SWR3 Gedanken

Heute in einer Woche sitzen sie wieder zusammen. Glückliche Familien an Heilig Abend. Er aber nicht. Er schlendert zurück in seine Einzimmerwohnung. Gerade hat er noch eingekauft. Eine große weiße Kerze, eine besondere für die Heilige Nacht. Dazu eine Dose Ravioli und eine Flasche Wein. Viel hat er erlebt mit seinen 80 Jahren. Hat viel gelitten, aber auch das Glück einer großen Liebe erfahren. Doch seit die große Liebe vor 10 Jahren gestorben ist, feiert er den Heiligen Abend allein. Kinder oder Geschwister hat er nicht. Was ihm bleibt ist ein Foto seiner großen Liebe, das er behutsam neben der Kerze platziert. Vor den Fenstern und im Wohnblock hört er geschäftiges Treiben und fröhliches Weihnachtslachen. Stille Nacht, heilige Nacht klingt zu ihm herauf. Er will mitsingen, aber die Töne wollen ihm nicht über die Lippen kommen. Dazu ist es zu still geworden in seiner Wohnung und in seinem Herzen.

Plötzlich klopft es an der Tür. Als er öffnet - eine freundliche Stimme: „Sie wohnen doch allein. Wir wohnen gegenüber und wollten fragen, ob sie mit uns Weihnachten feiern wollen. Es geht etwas wild zu mit 3 Kindern, aber wir würden uns freuen. Möchten Sie nicht mit rüber kommen?

Erstaunt blickt er die Frau an, zögert, geht dann aber doch mit. Und dann sitzt er mit der Nachbarsfamilie unterm Christbaum. Und singt aus vollem Herzen die Weihnachtslieder. Denn jetzt ist es für ihn zwar keine stille Nacht mehr, aber eine heilige.

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