SWR1 Begegnungen

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Teil 1: Kernerngie und katholische Glaube

Hildegard Müller war Staatsministerin im Kanzleramt, ist bekennende Katholikin und zurzeit Hauptgeschäftsführerin des Spitzenverbandes der deutschen Energie- und Wasserwirtschaft. Anders formuliert: Sie hat die Seiten gewechselt: Sie ist von der Politik in die Wirtschaft gewechselt und vertritt jetzt deren Interessen bei der Politik. Für Hildegard Müller kein Problem

Demokratie lebt ja vom Mitmachen. Und da hat ein einzelner Bürger das gleiche Recht auf Dinge hinzuweisen, wie ich finde, wie wir es haben. Wir vertreten 1800 Mitgliedsunternehmen, wir versorgen 80 Millionen Menschen in diesem Land mit Energie, mit Wasser. Und ich finde, dass das schon auch eine relevante Größe ist, und so ist meine Auffassung in der Politik und auch jetzt immer gewesen: Politik muss die Entscheidungen bestmöglich beraten.

Hauptgeschäftsführerin des Spitzenverbandes der deutschen Energie- und Wasserwirtschaft: In einer Zeit, in der in Deutschland energiepolitisch gerade kein Stein auf dem anderen bleibt, ist das eine spannende Arbeit und Herausforderung. Deshalb hat auch Hildegard Müller gerade Stress pur, eine Konferenz jagt die andere, als ich mich mit ihr in der Verbandszentrale in Berlin treffe. Das ist kein Wunder, denn nach Fukushima ist in Deutschland energiepolitisch nichts mehr wie es war. Das gilt auch für den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, kurz bdew. Auch der spricht sich neuerdings für einen möglichst raschen Ausstieg aus der Atomenergie aus. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil der bdew auch die Interessen der vier großen Atomkonzerne vertritt. Hildegard Müller:

Also wir glauben auch, dass ein Ausstieg schneller darstellbar ist als nach dem letzten Kompromiss der Bundesregierung im Herbst letzten Jahres. Und dass das im Jahre 2020, 2023 ist. Aber wir weisen auch drauf hin, wenn man bestimmte Dinge tut, muss man die Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und auch den Klima- und Umweltschutz im Auge behalten. Das heißt dann auch: ein Bekenntnis zu neuen Kraftwerken im Gas- und Kohlebereich; das heißt auch, das Thema Preise im Auge zu behalten und anderes. All das muss miteinander hergehen. Nur zu wissen, was man nicht will, reicht beim Thema Kernenergieausstieg nicht aus.

Für mich hört sich da so an, als stünde vor allem das Geld im Mittelpunkt. Und nicht die Risiken der Atomenergie. Hildegard Müller sieht das anders: Nicht Geld, nicht neue Erkenntnisse, was die Sicherheit der AKWs angeht, waren für den Schwenk verantwortlich, betont sie, sondern die gesellschaftliche Situation.

Wir haben uns damals für eine Laufzeitverlängerung ausgesprochen, weil wir gesagt haben, mit dieser Erzeugungsart produzieren wir weniger CO2. Das hilft uns bei den Zielen dort - der Reduktion der Klimagase - und mit den Geldern, die dort verdient werden, kann man die Energiewende bezahlen. Wenn jetzt nach Fukushima sich die gesellschaftliche Betrachtung ändert, dann muss man das gesellschaftlich natürlich auch sehen und auch akzeptieren an einem bestimmten Punkt. Und wir sagen dann, wenn man das nicht mehr möchte, muss man aber auch bei der Energiepolitik sagen, was man möchte.

Hildegard Müller ist bekennende Katholikin und Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, also sozusagen dem Spitzenverband der katholischen Laien Deutschlands. Der hat sich schon vor längerer Zeit eindeutig gegen die Kernenergie ausgesprochen. Ich stelle mir vor, dass das für Hildegard Müller eine ziemliche Gratwanderung war. Aber sie macht mir deutlich, dass das für sie kein Problem war:

Ich weiß, dass die Kernenergie eine umstrittene Technologie in unserem Land ist. Ich weiß, dass es Risiken gibt in der Kernenergie. Aber in der Abwägung aller Fakten habe ich mich dafür entschieden. Aber ich akzeptiere genauso, wenn die Bevölkerung sagt: An dieser Stelle gehen wir nicht mit. Dann sind wir wiederum ja auch gefordert als Energiewirtschaft in diesem Land ein Angebot zu machen, wie es denn dann anders gehen kann.

