SWR4 Abendgedanken RP

Seit Anfang April hängen in der Mannheimer Citykirche große weiße Stoffbahnen. Darauf projiziert die Ulmer Künstlerin Gabriela Nasfeter Straßenszenen:
Eine Frau schiebt einen Kinderwagen durch die Fußgängerzone. Ein Mann stellt ein Fahrrad ab. Und daran vorbei rauscht eine Straßenbahn. All das kann man zwischen Orgelempore und Kirchenbänken sehen. „Von Außen nach Innen“ heißt die Installation. -

1. Teil
„Ich bin in diese Kirche reingekommen und wusste nicht, was mich hier erwartet. Komm hier rein, der Raum ist dunkel und der Kirchraum hängt voll. Das war der erste Eindruck gewesen: Dass ich im Eingangsbereich stand und mir nur dachte: Wow, was ist denn hier eigentlich? Und von daher immer tiefer in die Kirche reingezogen wurde, um mir dieses Werk anzuschauen. Es war ein völlig gewandelter Raum.

Kirsten de Vos aus Mannheim konnte sich schon in der Langen Nacht der Museen kaum satt sehen. Seit dem war sie schon mehrfach bei Tageslicht dort. Auch da war sie fasziniert von der einfachen und doch so wirkungsvollen Installation der Ulmer Künstlerin Gabriela Nasfeter. Deren bevorzugte Arbeitsformen sind großformatige luftige Textilobjekte. –

Kirsten de Vos:
„Die Konstruktion ist ne ganz einfache: Es hängen ganz lange Stoffbahnen in vier senkrechten Ebenen inmitten des Kirchenschiffes. Nicht gerade hängend, sondern etwas durchhängend nach vorne gezogen. Und gleichzeitig findet noch ne Bildprojektion auf diese Leinwände statt.“

Und die zeigt tonlos den Straßenalltag, wie er sich rund um die Kirche abspielt:
Ein Mann trägt Blumen vom Markt nach Hause.
Eine Frau hetzt mit einem Handy am Ohr durch die Straße.
Ein Junge schiebt sein Fahrrad durch die Fußgängerzone.
Und dazwischen schiebt sich die Straßenbahn. Oder ein Fahrrad. Oder ein Kinderwagen.
Was fasziniert an dieser Schau des Alltags im Kirchenraum so stark,
dass manche immer wieder in die offene Kirche kommen?
Die Antwort ist einfach, denke ich: Die Besucher spüren: Hier ist der Gegensatz von Alltag und Religion ganz ein-sichtig aufgehoben. Viele sagen und denken doch: Alltag und Religion haben nichts mit einander zu tun: Hier die Straße und da die Kirche. Hier das Profane und da das Heilige. Drinnen die Kirchgänger und draußen die „normalen“ Menschen. Die Installation hebt diesen Gegensatz spielerisch und doch ganz überzeugend auf. Das spricht auch Kirsten de Vos an, die sich schon lange für moderne Kunst in der Kirche interessiert.

„Wir sehen hier auf diesen Leinwänden Menschen in die Kirche reinprojiziert, die gar nicht wissen, dass sie hier sind. Und manchmal denke ich: So ist unser Leben auch. Also wir bewegen uns im christlichen Kontext auch wenn wir uns dessen nicht immer ganz bewusst sind.“

Wenn Kunst einsichtig macht, dass Alltag und Religion viele Berührungspunkte haben, dann ist das im Kern ganz evangelisch. Wir Protestanten kennen nämlich keine an sich heiligen Orte und Zeiten, sondern Glauben und Leben durchdringen sich immer.
Paulus hat dazu gesagt: „Das ist ein vernünftiger Gottesdienst, wenn er sich auf alle Bereiche des Lebens bezieht.“
Dazu gehören dann natürlich auch die Mühen, ein solches Kunstprojekt in einer Kirche aufzubauen – und darum geht es im zweiten Teil.

2. Teil
Viele bewundern in diesen Tagen die Schönheit und Leichtigkeit der großen weißen Segel in der Mannheimer Citykirche Konkordien: Ganz luftig, ganz leicht scheinen sie von der Decke zu schweben.
Doch diese sieben rechteckigen Stoffbahnen aufzuhängen – das erforderte exakte Planung und Berechnung. Viel Anstrengung und Kraft waren nötig, Zweifel und Fragen gab es auch. Von der Vision zur Verwirklichung – das ist eben ein langer Weg:
Was am Anfang zusammengefaltet in Kisten lag, konnte sich höchstens die Künstlerin „ent-faltet“ im Raum vorstellen. Für alle anderen blieb es rätselhaft, um nicht zu sagen: mühsam, sich das fertige Kunstwerk in der Kirche vorzustellen. Das ist ja das besondere dieser Art der Installation: Man kann sie vorher nicht sehen. Walter Götzger, Mitarbeiter der Citykirche Konkordien über den Aufbau:

„Das war ein Tag mit Lachen und Weinen. Am Morgen, wo die Frau Nasfeter dann mit zwei Plastik-Boxen ankam und nachdem ich ja ein bisschen eine Vorstellung hatte, was da draus entstehen soll, welche Dimension, war es doch relativ unverständlich.“

Die Segel der Installation sind jetzt so groß wie Drei-Zimmer-Wohnungen. Sie sind ohne einen einzigen Nagel an den tragenden Säulen der Kirche festgemacht: Alles ist geknotet, verschnürt, verspannt.
Kein Wunder, dass den Helfern da manchmal der Überblick abhanden gekommen ist. Alles schien sich zwischenzeitlich zu verknoten.

