SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

Dazu gehören ist schön. Eine Familie haben oder einen Freundeskreis, Arbeitskollegen oder Kumpel im Verein auf die man sich verlassen kann: das gibt einem Sicherheit und das gute Gefühl, nicht allein zu sein. Und wenn die Gruppe, zu der man gehört, gut dasteht - dann fühlt man sich auch selber gut.
„Lasst uns einen Turm bauen, bis in den Himmel, damit wir uns einen Namen machen und alle sehen, wie großartig wir sind". Die Bibel erzählt, dass schon ganz früh die Menschen auf diese Idee gekommen sind. Die gemeinsame Unternehmung würde sie noch enger zusammen schweißen und außerdem könnten sie sich selbst beweisen und anderen zeigen, wie toll bei ihnen alles funktioniert und was sie können. Aber, vielleicht kennen Sie ja die Geschichte vom Turmbau zu Babel: die Sache ging nicht gut.
Warum eigentlich nicht?
Ich überlege, wie das heute wäre und nehme ein ganz alltägliches Beispiel. „Kommt, heute machen wir eine Fahrradtour, die ganze Familie." Wissen Sie, was passiert, wenn Sie so einen Vorschlag machen? In den meisten Familien gibt es Ärger, jedenfalls wenn die Kinder nicht mehr ganz klein sind. Denn nicht alle finden, dass das eine gute Idee ist. Dabei war es so schön gedacht: Die gemeinsame Unternehmung hätte das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt. Und unterwegs hätte man auch noch zeigen können, wie toll die Familie funktioniert. Schade. Nun wird nichts draus. Am Ende ist man ein bisschen enttäuscht, wenn man so einen Vorschlag gemacht hat. Und manchmal gibt es richtig Krach.
Ich glaube, so geht es nicht nur beim Familienausflug. Auch in anderen Bereichen gibt es Menschen, die sich bedrängt fühlen, wenn sie zum Mitmachen verpflichtet werden. Nicht jeder Fußballfan fühlt sich in der Fankurve wohl. Nicht jeder Mitarbeiter möchte auch noch Bowling nach Feierabend.
Genauso war es offensichtlich bei jenem Turmbau, von dem die Bibel erzählt. Auch da gab es Ärger. Ich stelle mir vor, das war wie in der Familie oder am Arbeitsplatz heute auch: Der eine will so, der andere anders, die dritte überhaupt nicht. Die vierte ist beleidigt. Der fünfte enttäuscht. Und wie geht das aus? Sie lassen es bleiben.
Ist das nun schlimm? Die Bibel sagt: Nein. Im Gegenteil. Das ist gut so. Denn das wäre nur der Anfang gewesen. Irgendwann wären sie alle gleichgeschaltet gewesen bei ihrer Arbeit am gemeinsamen Turm. Dann hätte man nur noch das tun dürfen, was alle tun. Und das ist nicht gut. Gott selbst hat dafür gesorgt, dass es anders kommt, heißt es. Auf einmal konnten sie sich nicht mehr verstehen. Und die Leute gingen ihrer Wege. Wo Gott ist, ist Vielfalt, lerne ich daraus. Und Vielfalt ist erst mal gut.

Vielfalt braucht Gespräch
Vielfalt ist erst mal gut. Das lerne ich aus der Geschichte vom Turmbau zu Babel. Gott selbst, erzählt die Bibel, macht der Gleichmacherei ein Ende. Die Menschen bemerken ihre Verschiedenheit. Sie sprechen verschiedene Sprachen. Wahrscheinlich denken sie auch verschieden. Was dem einen ganz wichtig ist, darüber hat ein anderer vielleicht noch gar nicht nachgedacht. Was eine nicht mehr leiden kann, weil sie zu alt dafür ist, das finden die anderen toll, weil sie noch jung sind. Menschen sind verschieden.
Und das ist gut, denn gerade aus dieser Vielfalt lässt sich etwas machen. Man kann viel mehr Ideen entwickeln und verwirklichen als nur den einen Turm zu bauen. Es ist gut, wenn sich Gruppen bilden und Grüppchen, die dieselben Interessen haben. Das kann sich ergänzen und das Leben wird bunt und vielfältig und jeder findet, was er braucht und kann sich wohlfühlen.
Bloß: Aus der Verschiedenheit wird dann oft ein Gegeneinander. Man misstraut den anderen: Wollen die mich vielleicht bloß über den Tisch ziehen? Man hält nur die eigenen Ideen für zukunftsweisend. Was die anderen wollen: das ist doch von vorgestern! Und statt sich gegenseitig zu fördern, behindern sich die Leute gegenseitig. Und irgendwann fühlt man sich allein und hat das Gefühl: ich muss mich wehren, damit sie mich nicht unterbuttern.
Wie könnte es anders gehen? „Lasst uns einen Turm bauen", haben sie damals gesagt. Da hat keiner die Möglichkeit, eine andere Idee einzubringen. Da kann man eigentlich nur noch sagen: „Och nee, ich hab keine Lust." Wenn sie nun gesagt hätten: „Wie wäre es, wenn wir einen Turm bauen?" Dann kann jeder sagen, was er davon hält. Dann kann man auch andere Vorschläge machen. Dann kann man miteinander aushandeln, was getan werden soll. Dann hat jede und jeder das Gefühl: Ich kann mitreden. Meine Meinung ist gefragt. Ich komme auch vor in unserem gemeinsamen Tun.
Aber das gibt doch erst recht Streit, sagen Sie? Da will doch jeder seine Interessen durchsetzen und seine Ideen verwirklichen? Das könnte sein. Aber es könnte auch anders sein.
Wir Christen feiern heute Pfingsten, das ist das Fest seines Heiligen Geistes. Darum bitten wir auch im Gottesdienst: Komm, heiliger Geist. Denn wir glauben: Gottes Geist macht Menschen sprachfähig. Und vor allem, er fördert das Verstehen. Gottes Geist hilft, dass ich verstehen kann, warum der andere plötzlich so scharf reagiert. Gottes Geist hilft mir, ruhig zu bleiben und zu erklären, wie ich das sehe. Und er kann mich bereit machen, einen Kompromiss einzugehen oder den anderen den Gefallen zu tun - vielleicht sogar den Ausflug zu machen, von dem die Rede war. Weil ich begriffen habe, warum das jetzt wichtig ist. Und dann wird es wirklich richtig schön! Hätte ich gar nicht gedacht, sage ich dann. Und freue mich womöglich auf das nächste Mal. Und finde jedenfalls für diesmal: dazu gehören ist wirklich ganz schön!

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