SWR1 Begegnungen

Wolf-Dieter Steinmann trifft Günter IhleGünter Ihle, Pfarrer in der dt.-frz. Grenzstadt Kehl

Kirchen an der Grenze, die keine mehr ist

Zwischen Kehl und Straßburg ist die Grenze keine Grenze mehr. 4 Brücken, dicht beieinander, verbinden Kehl und Straßburg auf der französischen Rheinseite. In 10 Minuten sind Günter Ihle und ich zu Fuß drüben. Pausenlos überqueren Autos, Eisenbahn und Tram die Grenze, die keine mehr zu sein scheint. Auch als evangelischer Pfarrer mag Günter Ihle dieses Miteinander und lebt es.

Es wird hier in unserer Fußgängerzone selbstverständlich französisch gesprochen. Wir hören das. Wir haben da schon ein anderes Flair als manch andere Städte in Baden.

Vor 2 Generationen war das anders. Ich bin auch noch mit Geschichten aufgewachsen, da war Frankreich fremd, feindlich.
Günter Ihle kannte das auch. Heute ist er mit einer Französin verheiratet. Seine Kinder leben 2-sprachig. Aber er weiß:

Auch in einer deutsch-französischen Beziehung muss man lernen, sich auf unterschiedliche Kulturen und Vorstellungen einzulassen und wenn es nach dem Großvater meiner Frau gegangen wäre, dann wären wir nicht zusammen, der hätte das nicht gewollt.

Viele Franzosen wohnen heute in Kehl. Und die Kirchen wollen das Miteinander mitgestalten: Auf Straßburger Seite entsteht gerade ein neues Viertel für 20000 Menschen. Eine Herausforderung. Die Elsässer Evangelischen haben in Baden angeklopft.

Es war ein Anliegen erst mal der französischen Seite, dass wir schauen, wie wir diese Menschen auch kirchlich begleiten und da diese Grenze keine Grenze mehr ist, war auch von vornherein klar, dass wir das gemeinsam machen sollten.
Es ist schon mal genial und einmalig in der Zusammenarbeit unserer beiden Kirchen, dass wir jetzt so eine pastorale Arbeit gemeinsam verantworten. Pfarrerin van der Keere und ich jeweils mit einem entsprechenden Stellenanteil.

Sie wollen keine „feste“ Gemeinde gründen, sondern neues probieren. Einen ersten Anlaufpunkt gibt es schon: „Die Kapelle der Begegnung“ (chapelle de rencontre); die kleine alte Kirche: lag im Dornröschenschlaf. Ist bisschen heruntergekommen. Günter Ihle hofft, dass da Neues wächst.

Zum einen, wir wollen Menschen begegnen, nicht nur im kirchlichen Kontext, wahrnehmen, was sie bewegt, welche Sorgen, Nöte aber auch Hoffnungen sie haben. Und umgekehrt wollen wir auch Begegnung ermöglichen zwischen Kirche und Kunst. Die zweite Achse zB. Dass eine deutsche und ne französische Taizégruppe ein gemeinsames Taizégebet halten. Und  wir geben Möglichkeit zu neuen spirituellen Erfahrungen. Und das andere ist, dass wir natürlich im Blick haben die Kinder und Jugendlichen in diesem Viertel.

Sie verstecken dabei nicht, dass sie Kirche sind. Aber sind offen für jede. Nicht missionieren, den Menschen in christlichem Geist begegnen. Sie wollen mithelfen, dass aus dem nicht einfachen Viertel was Gutes wird.

Und natürlich diese Botschaft der Hoffnung, die wir auch in ein Stadtviertel hineintragen, das auch sehr prekär ist und da ist die interessante Erfahrung, dass wir gerade auch bei nichtkirchlichen Partnern offen empfangen werden.

Neuland entdecken

Wenn ich so unbekanntes Neuland betreten müsste wie Günter Ihle, mir würde das zusetzen. Er ist Pfarrer in Kehl am Rhein. Seine Stadt wächst zusammen mit Straßburg. Ein deutsch- französischer Lebensraum entsteht. Das fordert ihn. Zusammen mit seiner evangelischen Kollegin in Straßburg erfindet er neu, wie Kirche da sein kann für Menschen in einem Stadtviertel, das gerade neu entsteht für 20000 Leute.

Einerseits bin ich ganz glücklich und happy, was wir erreicht haben, aber vor so einem unentdeckten Land zu stehen, das macht natürlich auch unruhig.

Was kann einem helfen in so einer Situation, dass einem das Neue nicht über den Kopf wächst. Ich glaube, bei Günter Ihle kommen mehrere Dinge zusammen. Zum einen: Sein Glaube motiviert ihn, was zu bewegen für die Menschen. Und er macht ihn offen und neugierig.

Wir sind alle Kinder Gottes, wir machen keine Unterschiede egal welcher Herkunft, welcher Sprache, welcher Religion sie sind. Und ich seh als Leitbild für mich auch das Bild vom wandernden Gottesvolk, wo deutlich wird, dass wir Freud und Leid miteinander teilen, auf dem Weg des Reiches Gottes und da vielleicht auch schon Momente davon erleben. Das macht mir Zuversicht, auch wenn ich nicht immer weiß, wohin der Weg führt.

Als Zweites. Sie fangen ein neues Projekt an, aber es hilft, sich klar zu machen: „Nicht bei null. Wir bauen auf auf guten Erfahrungen“. Und die prägen den Geist zwischen den Kirchen am Rhein.

Dieser Geist hängt natürlich auch zusammen mit Versöhnungsarbeit, die die Kirchen hier schon seit Jahrzehnten leisten. Auf diesem Boden ist jetzt etwas gewachsen, was weitergeht. Das wird natürlich schon geschätzt, dass wir so etwas hineingetragen als Hoffnungsträger auch.

Und das dritte: das Ziel, das einen lockt. Einstehen für Versöhnung auch im All- täglichen. Er ist sicher, dass sich dafür der Einsatz lohnt.

Wir können hier Erfolgsgeschichten erzählen, wir müssen aber auch sagen, wie schwierig es ist, eben auch den Alltag der Versöhnung zu leben und zu gestalten, gerade auch im grenzüberschreitenden Miteinander, um deutlich zu machen: Ja, auch das weitere Leben aus der Versöhnung ist möglich und entscheidend wichtig.

Und auch das Miteinander tut gut. Die Evangelischen sind in Frankreich eine kleine Minderheit. Aber sie bringen damit Erfahrungen ein, von denen Günter Ihle profitiert.

Ganz grundsätzlich zu lernen, Minderheiten zu respektieren und ernst zu nehmen. Und natürlich, wenn Kirche immer weniger selbstverständlich ist, in der Gesellschaft entsprechend aufzutreten, auch mit den geringeren Ressourcen etwas zu erreichen.

Kehl-Straßburg, das ist „Europa im Kleinen“. Den Frieden, den wir haben, alltäglich mit Leben zu füllen, dazu gehört auch, sich auf Neuland zu wagen. Ich nehme von Günter Ihle und Kehl mit: Wir haben Ressourcen als Menschen und Christ*innen, mit denen das gelingen kann.

Wir haben einen Frieden, der nicht mehr wegzudenken ist. Dass das natürlich für andere fruchtbar gemacht werden kann. Und das ist schon noch meine Hoffnung hier, dass das was wir hier erleben und leben, ausstrahlt und dann auch von beiden Völkern, Deutschen und Franzosen, weitergelebt wird.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26506
weiterlesen...