Teil 2: Pfingsten: Bricht Neues auf?

An Pfingsten kam der Geist Gottes über die Jünger und machte aus einer bis dahin verängstigten orientierungslosen Schar, die sich hinter verschlossenen Türen versteckte, eine neue mutige Truppe, die die Türen aufmachte, hinausging und von dem erzählte, an das sie glaubte. Pfingsten wurde zum Geburtstag der Kirche. Was bedeutet das Pfingstfest für Hildegard Müller, wollte ich wissen.

Nun ja, sehr wahrscheinlich ein Stück, was wir alle hoffen, dass der Heilige Geist auch zu uns kommt. Und für mich immer so ein bisschen auch, in schwierigen Situationen Rat zu suchen. Nicht in dem Sinne, was würde Jesus heute sagen, sondern: wie gehe ich auch mit diesen verschiedenen Punkten um, die an mich herangetragen werden. Und beim Thema Kernenergie ist es einfach auch Risiko-Abwägung. Kann man das vertreten? Kann man das nicht?

Pfingsten heißt für sie aber auch:

Sich einzumischen, mit zu gestalten, mitzumachen, das nicht anderen zu überlassen. Und insofern finde ich, sind wir sowieso gesellschaftlich in einer ganz spannenden Phase, wo viele eher sagen, es ist irgendwie genug und wir wollen das nicht mehr. Und ob sich unser Land so richtig noch anstrengt, an vielen Punkten ist es schwierig, das wäre für mich zum Beispiel ein Teil Pfingstbotschaft dieses Jahres.

Pfingsten, das heißt auch, den Geist Gottes hereinzulassen, ihm Raum zu geben. Ist also nicht derzeit auch in der Energiedebatte so etwas wir der Pfingstgeist, als der Geist der Veränderung, des Aufbruchs und Neuanfangs am Werk? Hildegard Müller ist da noch skeptisch

Was Sie beschreiben, wäre das Ideale. Das Ideale wäre endlich mal einen gesellschaftlichen Konsens zur Energiepolitik zu finden, den hat es nämlich bisher nie gegeben.

Ihr Glaube gibt ihr Halt und Orientierung im Alltag, sagt Müller, und er führt auch dazu, dass sie sich einmischt, sich engagiert. Hildegard Müller engagiert sich bei Donum Vitae, in der Schwangerschaftskonfliktberatung. Dass sie damit auch eine andere Position vertritt als die so genannte Amtskirche, ist für sie kein Problem.

Mitglied der katholischen Kirche zu sein, heißt ja nicht, eine Richtschnur für alle politischen, gesellschaftlichen Fragen zu bekommen. Das ist ja, Gott sei Dank, unser Glauben gerade nicht. Sondern unser Glauben führt uns ja auch dazu, dass wir gestalten, dass wir als Christen auch die Aufgabe haben, uns einzumischen, dass wir aber auch Kompromissfähigkeiten mitbringen müssen. Insofern fühle ich mich da als Mensch, als Katholikin, als Demokratin mit mir eigentlich im Reinen.

Kompromisse machen, einen Standpunkt aufgeben und neu Position beziehen, das war und ist für die Politikerin und Wirtschaftslobbyistin Hildegard Müller kein Problem, das wird mir im Gespräch mit ihr deutlich. Dennoch gibt es für sie auch so etwas wie einen roten Faden:

In der Politik war es für mich immer der Lebensschutz, ganz klar. Wo für mich immer wichtig war, jederzeit sagen zu können, das ist meine Meinung. Wenn das nicht möglich gewesen wäre, hätte ich meine Konsequenzen daraus gezogen. Aber es gibt keine abstrakte Debatte, sondern es ist eine Debatte, der muss man sich bei jedem Thema stellen - Kann man das vor seinem Gewissen verantworten oder nicht? Und wenn man Dinge vor seinem Gewissen nicht verantworten kann, muss man die Konsequenzen ziehen. Diesen Punkt hatte ich allerdings jetzt hier in meiner neuen Aufgabe auf jeden Fall noch nicht.

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