SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

Ein Meter. Nichts Besonderes eigentlich. Ein Meter, der reicht mir gerade bis zum Hosenbund. Wenn  jedoch der Wasserspiegel der Weltmeere um diesen einen Meter ansteigt, dann geht es um mehr als nasse Hosen. Rund 150 Millionen Menschen leben heute in Gegenden, die weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel liegen. Den allermeisten fehlt das Geld, um sich zu schützen. Gewaltige Dämme und Sperrwerke, wie man sie in den Niederlanden sehen kann, wären in Ostasien unbezahlbar. Ein Anstieg der Meere könnte also bis zu 150 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertreiben. Die Veränderung des weltweiten Klimas macht das immer wahrscheinlich. Flüchtlingsströme, die wir derzeit in Europa erleben sind womöglich nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen kann. Überall auf der Welt.

Es ist aber nicht die Sorge vor neuen Flüchtlingen, die in diesen Tagen Christen und Christinnen auf die Straßen treibt. „Geht doch“. Unter diesem Motto pilgern zur Zeit Tausende Menschen quer durch Deutschland. Manche nur für einen Tag, andere auch eine ganze Woche und länger. Druck wollen sie machen. Druck auf die Mächtigen dieser Welt. In drei Wochen treffen die sich nämlich beim Weltklimagipfel in Paris. Druck, endlich ernst zu machen mit dem Kampf gegen den Klimawandel. Keine dehnbaren Erklärungen mehr, die keinem wehtun. Stattdessen konkrete Schritte.

Vor 32 Jahren haben die christlichen Kirchen der Welt sich schon mal gemeinsam auf einen Weg gemacht. Sie haben Ziele formuliert, die nicht nur Christen und Christinnen auf den Nägeln brennen. Frieden, Gerechtigkeit, die Bewahrung der Schöpfung. Wenn wirklich Millionen Menschen ihre Heimat verlassen müssen, dann wird das nicht ohne heftige Konflikte gehen. Der Klimawandel, von uns wesentlich mit verursacht, bedroht also auch den Frieden. Doch der Klimawandel ist auch zutiefst ungerecht. Ansteigende Meere bedrohen eben nicht so sehr die Menschen im reichen Amsterdam oder in Hamburg, sondern in Länder wie Bangladesch, den Philippinen oder auf den Südseeinseln. Es sind die Armen, die am meisten leiden, wie so oft. Der Pilgerweg für eine andere Klimapolitik ist auch ein Weg für mehr Gerechtigkeit. Klima-Gerechtigkeit für jene, die die drohende Katastrophe nicht verursacht haben, die aber am meisten darunter leiden.

Teil 2:

Fast 1500 Kilometer werden es am Ende sein, von Flensburg bis zur Weltklimakonferenz in Paris. Sie beginnt Ende des Monats. Rund 20.000 Menschen, so hoffen die Organisatoren der Kirchen, werden dabei mitgehen. Die meisten in kleinen Etappen, eine Handvoll auch den ganzen Weg. Seit dem 12. September sind sie schon unterwegs. Heute werden sie auch bei uns in Kaiserslautern Station machen. Doch was treibt die Teilnehmer? Meinen Kollegen Christoph, der ein Stück des Weges mitgehen wird, habe ich genau danach gefragt. „Ich möchte ein Zeichen setzen für mehr Klimagerechtigkeit. Das geht aber nur, wenn wir auch unsere Wirtschafts- und Lebensweise ändern: Weniger konsumieren und dafür besser“, sagt er mir.  Der Appell der Pilgernden richtet sich also nicht nur an die Politiker in Paris. Er geht jeden an. Klimagerechtigkeit, die fängt genau genommen an meiner Haustür an. Es ist nämlich  meine Entscheidung, ob ich wieder mal das Auto nehme, oder ob es nicht auch mit dem Fahrrad geht. Es ist meine Entscheidung, ob ich aus Bequemlichkeit fliege, obwohl ich mit der Bahn fahren könnte. Es ist meine Entscheidung, wie aufwändig ich lebe. Ob es immer die neuesten Klamotten sein müssen, oder ob ich einmal etwas Hochwertiges kaufe, das dann aber länger hält. Weniger und dafür besser, wie mein Kollege Christoph es ausdrückt. Eigentlich weiß ich sehr genau, dass ich anders leben müsste. Dass ich selber viel mehr für die weltweite  Klimagerechtigkeit tun könnte. Doch ich merke leider auch, wie schwer mir das fällt. Weil es so bequem ist. Weil mir mein Hemd eben immer näher ist als das des Hungerlöhners in Bangladesch.

Und dennoch: Gerade weil ich das weiß, kann ich es ändern. Verändern fängt ja immer zuerst im Kopf und im Herzen an. Und dann kommt irgendwann ein erster Schritt. Erst einer und dann noch einer. Und vielleicht wird daraus dann ein ganz neuer Weg. Im besten Fall einer, der zu mehr Gerechtigkeit für alle führt. Mein Kollege Christoph und all die vielen Andern sind ihn schon mal ein Stück voraus gegangen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20751
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