„Nachdem wir die Kisten ausgepackt haben und der ganze Fußboden der Kirche, wo wir dann ja auch Bänke ausgebaut hatte, voller weißem Stoff gelegen ist, und nebendran hunderte von Metern Seil, ist erst einmal eine große Unklarheit über uns gekommen. Das heißt: Wir hatten überhaupt keine Vorstellung, wie es uns gelingen sollte, diese Installation nach oben zu bringen und auch so auszurichten, dass es auch diese Wirkung erzielt.“

Es war mühsam, bis die „Wirkung“ sich einstellte. Für die Mitarbeiter forderten die zwanzig Aufbaustunden viel Geduld, viel Kraft und einen langen Atem. Doch am Ende waren alle Zweifel ausgeräumt.

„Und wenn das Werk dann hängt, und es wird noch Stundenlang perfektioniert, bis das in der endgültigen Form da ist – dann ist man auch stolz, dass man dabei war – und vor allem passt ja diese Installation ganz hervorragend in die Citykirche rein. In sofern würde ich das jedes mal wieder machen.“

Der Erfolg entschädigt für die Mühen: Fast 900 Besucherinnen und Besucher kamen in der Langen Nacht der Museen in die Kirche. Und jetzt kann man noch bis Pfingsten staunen, wie sich ein Kirchenraum verwandeln kann.

„Wir ham eine sehr große Installation in der Citykirche Konkordien, die dadurch besticht, dass sie den Raum völlig neu aussehen lässt. Sie ist einmal sehr offen und auf der anderen Seite bietet sie auch Schutz.“

Und zwar für die Besucher, die mit großen Augen vor den Himmelssegeln stehen. Sie staunen über diesen schöpferischen Prozess. - Es ist, als ob sich darin auch etwas widerspiegelt vom schöpferischen Handeln Gottes, von dem es ganz am Anfang der Bibel heißt: „Und, siehe, es war sehr gut.“ -


3. Teil
Viel hat sie schon in Kirchenräumen gearbeitet: Die Ulmer Künstlerin Gabriela Nasfeter. Im Jahr 2000 hat sie in zwölf großen Kirchen Europas zeitgleich je eine textile Lichtpyramide installiert: Unter anderem im Berliner Dom, der Istanbuler Hagia Irene, der Straßburger Thomaskirche oder der Londoner Kirche St. James. Typisch sind ihre schwebenden Objekte. Jetzt hat sie für die Mannheimer Citykirche Konkordien die Arbeit „Von Außen nach Innen“ geschaffen.
Die Vorliebe für Kirchenräume formuliert die Künstlerin so:

„Eben besondere Räume, große Räume, welche haben ganz bestimmte Ausstrahlung, ganz bestimmte Lichtwirkung und sind riesig. Sie überwältigen mich.“

Ihr bevorzugtes Material ist weißer, ganz dünner Spinnackerstoff – leicht wie ein Fallschirm und doch kräftig wie ein Segel. Dieser Stoff entfaltet in Kirchen eine besondere Wirkung:

„Ich nehme an, das ist die Farbe Weiß und die Leichtigkeit von dem Material, welche ich benutze. Und mein erstes Projekt, welches ich gemacht habe, habe ich dann Abstand genommen und hab ich festgestellt: Das entfernt sich, kriegt also total eigenes Leben und ist still, meditativ. Hat etwas Spirituelles.“

Die schöpferische Arbeit der in Polen geborenen Künstlerin hat dabei eine erstaunlich wohltuende Wirkung im Blick auf die Anspannungen und Aggressionen unserer Zeit.

„Meine Objekte bringen eine Ruhe, eine Stille – durch diese stille, leichte Stoff. Und wenn ein Mensch das anders erlebt als die aggressiven Menschen, dann sage ich, das hat sich gelohnt.“

Viele Besucher in der Mannheimer Konkordienkirche spüren die kraftvolle und doch beruhigende Wirkung des Kunstobjekts . Es ist, als ob sich darin auch etwas vom Antrieb der Künstlerin auf den Betrachter überträgt.

„Das ist Begeisterung von den neuen spannenden Räumen und dann:
Ständige Neugier auf mich selber. Und auch die neuen Fragen, welche ich mir selber stelle.
Und immer prüfen muss, ob das, was ich wirklich vorhabe, funktioniert.
Und die Energie hab ich – ich kann nichts dafür. Der liebe Gott gibt vielen Menschen dies und das. Und ich habe zu viel Energie bekommen – und die muss raus!“


Gott sei Dank kommt sie raus! So können wir Anteil haben an Gabriela Nasfeters Begabung. Dass sie ihre Energie und ihre Begabung nicht als Besitz zu versteht, sondern als etwas, an der andere Teil haben können – das ist eine schöne Haltung, längst nicht nur für Künstler.
Sie spiegelt etwas wider von der biblischen Grundhaltung: Niemand lebt für sich allein. Unsere Begabungen bereichern die anderen. Sie sind Teil der schöpferischen Kräfte, die Gott in uns Menschen gelegt hat. Sie sind Teil der Kultur, die uns umgibt.
„Vielleicht hält Gott sich ein paar Künstler“ – so hat es sinngemäß der Schriftsteller und Pfarrer Kurt Marti formuliert. - Ich bin mir ganz sicher: Künstler können Kirchenräume und Glaubensfragen ganz neu zum Sprechen bringen. Kunst in der Kirche – das ist für mich deshalb oft: Einstimmen in ein lautes Lob
der schöpferischen Kräfte. - Und daran können Sie sich noch bis zum 15. Mai in der Mannheimer Citykirche Konkordien freuen. https://www.kirche-im-swr.de/?m=3573
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