Autoren wie für Jesus selber und dadurch wirkt das Ganze doch enger zusammen.

Dieses historische Entstehen war ein Gewaltiges. Aus einer Lokalveranstaltung unter Fischern und Bauern im letzten Winkel der Antike- im Galiläa der Jünger Jesu- wurde innerhalb von wenigen Generationen eine Weltreligion. Wie war das möglich? Welche Sprengkraft war da am Werke? Dieser spannenden Frage geht Berger in den 360 Seiten seines neuesten Buches über die Urchristen nach.

Das frühe Christentum hat sich durchgesetzt, weil es den Glauben an den menschlichen Gott verbunden hat mit der intensiven Zuwendung zu den Menschen. In dem, was man Diakonie oder Charitas nennt.

Schon in der Antike also haben die Menschen das auseinandersortiert: den persönlichen Glauben einerseits und das Alltagsverhalten andererseits. Den Privatglauben und die Welt der Politik und Moral. Die ersten Christen waren für ihre Zeitgenossen überraschend. Überraschend war-

Dass die Christen die Kinder nicht ausgesetzt haben, im Unterschied zur üblichen Praxis, dass die Frauen keine Sache waren, auf die man beliebig verzichten konnte, sondern dass die Ehe nicht scheidbar war, dass man die Gefangenen besucht hat und die Kranken besucht hat, dass die Krankheit selber geadelt wurde als Weg mit Christus zu Gott , all diese Dinge, die den Menschen ernst nehmen, das war entscheidend für das frühe Christentum.

Das Verhalten im Alltag - besonders gegenüber den Schwachen war nichts anderes als die sichtbare Seite des Glaubens. Das zweite überraschende Moment der Christen: Sie waren keine Gemeinschaft von moralisch hoch stehenden Menschen, die sich nichts zuschulden haben kommen lassen. Sogar ein Petrus, der Jesus im entscheidenden Moment verraten hat, macht Karriere in der Gemeinde.

Das heißt, man rechnet mit Menschen, die nicht einfach Sünder sind und rausgeschmissen werden, sondern mit Menschen, die sich entwickeln können auf dem Weg ihres eigenen Versagens immer noch Gott begegnen. Das ist die Überzeugung, weil es sich um einen barmherzigen, vergebenden Gott handelt und die Umkehr, siehe Petrus, immer möglich ist, zu jedem Zeitpunkt.

Teil 2
Jesus verkündigte das Reich Gottes und was dann kam, war die Kirche. So haben viele Pfarrer schon gepredigt. Und das wirkt bis heute. Jesus, sagen viele, der überzeugt. Was er gesagt und getan hat, Respekt! Und die ersten Christen, die haben noch alles miteinander geteilt und haben wirklich geglaubt. Doch von da an gings bergab, heißt es oft.
Dem gegenüber weiß Berger: eine ideale Christengemeinde hat es nie gegeben. Das waren Wunschträume, Projektionen. Christen waren schon immer zerstritten. Sie haben über alles gestritten, und zwar öffentlich.

Es gab eine christliche Öffentlichkeit und zwar eine Öffentlichkeit zwischen den Gemeinden, sodass der Bischof der einen Gemeinde einer anderen Gemeinde schreiben konnte, wenn da Probleme auftraten. Sodass die Gemeinden nicht vor sich hin gekriselt haben und vor sich hingeschmort sind, sondern es gab immer wieder sich einmischen von Gemeinden in christliche Gemeinden, weil offenbar das Empfinden zusammenzugehören stärker war als alles Andere.

Und es half, die verschiedenen Positionen auszuhalten. Immerhin verdanken wir der öffentlichen Debatte die meisten der Briefe, die im Neuen Testament erhalten sind. Briefe, von denen wir heute noch lernen und an denen wir uns heute noch wärmen können.
Dass diese Briefe und die Evangelien – 27 Schriften an der Zahl- dann verbindlich für alle Christinnen und Christen in der Welt zum Neuen Testament wurde, das ist für Klaus Berger bis heute eins der großen Wunder. Schließlich waren damals dreimal so viele christliche Schriften im Umlauf.
Zwei Besonderheiten sieht Berger im Christlichen Glauben:
Der Glaube an den unsichtbaren Gott- und die Gemeinde als Familienmodell, mit allen Konsequenzen:

Das Entscheidende am Glauben ist - die Unsichtbarkeit Gottes auszuhalten, dass man sich an ein Gegenüber bindet, das man nicht sieht und in der Regel nicht wahrnimmt, das wie abwesend scheint und - die anderen Christen auszuhalten, die angeblich die Brüder und Schwestern im Glauben sind, aber das ist halt wie in einer Familie, wo man einander nicht loswird. Und das Christentum ist ja soziologisch gesehen der Beginn einer neuen Familienstruktur.

Kirche als eine neue und besondere Art von Familie. Brüder und Schwestern im Glauben, die man eigentlich nicht mehr loswerden kann. Warum? Weil man einen gemeinsamen Vater im Himmel hat. Bleibt die Frage: Hat Jesus eine Kirche gewollt? Wollte er eine Organisation, eine Institution, die weiter trägt, was er gesagt und gelebt hat? Klaus Berger ist davon überzeugt.

Ich denke Jesus selber hat dafür die Grundlage gelegt, indem er einen neuen Bund gestiftet hat, eine juristische Institution beim letzten Mahl und indem er 12 Repräsentanten des neuen Israel gerufen hat und außerdem: die Grundlage im Judentum und Christentum geht es immer um Gott und ein Volk und natürlich wollte Jesus ein neues Volk.

Ein neues Volk von Christinnen und Christen, die wissen: wir leben mit unseren Fehlern, wir machen was draus, wir kümmern uns um die Schwächsten und geben niemanden auf. Und wir glauben, dass Gott uns liebt. Das ist der neue Geist, den wir feiern. Heute an diesem schönen Pfingstsonntag. https://www.kirche-im-swr.de/?m=3684
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