SWR1 Begegnungen

Prof. Dr. Kristian FechtnerAnnette Bassler trifft Prof. Dr. Kristian Fechtner, Professor für Praktische Theologie, Mainz

Segne mich!

Was ist das eigentlich- Segen? Und was tun wir, wenn wir einander segnen? Darüber hat der Theologieprofessor aus Mainz beim Kirchentag in Berlin einen Vortrag gehalten. Ich habe ihn dort getroffen und nochmal nachgefragt: Was ist das, Segen?

Es geht wesentlich darum, dass sich Leben erneuert und dass Menschen spüren, dass Lebenskräfte durch sie durchfließen, das erleben sie draußen in der Natur in besonderer Weise, das erleben sie in Gemeinschaft. Hier auf dem Kirchentag könnte man sagen: der Kirchentag ist eigentlich ein Pfingstereignis, ein Pfingstfest.

Lebenskräfte spüren, mir geht das so, wenn ich im Garten sitze, oder durch die blühenden Wiesen wandere. Oder wenn ich liebe Menschen treffe. Das hat auch was mit Pfingsten zu tun. Ist aber nur der Anfang.

Der Volksmund sagt: Pfingsten sind die Geschenke am geringsten. Gott sei Dank, Kommerz hat Pfingsten noch nicht so recht entdeckt. Hat aber auch etwas damit zu tun, das Pfingsten für Menschen eher etwas Unanschauliches ist mit dem Geist. Was ist das eigentlich, was für eine Geschichte wird da erzählt?

Es ist eine Indoor- Geschichte. Da sitzen die Jünger ziemlich niedergeschlagen in einem Raum. Türen zu. Und auf einmal tanzen über ihren Köpfen Feuerzungen und sie sind „Feuer und Flamme“. Und durch den Raum fegt ein frischer Wind.

Das ist ein Sinnbild dafür, dass Menschen berührt werden von einem Pfingstlichen, göttlichen Geist, etwas spüren vom Leben, von der Vitalität des Lebens und wenn man das als Hintergrund nimmt, dann könnte man tatsächlich sagen, dass manche Dinge, die ganz unkirchlich heute passieren, intuitiv etwas mit dieser pfingstlichen Tradition zu tun haben.

Die Vitalität des Lebens kann man auch in Begegnungen spüren. Da ist zum Beispiel mein freundlicher Kassierer im Supermarkt. Mit seinem „schönen Tag“ oder dem „einen guten Start in die Woche“ kann er mich aus meiner Muffeligkeit rausreißen. Vielleicht ist das nur verordnete Service- Höflichkeit. Aber er macht das gern. Und zaubert mir damit ein Lächeln ins Gesicht. Warum eigentlich?

Wir sind als Menschen in der Lage, andere an unserer Kraft teilhaben zu lassen. Und das ist etwas, was Menschsein auszeichnet, aus diesen Begegnungen Kraft zu schöpfen.

Und das passiert ständig im Alltag. Aber diese Kraft ist nichts, was wir besitzen. Wir bekommen sie auch selbst und stecken andere damit an.

Menschen begegnen sich, Menschen spüren in dieser Begegnung etwas von einem Geist, der sie vereint, verbindet, trägt, motiviert. Auch sie motiviert, sich mit dem auseinanderzusetzen, was heute an der Zeit ist-

Indem wir einander segnen, stecken wir einander mit Lebenskraft und Gesundheit an. Und das passiert nicht bloß als ein Gedanke. Es passiert leiblich, durch den Körper. Segen passiert durch Augen und Hände, erzählt mir Kristian Fechtner. Das ist schön, hat aber auch einen Haken.

aber bleib mir vom Leib!

Segne mich, aber bleib mir vom Leib! Das war der Titel des Vortrags von Kristian Fechtner auf dem Berliner Kirchentag. Segen ist eine körperliche Angelegenheit. Und da braucht es ein feines Gespür für den richtigen Abstand. Denn Segen passiert mit Augen und Händen.

Der Segen ist eine Augengeste. Es gibt einen schönen Satz der Dichterin Gabriela Mistral, die sagte. „Wenn du mich ansiehst, dann werde ich schön.“ Es gibt also einen wohlwollenden Blick, der etwas leibhaftig mit uns tut. Und das gibt es eben auch im negativen.

Meine Augen und Hände können Kraft weitergeben, Mut machen, Würde verleihen. Sie können aber auch verletzen, kränken, sogar töten. Sie haben Macht. So wie die Augen und Hände der anderen für mich Macht haben können.

Wenn wir einen Segen empfangen, dann empfangen wir nicht nur Kraft, sondern dann vergegenwärtigen wir uns auch: wir sind segensbedürftig. Nicht weil wir besonders unzulänglich sind, sondern weil wir Menschen sind.

Segensbedürftig- ja, ich glaube, dass das stimmt. Am Ende des evangelischen Gottesdienstes sagt der Pfarrer deshalb: Gott erhebe sein Angesicht über dich, Gott schaue dich gnädig an. Wenn ich mich vor Gott stelle in meiner ganzen Bedürftigkeit-

Dann sind solche Segenssituationen auch Scham Situationen. Also Situationen in denen wir Schutzzäune errichten, wir wollen nicht alles zeigen von dem, was uns ausmacht.

Weil wir unsere Würde schützen wollen.  

Und von daher heißt das, wenn der Segen eine so enge Beziehung schafft, einen so engen Austausch, dann braucht es auch Mindestabstände.

Beim Segnen ist es wichtig, den richtigen Abstand einzuhalten. Einander nicht unter Druck setzen, dass man sich doch mehr öffnen oder zeigen sollte. Beim Segnen hat Druck nichts zu suchen.

Menschen haben ein sehr genaues Gefühl dafür, welche Mindestabstände sie in solchen  intimen Situationen, die zugleich öffentliche Situationen sind, brauchen. Und da sitzt manch einer gern hinter der Säule-

wenn am Ende eines Gottesdienstes gesegnet wird. Das ist in Ordnung. Deshalb spricht der Pfarrer den Segen auch vom Altar aus- aus sicherer Entfernung.

Ich glaube, dass zu unserer Segenspraxis dazugehört, dass wir sehr aufmerksam mit solchen Distanzbedürfnissen umgehen, sie nicht überspringen, sie nicht ausblenden, weil Menschen erleben das sonst als etwas Zudringliches.

Zum Schluss frage ich Kristian Fechtner nach seiner wichtigsten Segenserfahrung. Da erzählt er von einem Gottesdienst, bei dem die Kinder aus dem Kindergarten in die Schule entlassen werden. Und in diesem Gottesdienst haben sich die Kinder, auch die Tochter von Kristian Fechtner, vor ihren Eltern aufgestellt und haben sie gesegnet, mit erhobenen Händen.

Dass sie das können, weil sie nicht ihren eigenen Segen mitgeteilt haben, sondern ihren Segen Gottes für mich, das hat mich umgehauen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24342
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