SWR2 Wort zum Tag

18OKT2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Kürzlich hat er seinen 80. Geburtstag gefeiert. Der Regisseur Werner Herzog. Schon als Student hat mich sein Film über Kaspar Hauser begeistert. Mit dem rätselhaften Titel „Jeder für sich und Gott gegen alle“.

Auch seine Dschungelfilme, wo einmal mitten im Dschungel ein Flussdampfer einen Berg hinaufgezogen wird. Visionäre, außerordentliche Momente, die Herzog in seinen Filmen festgehalten hat.

„Das geht nur“, sagt der Regisseur heute, „wenn Sie eine ganz klare Vision haben. Und das, was man im Katholizismus die Heilsgewissheit nennt. Fast wie eine gewisse religiöse Gewissheit.“

Was er von seinen Dreharbeiten im Dschungel mitgebracht hat, bezeichnet Herzog als „ekstatische Wahrheit“. Fakten seien wichtig, aber eben nicht alles. „Sonst müsste man“, sagt er, „das Telefonbuch von Manhattan als das Buch der Bücher bezeichnen, weil es ein paar Millionen faktisch völlig korrekte Einträge enthält.“

Ich glaube, von ekstatischen Wahrheiten, solchen, die die Alltagserfahrung sprengen, lebt auch der Glaube. Wenn er nicht blutleeres Gedankenspiel sein soll.

In der Bibel gibt es viele Geschichten, die ekstatische Erfahrungen schildern. Etwa die Bekehrungsgeschichte des Paulus vor Damaskus. Wo Paulus von einer plötzlichen Lichterscheinung zu Boden gestreckt wird. Und sein Leben eine neue Wendung bekommt.

Oder das rauschhafte Ereignis zu Pfingsten in Jerusalem, bei dem sich fremde Menschen als große Gemeinschaft erleben.

Natürlich sind solche Erlebnisse ambivalent. Sie können missbraucht werden. Andererseits sind sie die Glut unter der Asche, die einen erschlafften und ausgelaugten Glauben neu belebt.

Nicht immer muss es dabei so dramatisch zugehen wie im Dschungel bei Werner Herzog. Oder auf der Straße nach Damaskus. Ekstatische Erlebnisse gibt es auch anderswo.

Beim Hören einer Bachkantate geht mir etwas auf. Beim Durchleiden einer Krankheit sehe ich plötzlich klarer. Beim Blick in den nächtlichen Sternenhimmel erlebe ich einen Moment der Ewigkeit.

Ekstase heißt ja heraustreten. Ich finde es wichtig, sich nicht vom Alltag verschlingen zu lassen! Sondern offen zu sein für Erfahrungen der anderen Art. Wo mir blitzartig klar wird, um was es geht. Es nicht mehr heißt: „Jeder für sich und Gott gegen alle“.

Sondern das Leben eine Wendung bekommt, einen Dreh, der mich auf eine völlig neue Spur führt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36346
weiterlesen...