SWR4 Abendgedanken RP

Feuerflämmchen, Brausender Wind und verzückte Menschen- so erzählt die Bibel vom Pfingstwunder.
Pfingsten ist das Urdatum, an dem die christliche Kirche entstand.
Aber was ist an Pfingsten wirklich passiert? Was war vor 2000 Jahren das Besondere, was diese kleine Sekte zu einer Weltreligion hat werden lassen? Gerd Theißen, Theologe aus Heidelberg meint:

Keine andere Religion oder Philosophie hat das Leben vom ersten Augenblick bis Letzten, auch bis zum Sterben, auch das verfehlte Leben, das gestrauchelt gekommen war, so aufgewertet. Man konnte den Menschen die Gewissheit geben: auch da ist Gott immer bei Euch.

Teil 1
„Familie, Freizeit, Fahrradfahren!“ sagen viele, wenn sie nach Pfingsten gefragt werden. Für Jugendliche heißt Pfingsten so viel wie „Open Ohr Festival“. Auch am vergangenen Wochenende haben wieder Tausende von jungen Leuten eine Grünfläche der Mainzer Innenstadt zu einer Zeltstadt gemacht. Auf mehreren Bühnen spielen Theatergruppen, Kabarettisten und vor allem Musikbands.
Eine Band war zum ersten Mal da:

Das war das lässigste und coolste Festival, was ich je erlebt hab, ohne eine Markierung, wo man hin muss, man hat sich durchgeschlagen bis zur Bühne. Total lässig, total cool, die kann nichts aus der Ruhe bringen…Dass es so eine familiäre Atmosphäre hatte, es war nicht zu groß…Pfingsten ist mit Regen verbunden, weil da ist Open Ohr und da ist Regen.

Und Regen heißt bei diesem Festival: man kriecht unter Planen und Zelte, lässt den Topf mit warmer Suppe und Tee kreisen und pflegt fröhliche Gütergemeinschaft. Hip- Hopper, Pop- und Rocker, Klassikfans, Jugendliche vom Land und solche von der Stadt. Da liegen Welten dazwischen, haben mir meine Kinder gesagt. Aber die fröhliche Atmosphäre, die Begeisterung für gute und neue Musik und der Suppensozialismus verbindet sie miteinander.
Mich erinnert das sehr an die Pfingstgeschichte vor 2000 Jahren, wie sie die Bibel erzählt.

Als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort versammelt. Da kam plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm. Und es erschienen ihnen Zungen, wie von Feuer und sie wurden alle mit dem heiligen Geist erfüllt und fingen an, in andern Sprachen zu predigen, wie der Geist es ihnen eingab. Da kam die Menge zusammen und wurde bestürzt, denn jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Und sie fragten: Wieso hört jeder von uns seine eigene Muttersprache? Und es entsetzten sich manche. Andere sagten: sie sind voll von süßem Wein.

Schon damals haben manche das fröhliche Treiben der Pfingstgemeinde nicht ernst nehmen können. Die sind ja nur betrunken, haben sie gespottet. Aber wenn der Heilige Geist Menschen ergreift, dann geht das bunt, ausgelassen und fröhlich zu. Dann verschwinden Kultur- und Sprachbarrieren. Dann feiern sie miteinander ein Fest der Friedens und der Verständigung. Wie die Jugendlichen auf dem Open Ohr Festival oder wie wir Ältere auf unseren Dorfhocks, Wanderfreizeiten oder Gemeindefesten.
So ein Fest stand am Anfang der ersten Christengemeinde. Sagt der Heidelberger Theologe Gerd Theißen. Aber es war kein einmaliges Ereignis.

Im Urchristentum gab es eine Fülle von solchen Außernormalen Erlebnissen und das hat die bestimmt über ihren Alltag erhoben, sie fühlten sich verbunden einer anderen Welt und bei der Zungenrede, die ja mit dem Pfingstwunder verbunden ist, meinten einige, das sie damit die Sprache der Engel sprechen .

