SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

24APR2022
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Erinnern Sie sich an Quasimodo? Den buckligen „Glöckner von Notre Dame“? Das ist die Hauptfigur von einem prächtigen alten Hollywood-Schinken. Als ich ein Kind war, lief der oft im Fernsehen. Was hab ich mich gegruselt, als ich Quasimodo zum ersten Mal gesehen hab! Der ist wirklich abgrundtief hässlich! Schief und krumm gewachsen und das Gesicht völlig missgestaltet. Aber was in Wirklichkeit das Hässliche ist: Seine Mitmenschen schließen von seinem Äußeren auf sein Inneres. Sie verachten ihn und schließen ihn aus. Nur als Spottfigur hat er einen Platz bei ihnen.

Dabei hat Quasimodo ein ganz weiches und gutes Herz. Er verliebt sich in die schöne Tänzerin Esmeralda. Für sie würde er alles tun. Was wäre das für eine Chance! Wenn er mit ihr ein neues Leben anfangen könnte! Wenn er dazugehören würde! Wenn er nicht mehr ausgelacht würde!

Aber da wird leider nichts draus. Am Ende hat Quasimodo nicht nur seine Esmeralda verloren, sondern auch sein gutes unschuldiges Herz.

Heute muss ich an Quasimodo denken. Er hat seinen Namen vom heutigen Sonntag: dem Sonntag Quasimodogeniti. Das ist der Sonntag nach Ostern. An diesem Tag ist Quasimodo gefunden worden, erzählt die Geschichte. Als Findelkind auf den Stufen von Notre Dame. Quasi modo geniti infantes – das sind die lateinischen Anfangsworte von einem Bibelvers. Auf Deutsch: Wie die neugeborenen Kinder. Es geht darum, dass wir Christen durch unsere Taufe wie die neugeborenen Kinder werden. Alles, was in unserem Leben schlecht und böse ist, können wir ablegen. Was für eine Chance! Wer getauft ist, kann wie ein neu geborenes Kind noch einmal ganz neu anfangen. Gott fängt mit ihm noch einmal von vorne an.

Früher wurden an diesem Sonntag viele Menschen getauft und in die Gemeinschaft der Christen aufgenommen. Daran erinnert die katholische Tradition der Erstkommunion. Viele Kinder gehen heute zum ersten Mal zum Abendmahl. Die Mädchen tragen weiße Kleider. Wie ein Taufkleid! Das ganze Fest erinnert daran: Christen haben eine große Chance. Sie können noch einmal ganz von vorne anfangen. Alle Fehler hinter sich lassen.

Quasimodo trägt kein weißes Kleid. Aber er trägt den Namen von diesem Sonntag. Und er ist arglos und unschuldig wie ein neugeborenes Kind. Doch kein Mensch bleibt unschuldig, auch nicht Quasimodo.

Das merke ich selbst, wenn ich mein eigenes Leben angucke: Ich werde immer wieder schuldig. Ich sage etwas oder tue etwas, was nicht gut ist. Was andern weh tut oder vielleicht sogar schadet. Und andere haben vielleicht mir weh getan. Kein Mensch kommt durchs Leben, ohne schuldig zu werden.

Das können auch Taufe und Kommunion nicht verhindern. Aber können sie trotzdem helfen? Kann ich noch einmal neu anfangen?

Ohne Neuanfänge können wir eigentlich gar nicht miteinander leben. Das müssen gar nicht große Dinge sein. Grund zum Neuanfangen gibt es jeden Tag. Die Bibel gibt ja viele gute Ratschläge. Einer heißt: Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen. Ja, wir Menschen reizen einander zum Zorn. Es gibt Streit, es gibt heftige Zerwürfnisse. Aber so zerstritten sollte man den Tag nicht enden lassen. Das letzte Wort sollte nie ein Schimpfwort oder ein Vorwurf sein. Wenn ihr euren Weg gemeinsam weitergehen wollt, sagt die Bibel – ja, dann klärt die Sache, bevor die Sonne untergeht.

Und wenn es dann geklärt ist, dann ist das doch ein Neuanfang. Dafür braucht es manchmal sehr viel Mühe. Da sind die Gräben so tief, die Verletzungen so gewaltig. Doch auch dann geht es. Und wenn es gelingt, dann ist das ein großes Geschenk. Eine große Chance! Ich habe das in meinem Leben schon mehrmals erlebt. Bestimmt könnten Sie auch davon erzählen!

Neuanfänge brauchen wir eben alle. Ich finde es wichtig, das nie zu vergessen. Ich bin darauf angewiesen, dass andere Menschen mit mir neu anfangen wollen. Weil ich das weiß, kann ich auch mit ihnen neu anfangen. Und die Bibel sagt von Anfang bis Ende: Nur weil Gott mit uns Menschen immer wieder neu anfängt, nur darum geht es überhaupt weiter. Das zieht sich durch das ganze dicke Buch hindurch: Gott hat Adam und Eva aus dem Paradies geworfen. Aber draußen mit ihnen neu angefangen. Und nach der Sintflut hat Gott mit den Menschen und Tieren noch einmal neu angefangen. So geht das immer weiter. Jesus hat mit allen möglichen Menschen neu angefangen. Gerade mit denen, mit denen keiner was zu tun haben wollte. Die ausgestoßen waren – wie Quasimodo, der Glöckner von Notre Dame. Ja, ich glaube, um Quasimodo hätte Jesus sich richtig gekümmert!

Niemand kommt ohne Fehler durchs Leben. Auch ich habe keine weiße Weste. Aber ich darf mir sagen: Ich bin getauft. Wie ein neu geborenes Kind kann ich neu anfangen - immer wieder aufs Neue. Ich bin kein kleines Kind mehr, wie bei meiner Taufe. Aber vor Gott stehe ich im Grunde immer noch genauso da. Darauf vertraue ich. Und darum traue ich mich auch selbst, immer wieder neu anzufangen. Jeden Morgen. Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35180
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