SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

Teil 1
„‚Hat er denn auch das richtige Gesangbuch?’ – Das war seine erste Frage“, erzählt mir die Frau. In wenigen Wochen feiert das Paar Goldene Hochzeit. Und wir unterhalten uns darüber, wie alles angefangen hat.
„Als ich damals vor 50 Jahren zu meinem Vater gegangen bin und ihm gesagt habe, dass ich einen Freund hab’ und ihn heiraten möchte“, so erzählt mir die Frau, „da wollte er als erstes nicht den Namen meines Zukünftigen wissen und wo er her kommt, sondern mein Vater hat nur das eine gefragt: Hat er denn auch das richtige Gesangbuch?“
Nein, das richtige Gesangbuch hatte er nicht. Denn er war katholisch und sie evangelisch. Es ist fast zu einem großen Familienkrach gekommen. Damals. Aber schlussendlich war die Liebe stärker und die beiden durften – auch mit dem Segen ihrer Eltern – heiraten.
„Ja, so war das damals.“ Und dann beginnen die beiden zu erzählen, wie es damals war in einem ganz gewöhnlichen Dorf in der Pfalz.
Das Dorf war geteilt in einen katholischen und in einen evangelischen Teil. Der Bach war die Grenze. Und wehe, eines der Kinder hat den Bach überschritten und ist in die falsche Dorfhälfte geraten. Dann konnte es leicht passieren, dass es von den anderen Schläge kassierte.
Im Schulhaus wurden die Kinder in zwei verschiedenen Stockwerken unterrichtet. Unten die Katholischen und oben die Evangelischen. Und weil es immer wieder zu Prügeleien gekommen ist, hat man unterschiedliche Pausenzeiten eingerichtet. Zuerst die große Pause für die Katholiken und dann, wenn diese wieder im Klassenzimmer waren, hatten die Evangelischen Pause.
Man soll sogar überlegt haben, getrennte Toiletten einzurichten, damit die Evangelischen nicht auf katholische Toiletten gehen müssen und umgekehrt.
Das war nicht nur bei den Kindern so. Die evangelischen Familien haben selbstverständlich beim evangelischen Metzger eingekauft und die Katholiken nur beim katholischen. Die Katholiken haben an Karfreitag die Wäsche gewaschen und sie draußen aufgehängt. Dafür haben die Evangelischen an Fronleichnam demonstrativ im Garten gearbeitet.
Ja, so war das damals. Und das ist noch keine 70 Jahre her.
Gut, dass die Zeiten sich geändert haben. Gut, dass heute evangelische und katholische Christen das Gemeinsame viel mehr sehen als das Trennende, dass sie sogar zusammen Gottesdienste feiern und miteinander beten können. Gut, dass die Frage nach dem „richtigen Gesangbuch“ in den Hintergrund getreten ist. Denn wir glauben an denselben Gott – egal ob katholisch oder evangelisch.
Dennoch schmerzt das Trennende – auch heute noch. Und nicht wenige leiden darunter, dass die beiden großen Kirchen getrennt sind. Wir können die Einheit nicht herbeizwingen, aber was wir tun können, ist, dafür zu beten, dass zusammenkommt, was zusammen gehört.
Darum wird heute in vielen Gottesdiensten für die Einheit der Kirche gebetet.

Teil 2
Heute am Sonntag vor Pfingsten geht es um die Einheit der Kirche. In vielen Gottesdiensten wird gebetet dafür, dass zusammenkommt, was zusammen gehört.
Gut, dass die Frage, ob evangelisch oder katholisch, heute an vielen Orten keine trennende Rolle mehr spielt. Gut, dass man sich auf das Gemeinsame besinnt und auch gemeinsam Gottesdienste feiern kann.
Wir haben voneinander gelernt und können heute die verschiedenen Ausprägungen des Glaubens nicht als Konkurrenz, sondern als Bereicherung und Ergänzung verstehen.
Doch Einheit der Christen bedeutet für mich noch mehr als die Einheit zwischen Evangelischen und Katholiken. Ich denke da an einen noch viel weiteren Horizont. Ich denke an die Einheit zwischen den Christen im Norden und im Süden unserer Welt.
Viele Menschen hier in Europa sind ja oft eher gleichgültig der Kirche und dem Glauben gegenüber. Viele spüren überhaupt nicht mehr, wie gut es tut, auf Gott vertrauen zu können.
Aber auf der südlichen Erdhalbkugel – gerade in Afrika oder Südamerika –, oder auch in großen Teilen Südostasiens sprüht die Kirche vor Leben, ist die Freude der Christen ansteckend.
Ich finde, von den christlichen Gemeinden im Süden können wir hier in Deutschland einiges lernen, etwa welche Bedeutung der Gottesdienst für ihr Leben hat.
In den Gottesdiensten am Sonntag bekommen die Menschen Kraft und werden ermutigt, ihren Alltag zu bewältigen. Die lebendigen Gottesdienste vermitteln beides: Lebensfreude und Begeisterung für den Glauben.
Mich beeindruckt auch das Gottvertrauen, mit dem Christen etwa in Afrika leben, dass sie auch im Alltag in Kleinigkeiten mit Gott und seiner Hilfe rechnen.
Die Bitte um das tägliche Brot hat dort einen ganz anderen Stellenwert als bei uns. Ihr tiefes Gottvertrauen stellt unsere Gleichgültigkeit und unsere Selbstzufriedenheit in Frage, finde ich.
Manchmal denke ich mir, es wäre gut, wenn wir mehr voneinander wüssten. Denn als Christen gehören wir zusammen – egal ob katholisch oder evangelisch. Egal ob in Deutschland oder in Kenia oder in Brasilien oder in Südkorea. Wir brauchen einander und können viel voneinander lernen.
Ich bin dankbar für meine Freunde in Afrika und Südamerika. Sie öffnen mir die Augen dafür, wie gut es mir hier in Deutschland geht, wo ich in Frieden wohne, wo ich jeden Tag zu essen habe und rundum versorgt bin.
Und sie fordern mich heraus, mutiger zu glauben, Gott mehr zuzutrauen, gewisser zu beten, die Augen vor den Nöten anderer nicht zu verschließen und mich für sie einzusetzen.
So gesehen bekommt die Bitte um die Einheit der Kirche einen ganz weiten Horizont. Da geht es nicht nur um unser Dorf oder unser Land. Da kommt die ganze Welt in den Blick. Und wir werden angesteckt von der Fröhlichkeit und Lebendigkeit, mit der Christen in anderen Erdteilen ihren Glauben leben.

Ich wünsche Ihnen einen frohen und gesegneten Sonntag. https://www.kirche-im-swr.de/?m=3610
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