SWR2 Wort zum Sonntag

Im Buchmuseum in Dresden stand ich unlängst vor einer alten Maya-Handschrift. 700, vielleicht sogar 800 Jahre alt. Unter den Botschaften, die dieser Codex enthält, soll es auch einen Hinweise auf das bevorstehende Ende der Welt geben. In diesem Jahr. Am 21. Dezember.

Wahr ist, dass in dieser Handschrift ein neues Zeitalter angekündigt wird. Vom Weltunterhang ist keine Rede. Aber Neues macht eben Angst. Weil es dem ein Ende setzt, was uns vertraut ist.

Es gibt Berichte, die deuten den Einbruch des Neuen nicht nur geheimnisvoll an wie der Maya-Codex. Nein, sie sind randvoll sind von der Erfahrung einer umwerfenden Kraft. Bei den Ereignissen, von denen sie berichten - da meinten manche sogar, einige von den Hauptakteuren haben einen Rausch.

Der heutige Pfingstsonntag erinnert an dieses Ereignis. Fünfzig Tage nach Ostern bieten die Freundinnen und Freunde Jesu ein  widersprüchliches Bild Die einen haben Weltuntergangsstimmung. Andere berichten, ihnen sei Jesus begegnet.. Er lebt, sagen sie. Obwohl er doch getötet worden war. Wir haben ihn gesehen mit unseren eigenen Augen.

Ein kleiner Kreis von Menschen lässt sich beflügeln von diesen Erscheinungen. Die anderen, die bleiben wie gelähmt. Bis auch sie von einer  gänzlich neuen Erfahrung überrollt werden.

Ihre Lähmung - plötzlich ist wie weggeblasen. Sie haben wieder  Energie. Wie Feuer hat Gottes Geist sie ergriffen, berichtet die Bibel.

Pfingsten ist der Geburtstag der Kirche, so heißt es jedenfalls. Richtig ist. Die Erscheinungen des Auferstandenen waren zunächst wichtig vor allem für diejenigen, die vorher engen Kontakt zu Jesus hatten. Für diejenigen, deren Hoffnungen am Karfreitag wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen waren. Seit Pfingsten hat sich dieser Kreis geweitet. Neue Menschen kommen dazu. Dreitausend gleich am Pfingsttag selber. Mit Pfingsten beginnt eine unglaubliche Geschichte der Grenzüberschreitung. Eine Geschichte der Überwindung des ängstlichen Rückzugs hinter die eigenen vier Wände. Eine Geschichte, die sich bis heute fortsetzt.

Pfingsten ist noch nicht am Ende. Pfingsten darf auch noch nicht zu Ende sein. Auf die Botschaft des Maya-Kodex reagieren viele Menschen mit Angst. Und fangen ängstlich an, das Weltende zu berechnen.

Pfingsten meint gerade das Gegenteil. Unsere Welt ist nicht am Ende. Und ich bin auch nicht am Ende. Ich kann darauf setzen, dass nicht einmal der Tod das Ende meiner Möglichkeiten ist. Eher ein neuer Anfang. Ich kann darauf vertrauen, dass ich immer wieder Grenzen überschreite, die mir jetzt unüberwindbar scheinen. Wenn ich erfolgreich Widerspruch anmelde, wo jemandem offensichtlich Unrecht geschieht. Wenn ein Mensch mit mir Kontakt aufnimmt, den ich längst aufgegeben habe, Wenn im Großen wie im Kleinen, in der Politik und im Privatleben Kehrtwenden möglich sind, mit denen ich nicht mehr gerechnet habe. Die Geschichten überraschenden Gelingens sind noch lange nicht alle geschrieben.

Wenn ich diese kühnen Aussichten immer wieder auch  nicht teilen kann - wenn wieder einmal zu vieles dagegenspricht, kann mich die Erfahrung der ersten Freundinnen und Freunde von Jesus trösten. Auch ihre Hoffnungen lagen am Boden. Aber gerade im vermeintlichen Ende liegt der Schlüssel zur Zukunft. Darum kann ich die Maja-Handschrift in der Vitrine zwar bestaunen. Mein Leben bestimmt sie aber nicht. Da halte ich es lieber mit den berauschenden Erfahrungen des ersten Pfingstfestes. Ich vertraue darauf, dass Gottes Geist auch mich erfüllt. Und dass ich Zukunft habe. In der Gemeinschaft der Menschen, die mit mir diese Hoffnung teilen, erlebe ich Kirche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13131
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