Eine Sprache finden, die alle verstehen und die direkt aus dem Himmel kommt. Musik ist sicher eine solche Sprache. Gemeinsam essen und Trinken. Und miteinander Tanzen. Aber nicht jedes Fest ist Pfingsten. An Pfingsten weht der Wind aus einer besonderen Richtung. Ein Brausen sogar ist es, das den alten Hader und die Vorurteile der Menschen wegbläst. Sodass sie offen sind für Neues, offen für andere, fremde Menschen und für Gott.
Das ist das Besondere an diesem Fest: Gottes guter Geist berührt, ergreift und bewegt Menschen aufeinander zu. Aber wie muss man sich diesen Geist vorstellen? Und wie wirkt der?

Teil 2
Mit dem Heiligen Geist ist das so eine Sache. Man sieht ihn so schlecht. Deshalb wissen auch nicht so viele, was sie damit anfangen sollen. Aber die Jugendlichen sind mit ihrem Open- Ohr Festival in Mainz gar nicht so weit von der Pfingstgeschichte entfernt. Denn die ersten Christen hatten ja auch keine Kirchen und Gemeinden. Als Jesus gestorben waren, wussten sie überhaupt nicht, wie es weitergehen sollte. Wie sollten sie diesen grausamen Tod ihres Herrn und Meisters verstehen? Was sollten sie tun?
Als sie alle so zusammen saßen, geschah etwas mit ihnen. Da kam ein Wind, ein Brausen und ihre gedrückte Stimmung war wie weggeblasen. Es war

…offensichtlich eine Kraft, die nicht aus den Menschen stammt, die von außen ihn ergreift und zwar in einem Zustand, in dem er sich öffnet über seine Möglichkeiten hinaus, deswegen sagen die Beobachter: ja sie sind voll des süßen Weins. Man kann das „Trance“ nennen, „Extase“, „Enthusiasmus“.

Gerd Theißen, Theologe aus Heidelberg hat sein ganzes Berufsleben über die erste Zeit des Christentums geforscht. 600 Seiten dick ist sein jüngst herausgegebenes Buch über das Erleben und Verhalten der ersten Christen. Seiner Meinung nach waren es immer wieder diese gemeinsam erlebte Feste und Highlights, welche das bunt gewürfelte kleine Häuflein der ersten Christengeneration zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen ließ.
Die Stimmung, die Atmosphäre auf diesen Festen, war eine ganz besondere. Für sie war die so etwas wie eine Lebensäußerung Gottes. Als hätte Gott ihnen selbst zugelächelt. „Geist“, so beschreibt es der Apostel Paulus, ist das, was eine Person, oder auch Gott im innersten ausmacht.

„Was im Menschen ist, kann nur der Geist sagen, der im Menschen ist.“ Und das überträgt er dann auf Gott und sagt: „Nur durch seinen Geist kann er sich authentisch offenbaren. Wenn er nicht von seinem Geist her mitteilt, können wir nie Zugang zu ihm finden.

Aber Gott teilt sich mit. Das können wir zwar nicht sehen, aber wir können es erkennen an der Wirkung. Wer von Gottes Geist ergriffen und bewegt werden, gehen wir wie selbstverständlich aus uns selbst heraus und auf Andere zu. Wir können und wollen nicht mehr nur unter uns, unter Gleichgesinnten bleiben. Der Geist bindet und verbindet uns mit denen, die ganz anders sind.

Interessant ist, es wird nicht zurückgeführt auf eine Einheitssprache. Man könnte ja auch das Wunder zurückführen, dass alle plötzlich hebräisch können. Aber nein, Lukas schildert das so: es gab zwar die Zungenrede, aber jeder hört in seiner eigenen Sprache, das heißt, die Vielfalt der Sprachen wird nicht aufgehoben, etwa zugunsten eines Schnellkurses in Hebräisch.


