SWR2 Wort zum Tag

oder Pfingsten mal anders 

Am letzten Sonntag haben wir Pfingsten gefeiert. Ein schönes, aber auch schwieriges Fest. An Weihnachten geht es um eine Geburt, an Ostern um Tod und Auferstehung. Themen, die uns auch im realen Leben immer wieder beschäftigen. Aber Pfingsten? Sendung des Heiligen Geistes? Das klingt ziemlich nebulös, ist schwer greifbar. Vor vielen Jahren wurde mir der Sinn dieses Festes auf unerwartete und ungewöhnliche Weise deutlich gemacht. Damals war ich Pfarrer in Bad Kreuznach. Mit Messdienern, Kerzen und Weihrauch zog ich zum Pfingstgottesdienst feierlich in die Kirche ein. Die Orgel brauste wie der Sturm aus der Pfingstgeschichte. Die Leute sangen, jeder so wie er konnte. Im Altarraum angekommen sah ich sie. Oben auf dem Sims über dem Hochaltar. Sie saß da, ruhig, abwartend, als sei dies das Selbstverständlichste von der Welt: eine Taube, eine fast schneeweiße Taube. Ich ging zum Mikrofon, begrüßte die Gemeinde und sagte, nun sei es wohl endgültig klar, dass unsere Nikolausgemeinde bedeutend und wichtig sei. Wenn schon der Heilige Geist, höchstpersönlich, an unserer Pfingstmesse teilnähme! In Gestalt einer Taube, wie man es von Bildern her kennt. Ich verbeugte mich schmunzelnd und begrüßte den Heiligen Geist als Ehrengast. Im gleichen Moment breitete er, die Taube meine ich, also: sie breitete ihre Flügel aus, schwang sich vom Sims und drehte eine Ehrenrunde durch die ganze Kirche. Eine einzige sehr majestätische Runde. Dann landete sie wieder an ihrem Platz und blieb dort sitzen. Während der ganzen Messe. Die Gerüchte, ich hätte sie vorher in die Kirche geschmuggelt, quasi als „Pfingst-Gag“, ich glaube, die gibt’s heute noch. Hab ich aber nicht. Ehrlich. Nüchtern betrachtet stand einfach ein Fenster offen. Mir wird dieses Pfingsten unvergesslich bleiben. Weil der Heilige Geist wirklich in Gestalt einer Taube da war? So naiv bin ich nun auch nicht. Aber er war da. Nur anders, sogar deutlicher. Die Leute amüsierten sich, lachten oder lächelten zumindest. Man lockerte die Krawatte. Im übertragenen Sinn. Die Taube hatte die Stimmung verändert. Am biblischen Pfingstfest rückten die Menschen zusammen. An diesem Pfingsten auch. Anders, als wir vorher gedacht hatten. Ich glaube, Gott hatte seinen Spaß an uns, für einen Augenblick. Weil man endlich mal unseren Gesichtern ansah, was wir mit unseren Liedern und Gebeten sagen wollten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22039
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