SWR1 Begegnungen

10JUL2022
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Michael Blume Copyright die arge lola

Martina Steinbrecher trifft Dr. Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter der Baden-Württembergischen Landesregierung.                                                       

Michael Blume ist promovierter Religionswissenschaftler und arbeitet als Beauftragter gegen Antisemitismus bei der Baden-Württembergischen Landesregierung. Von seiner Arbeit sagt er, sie mache zwar nicht jeden Tag Freude, aber immer Sinn. Ich finde es erschreckend, dass Antisemitismus im 21. Jahrhundert noch immer an der Tagesordnung ist und bekämpft werden muss. Aber Michael Blume ist vorsichtig optimistisch:

Die gute Nachricht ist wirklich, dass die ganze Arbeit der letzten Jahrzehnte, auch durch tolle Lehrerinnen und Lehrer, durch engagierte Ehrenamtliche, das hat gewirkt. Wir sehen, dass der Anteil der Antisemitinnen in Baden-Württemberg sinkt, aber leider durch das Internet können sich die Leute, die in die Richtung tendieren, halt auch radikalisieren. Wenn Leute nicht damit klarkommen, wie es halt auf der Welt ausschaut, dann suchen sie Schuldige und landen dann häufig im Antisemitismus.

Woher kommt dieser Reflex, in jeder Krise den Antisemitismus wiederzubeleben, und warum widersetzt er sich so hartnäckig jeder Form von Aufklärung und gesundem Menschenverstand? Michael Blume erklärt:

Antisemitismus ist Rassismus plus Verschwörungsmythen, das heißt die Leute glauben, Semiten, Juden wären eine Rasse und wären Teil einer Weltverschwörung. Und das kommt daher: Mit dem Judentum beginnt die Alphabetisierung, es ist das erste Volk der Erde, die erste Religion der Erde, wo jedes Kind lesen und schreiben lernt. Wenn Leute heute an eine Weltverschwörung glauben, trauen sie das keiner anderen Gruppe zu. Früher oder später biegen die immer in den Antisemitismus ab, weil sie dann sagen, die sind so schlau, die stecken hinter der Covid 19 Pandemie, hinter Finanzproblemen, hinter der Klimakrise, das ist sozusagen das Problem: Jüdinnen und Juden sind wie so eine Art universeller Sündenbock. Wenn irgendwo was schiefgeht, dann werden immer sie beschuldigt.

Und wie gelingt es dann, so einen Irrglauben nachhaltig zu erschüttern?     

Da erreiche ich dann zum Beispiel was mit den Podcasts, wo uns dann Leute schreiben: Meine Tante, die war bei den Querdenkern, aber seit sie Ihren Podcast hört, können wir wieder miteinander reden. Viele Verschwörungsgläubige haben selber hin und wieder Zweifel, und die brauchen ganz niedrigschwellige Angebote, wo sie sich informieren können, was ist das alles, warum immer die Juden, und da mache ich sehr gute Erfahrungen mit dem digitalen Medium.

Neben der Auseinandersetzung mit aktuellem Antisemitismus spielt auch der Umgang mit dessen historischen Hinterlassenschaften eine wichtige Rolle. Der Bundesgerichtshof hat gerade entschieden, dass ein Steinrelief an der Wittenberger Stadtkirche, das jüdische Geistliche und ihre Traditionen auf das hässlichste verunglimpft, nicht entfernt werden muss. Begründung: Eine Tafel an Ort und Stelle sei ausreichend für Erklärung und Aufklärung. Wie steht Michael Blume zu dieser Entscheidung?

Ich bin eigentlich sehr froh, dass die Rechtsprechung bisher sagt, das dürfen Kirchen selber entscheiden. Es wäre einerseits schlimm, wenn der Staat jetzt quasi beginnt, die Geschichte überall wegzumachen.  Als Christ muss ich Ihnen aber sagen, möchte ich nicht in einer Kirche beten, in der judenfeindliche Schmähplastiken angebracht sind. Wer im 21. Jahrhundert immer noch in einem Ort beten will, wo Angehörige anderer Religionen verhöhnt, niedergemacht werden, mir reicht da eine Tafel nicht, Ich möchte nicht an einem Ort beten, wo Hass gepredigt wird. Ich glaube, dass Kirchen auch durch die Form, wie sie gestaltet sind, durch ihre Architektur, durch ihre Fenster, durch ihre Bilder sprechen, und wenn da menschenverachtende, frauenfeindliche, rassistische, antisemitische Darstellungen dabei sind, also mich stört das. An dem Ort, wo wir die Liebe feiern und die Hoffnung und die Nächstenliebe, da hat das keinen Platz.  

Die Liebe feiern und die Hoffnung und die Nächstenliebe. Auch darin sieht Michael Blume Kräfte, die antisemitischen Strömungen entgegenwirken.

Als Beauftragter der Baden-Württembergischen Landesregierung kämpft Michael Blume hauptberuflich gegen Antisemitismus. Er versteht sich auch als Förderer jüdischen Lebens und setzt sich für ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Religionsgemeinschaften ein. Für ihn fängt das schon in der Familie an:

Ich bin als Erwachsener evangelischer Christ geworden. Ich komme aus einer nicht religiösen Familie ursprünglich. Meine Frau ist Muslimin, und wir haben unsere Kinder jeweils segnen lassen, interreligiös, also da waren auch jüdische Freunde dabei, natürlich christlich- muslimische, Nichtreligiöse, Bahai, das war immer sehr, sehr schön, und wir erziehen sie in der Vielfalt der Religionen. Wir haben ständig was zu feiern zuhause mit unseren Feiertagen und wenn sie religionsmündig sind, dürfen sie sich selber entscheiden. Also bei uns funktioniert das eigentlich ganz gut.

Wie schön wäre es, wenn noch viel mehr Menschen von klein auf die religiöse Vielfalt als Reichtum erleben könnten. Michael Blume meint: In der Zukunft wird es dazu viele Möglichkeiten geben:

Wir werden hier eine Vielfalt haben, ein Großteil wird nicht religiös sein und die Religionen bilden Netzwerke, Räte der Religionen, sind auch freundlich zueinander, weil wir durch dieses schwierige 21. Jahrhundert auch gar nicht kommen, wenn wir uns in Feindschaft zurückziehen. Also die Vorstellung, es gibt das katholische Dorf, und das evangelische Dorf und vielleicht dann noch irgendwo eine jüdische Gemeinde oder eine Moschee, das sehe ich nicht mehr, sondern ich glaube, dass wir in bunten Städten leben werden mit einer Vielfalt an religiösen Traditionen und auch ganz vielen Nichtreligiösen und dann ist halt die Frage, wie gehen wir miteinander um.

Für mich klingt das fast wie eine biblische Vision – und es hängt mit an uns allen, ob sie eine Zukunft haben kann. Mir tut es gut, wenn Michael Blume davon erzählt: In manchen Bereichen hat diese Zukunft nämlich heute schon angefangen:

Man muss auch mal klar sagen, dass noch nie in der Geschichte das Verhältnis der Religionen so gut war wie z B. derzeit in Baden-Württemberg. Also was wir da an Zusammenarbeit haben, also ich sag nur mal zum Beispiel christliche Polizeiseelsorge und Polizeirabbiner, so was wäre früher undenkbar gewesen, also es ist wirklich toll!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35736
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