Man muss also nicht die Sprache, die Sitten und Gebräuche hinter sich lassen, um zu einer Gemeinschaft zu werden. Das ist die Botschaft der Pfingstgeschichte und es ist die Erfahrung der ersten Christengemeinde.
Es genügt, wenn sich wie früher, als Jesus noch lebte, alle auf das beziehen, was er gesagt und getan hat. Es genügt, wenn sie in der Wirkung seiner Worte den Geist Gottes sehen und auf diesen Geist hoffen.

Teil 3
Es gab Zeiten, da hatte es die christliche Kirche in der öffentlichen Meinung leichter. Wer darunter leidet, sollte sich mal mit der Situation der ersten Christengemeinde beschäftigen. Gerd Theißen, Theologe aus Heidelberg hat dies fast sein ganzes Berufsleben getan. Und dabei ganz spannende Dinge herausgefunden.
Die erste Christengeneration damals vor 2000 Jahren fand sich auf einem ungeheuer vielfältigen Religionsmarkt wieder, Kulte und Sekten konkurrierten miteinander und die Christen waren nur eine davon. Was war das Faszinierende an ihrem Glauben an diesen Jesus von Nazareth? Gerd Theißen:

Die Christen verbreiten sich, obwohl sie vom Land stammen- Galiläa, Palästina- am meisten in den Städten. In den Städten gab es viele Peregrine, Fremde die von außen kamen und die mussten sich neu kulturell definieren und gerade in diesen Kreisen hat das Christentum Resonanz gefunden. Das waren Menschen, die suchten nach einer Identität, wo sie unabhängig von ihrer Herkunft akzeptiert waren und das boten die Christen an. Sie sagten ja, egal wo ihr herkommt, allein durch den Glauben seid ihr gleichwertig und eins in Christus.

Wenn Menschen sich selbst Götter oder Superstars schaffen, dann ist an denen natürlich nichts Schwaches. Wer Macht haben will, darf sich keine Blöße geben. Dem gegenüber ist der Gott der Christen nichts als nur ein Mensch. Jesus von Nazareth hat wohl Menschen geheilt und Wundertaten vollbracht. Aber er hatte auch Hunger, war wütend und hatte Schmerzen. Er hat gelitten und ist am Kreuz gestorben. In allem war Gott gegenwärtig. Menschlich gesehen kaum zu glauben. Wer es dennoch tut, für den hat das Folgen:

Dann nämlich ist das ganze menschliche Leben vom ersten Augenblick bis zum letzten Atemzug von Gott akzeptiert, also es wird geheiligt und erhält einen großen Wert. Die Christen hatten keine Antwort darauf, warum es so viel Leid gibt, aber sie zogen Trost daraus, dass Gott in all diesen Leiden mit leidet und ich glaube dieser Gedanke hat dem Christentum zum Durchbruch gebracht.

Der Gekreuzigte, der Mensch, der scheinbar gescheitert ist, wird zum Ursprung des Lebens- das ist das Herz der christlichen Botschaft. Deshalb ist der Heilige Geist ist nicht die Fortsetzung des Lebenskampfes, sondern ein Protest dagegen. Ein Protest gegen alles, was Menschen erniedrigt und klein macht.
Und wie dieser Geist bis heute wirkt, erzählt mir Gerd Theißen am Beispiel einer Diakonisse. Die für seinen Geschmack etwas zu fromm war. Aber sie hat sich um Prostituierte gekümmert. Ist mit diesen Frauen vor allem auf die Ämter mitgegangen.

Sag ich „Was machen Sie denn mit den Leuten?“ Sagt sie: „Ja, wissen Sie, wenn die zum Sozialamt gehen und irgendeinen Antrag stellen, die genieren sich ja so, denn dort sitzen ihre Freier. Und dann geh mit, und dann ertragen sie das.

Gottes Geist setzt Maßstäbe fürs Leben- jenseits von Kultur und Moral. Und manchmal lässt der Geist uns herzlich über uns selber lachen. https://www.kirche-im-swr.de/?m=1424
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