SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

Wann ist ein Mensch erwachsen? Wenn den Jungen mit 16 der Bart wächst und Mädchen mit 14 wie Frauen aussehen - dann sind sie noch längst nicht erwachsen. Wenn man sie da wie Erwachsene behandelt und erwachsenes Verhalten von ihnen erwartet, dann sind sie im Grunde einfach überfordert. Dann sind Eltern und Großeltern, Lehrer und Ausbilder enttäuscht und ärgern sich. Und die jungen Menschen versuchen zu zeigen, wie stark sie sind, mit coolen Sprüchen und waghalsigen Unternehmungen. Aber wenn man ihnen in die Augen schaut, dann sieht man oft, wie viel Angst hinter dem scheinbar entschlossenen Verhalten steckt. Und das geht ja nicht nur den Teenagern so.
Ich kenne Menschen, die sind nach Jahren wirklich längst erwachsen - und doch fühlen sie sich unsicher und umgetrieben: von den Erwartungen der anderen, von dem was andere für richtig halten und was bei dem einen so klingt und bei dem anderen anders. Wie soll man da ein eigener Mensch werden? Wie soll man wissen, wem man glauben kann und worauf sich verlassen?
Auch in der Bibel finden sich Anleitungen dazu. Zum Beispiel in einem Brief an die ersten Christen in der griechischen Stadt Ephesus (Eph 4, 11-16). Bemerkenswert finde ich, dass dieser Brief sich vor allem an Erwachsene richtet. Die Empfänger sollen sich fragen: Bin ich eigentlich erwachsen? Oder noch so unsicher und von anderen abhängig wie ein Kind?
Wann ist ein Mensch eigentlich erwachsen, besonders ein Christenmensch? Erwachsene sind nicht unmündig wie die Kinder, steht in diesem Brief, die wie ein Spielball sind von Wind und Wellen. Wenn ihnen jemand etwas verspricht, dann sind sie begeistert und denken nicht daran, auf was sie sich womöglich einlassen. Wenn jemand ihnen Angst macht, dann sind sie eingeschüchtert und wagen nicht, sich zu wehren. Wenn sie ein Bedürfnis haben, dann quengeln sie und nölen, um zu kriegen, was sie haben wollen.
So werden Kinder hin und her geworfen von dem, was andere ihnen vormachen, raten oder anordnen. . Und wenn ich ehrlich bin, geht es mir manchmal genauso, obwohl ich doch längst erwachsen bin. Ich bin ratlos und fühle mich dem ausgeliefert, was andere von mir wolle. Wie ein ziemlich kleines Boot auf dem ziemlich großen Meer.
Dann wäre es wichtig, das Ruder in die Hand zu nehmen und einen bestimmten Kurs zu steuern, damit man nicht verloren geht auf dem Meer. Wenn man das kann, scheint mir, wenn man ein Ziel sieht und sich orientieren kann und das Ruder festhalten - dann ist man wirklich erwachsen. So ein Mensch ist mündig und kann selber entscheiden, wo es hingehen soll. Wer das kann, der kann selbständig leben. Erwachsen eben. Aber wie kann man das lernen?

Wie wird man erwachsen? In dem Brief an die Leute in Ephesus, der in der Bibel steht, lese ich: Erwachsen wird man nicht von allein, auch nicht einfach dadurch, dass die Jahre vergehen. Damit Menschen erwachsen werden brauchen sie Unterstützung von anderen. Bei Kindern leuchtet das sofort ein, finde ich. Die brauchen Unterstützung und zwar nicht nur von ihren Eltern. „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen", sagt man in Afrika. Um eine Persönlichkeit zu entwickeln braucht man Menschen, die einem raten, die einem ihre Erfahrungen weitergeben. Man braucht Menschen, die einem wieder auf die Beine helfen, wenn man einen Fehler gemacht hat. Ohne sie würde sich ja kaum einer trauen, eigene Wege zu gehen. Und man braucht vielleicht auch die, mit denen man streiten und von denen man sich abgrenzen kann. Nur wenn man erkennt, was man nicht will, kann man auch herausfinden, was man selber wirklich will.
Der biblische Brief an die Epheser spricht davon, welche Menschen man braucht, damit man erwachsen werden kann. Dabei ist in dem Brief besonders von Christen die Rede. Aber ich glaube, die Aufgaben, die er nennt, die gelten eigentlich für alle.
Genannt werden besonders die Apostel und Propheten. Das sind Menschen, die von ihren Lebenserfahrungen, besonders aber auch von ihren Glaubenserfahrungen erzählen. Leute, die sich trauen, das was sie glauben und gehört haben, auch für die Gegenwart und den Alltag anzuwenden.
Solche Leute braucht es, damit man erwachsen werden kann: Eltern zum Beispiel oder Freunde, die sagen und auch vorleben: dies finde ich gut und jenes würde ich nicht tun. Das passt nicht zu meinem Glauben an Jesus Christus, der uns Barmherzigkeit vorgelebt hat und Güte.
Ich glaube: Ein selbständiges, erwachsenes Gewissen bildet sich nur, wenn man sich zunächst orientieren kann. Wenn man hören und sehen kann: So leben andere, so haben sie sich verhalten und das waren ihre Erfahrungen. Dann kann ich ausprobieren, ob das auch für mich ein Weg ist. Und herausfinden, ob ich gut damit leben kann. Manchmal kann man dann übernehmen, was die anderen mir weitergegeben haben. Manchmal muss man sich von dem verabschieden, was andere gemacht haben. Andere Zeiten und andere Menschen machen eben auch andere Erfahrungen. Aber nur, wenn man zunächst Orientierungspunkte hat, kann man seinen eigenen Kurs finden.
Heute ist Pfingsten. Da erinnern wir Christen uns an den Anfang der christlichen Kirche. Ich glaube: Die Kirche kann auch heute noch ein Raum sein, wo Menschen einander helfen erwachsen zu werden. Dazu, empfiehlt der Brief an die Epheser, soll man sich von der Liebe leiten lassen. Dann können Menschen wirklich erwachsen werden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13146
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