SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

Als Kind habe ich jedes Jahr zu Weihnachten einen Wunschzettel geschrieben. Die Dinge, die mir sehr wichtig waren, standen ganz oben auf der Liste: Ein Hund, ein neues Fahrrad, bestimmte Bücher oder Spielsachen. Das waren aber vielleicht gar nicht einmal meine dringendsten Wünsche. Zum Beispiel habe ich mich danach gesehnt, dass ich nach einem Umzug in der neuen Klasse Freunde bekäme. Dass mein Vater mehr Zeit für mich hätte. Wünsche ans Leben sozusagen. Doch wie hätte ich die auf den Zettel schreiben können? Und wer ist eigentlich für diese Sorte Wünsche zuständig? Als Kind habe ich darauf keine Antwort gehabt.
Heute schreibe ich keine Wunschzettel mehr. Und wenn ich andere frage, was sie sich wünschen, dann höre ich immer häufiger: Ich weiß nicht, ich hab doch alles.
Aber dann haben sie doch Wünsche. In den Vordergrund rücken Dinge, die man sich nicht kaufen kann. Wünsche ans Leben also. Die eigentlichen Herzenswünsche. Dass die alleinerziehende Tochter Hilfe findet für ihre vielen Probleme. Dass es mit dem Ehepartner noch einmal so werden kann wie früher. Dass die schwerkranke Mutter nicht so leiden muss und noch ein bisschen bleiben kann.
Es kränkt, wenn solche Wünsche nicht erfüllt werden. Wer das mehrmals erlebt, der gibt das Wünschen irgendwann ganz auf. Die unerfüllten Wünsche rutschen tief in irgendeinen Winkel seines Herzens. Das Leben geht weiter.
So ging es einem Paar, von dem Lukas am Anfang seines Evangelium erzählt: Zacharias und Elisabeth. Zwei gute, fromme Menschen, nicht mehr ganz jung - und kinderlos. Ich kenne Paare, die sich jahrelang vergeblich ein Kind wünschen. Ich kenne auch Paare, die bitter geworden sind, weil sich ihr Kinderwunsch nicht erfüllt hat. Irgendwann war es einfach zu spät.
So ist es offenbar auch bei Zacharias und Elisabeth. Sie sprechen nicht mehr über ihren Herzenswunsch. Beide gehen sie ohne Klagen ihrer Arbeit nach. Zacharias ist Priester im Jerusalemer Tempel. Er ist alleine und tut seinen Dienst am Altar, während die Menge draußen betet. Da kommt ein Engel.
Ein bisschen ist das wie im Märchen! Da tritt an solchen Stellen eine gute Fee auf und sagt: Du hast drei Wünsche frei!
Der Engel lässt Zacharias gar nicht erst wählen. Er kennt seinen Herzenswunsch. Ohne Umschweife überbringt er die Nachricht, dass dieser Wunsch jetzt erfüllt werde. Der Wunsch, über den sie beide nicht mehr gesprochen haben! Den sie längst in einem tiefen Winkel ihres Herzens vergraben haben! Alltagspflichten und sicher auch manche Sorge und andere Enttäuschung haben ihn überlagert. Das Leben lässt Wünsche offen - so ist das eben!
Wie würde ich reagieren, wenn plötzlich so ein Engel vor mir stünde? Das, was ich mir ganz sehnlich wünsche, soll auf einmal Wirklichkeit werden! Und es ist kein Märchen und kein Traum! Gott hat an mich gedacht!

Gott hat an Zacharias und Elisabeth gedacht und ihnen den Herzenswunsch erfüllt, an den sie selbst kaum mehr geglaubt haben. Elisabeth wird schwanger.
Zacharias kann das noch nicht glauben. Für ihn war die Sache längst erledigt. Nur nichts mehr wünschen, dann wird man auch nicht mehr vom Leben enttäuscht!
Ich sehe den Engel förmlich mit der Schulter zucken: Okay, dann bleibe stumm, bis das Kind geboren wird. Und übrigens: Ich bin Gabriel, der vor Gott steht, und bin gesandt worden, um mit dir zu reden und dir diese frohe Botschaft zu bringen.
Jetzt hätte Zacharias vielleicht gerne etwas gesagt. Aber jetzt geht es nicht mehr. Zu lange hat er sich das Wünschen nicht mehr erlaubt. Jetzt verschlägt es ihm die Sprache. Er kann es nicht fassen: Elisabeth soll endlich das lang ersehnte Kind bekommen! Eigentlich ein Grund, zu singen und vor Freude zu tanzen! Aber so schnell kann sich Zacharias nicht aus seiner jahrelangen Erstarrung lösen.
Und Elisabeth, die sicher nicht gerne an Plätze gegangen ist, wo sie viele Frauen mit ihren Kindern treffen würde - Elisabeth zieht sich fünf Monate lang aus der Öffentlichkeit zurück. Bis im sechsten Monat ein junges Mädchen aus ihrer Verwandtschaft zu ihr kommt: Maria. Auch sie hat der Engel Gabriel besucht. Auch Maria ist schwanger. Und sie singt ein jubelndes, triumphierendes Lied. Als Elisabeths Kind dann geboren wird und Zacharias wieder sprechen kann - da singt er auch!
Warum hat Zacharias dem Engel nicht geglaubt? War es doch die Stimme seines Herzens, die da vor ihm Gestalt angenommen hat! Hat er nicht mehr auf sein Herz gehört?
Diese Geschichte macht mich nachdenklich. Und ein bisschen erschreckt sie mich auch. Höre ich auf die Stimme meines Herzens? Kann ich das - so im Alltag eingebunden, in die täglichen Pflichten? Traue ich mich noch, dem zu glauben, was mein Herz mir erzählt? Oder wie kann ich das Hoffen wieder lernen? Wie kann ich üben, auf mein Herz zu hören?
Die Adventszeit ist eine gute Gelegenheit dafür. Advent, das ist fast so etwas wie eine Schwangerschaft. Jeden Sonntag ein Licht mehr auf dem Adventskranz. Ich lasse etwas in mir reifen. Ich höre in mich hinein, bereite mich vor, warte, freue mich. Vieles, was in mir verschlossen war, lebt wieder auf. Ich hole mir grüne Zweige ins Haus und beginne wieder zu hoffen.
"In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat ..." So fangen Märchen an. Im Märchen wird alles wahr, wenn man nur fest daran glaubt! Wer auf sein Herz hört und dem Leben vertraut, der bekommt die Prinzessin und das halbe Königreich! Ich weiß, dieses Vertrauen ist nicht immer leicht. Darum muss manchmal ein Engel kommen und sagen: Fürchte dich nicht! Jetzt wird wahr, was du dir gewünscht hast!
Auch heute noch kann das Wünschen helfen! Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Adventszeit!

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