SWR2 Wort zum Sonntag

Heute feiern Christen das Pfingstfest. Ein Hochfest der Kirche, das mit besonderen Gottesdiensten begangen wird. Das war nicht von Anfang an so. Pfingsten galt schlicht als das Ende der 50tägigen Festzeit nach Ostern. Erst um das Jahr 300 n Chr entwickelte sich der Brauch, zunächst die Himmelfahrt Christi als Festtag zu begehen. Dem folgte als eigenständiges Fest dann bald auch der 50. Tag als Fest der Geistausgießung - Pfingsten. Mittlerweile bedeutet Pfingsten für die meisten Leute ein verlängertes Wochenende, das mit Urlaub oder mit Im-Stau-Stehen verbracht wird.
Dass das Pfingstfest wenig im gesellschaftlichen Bewusstsein ist, ist verständlich. Denn anders als Weihnachten und Ostern, ist es nicht so greifbar. Es hat mit etwas zu tun, das man nicht sehen kann: mit dem Heiligen Geist. In manchen Gegenden gab es deshalb den Brauch, dass man an diesem Festtag in der Kirche den Heiligen Geist wie eine Taube herabschweben ließ, in Form einer Holztaube, die dazu aus der Decke herunter gelassen wurde. So sollte die Erzählung von Pfingsten wenigstens ein bisschen vorstellbar werden.
In der Apostelgeschichte wird erzählt, dass Jesus seine Jüngerinnen und Jünger an Pfingsten mit dem Geist der Kraft und der Zuversicht beschenkt. Sie sollen die Botschaft von Gottes Liebe weiter tragen.
Der Erzähler berichtet, dass die Jüngerinnen und Jüngern in den Tagen nach Jesu Tod am Kreuz hinter verschlossenen Türen saßen, aus Angst vor den Leuten, weil sie fürchteten, es könnte ihnen wie Jesus ergehen, ohne Hoffnung und Perspektive. Was sollte aus ihnen werden? Jesus war nicht mehr bei ihnen. Wohin sollten sie gehen, ohne ihn?
Als die Tage des jüdischen Wallfahrtsfestes kamen, 50 Tage nach dem Passahfest, 50 Tage nach Ostern, strömte die ganze Welt nach Jerusalem. Pilger aus allen Ländern und Kulturen kamen zum Tempel um zu feiern, dass Gott sein Volk Israel einst mit der Gabe der Gebote am Berg Sinai beschenkt hatte. Da, so die Erzählung, ereignet sich erneut, wie einst am Berg Sinai, eine große Offenbarung: Jesus beschenkt seine Jüngerinnen und Jünger mit dem Lebensatem und der Kraft Gottes, und mit der Gabe des Verstehens.
Denn Unglaubliches geschieht: Gottes Atem durchweht vom Himmel her das Haus ihrer Angst und ihrer Abgeschlossenheit, rüttelt die Türen und Fenster auf, lässt frischen Wind herein und gibt ihnen den Mut, nach draußen zu gehen. Wie Prophetinnen und Propheten sind sie von Leidenschaft und Feuer für die Sache Gottes erfüllt. Sie überwinden ihre Erstarrung und ihre Angst. Sie öffnen ihren Mund, erzählen von ihrem Glauben - und werden verstanden. Sie öffnen ihre Ohren, hören die Fragen - und sie verstehen. Sie sind gesegnet mit der Gabe des Verstehens und Verstandenwerdens, über alle Nationen und Kulturen, über alle Sprachen und Traditionen hinweg.
Das ist das Pfingstwunder: Gott erfindet für dieses Verstehen nicht eine Einheitssprache. Sondern die Menschen werden verstanden, jede und jeder in seiner und ihrer Muttersprache. Und sie können sich verständlich machen. Im Wunder des Verstandenwerdens wird der Reichtum der Verschiedenheit und der Unterschiede sichtbar. Das Ziel ist nicht Vereinheitlichung, auch wenn das politisch oder gesellschaftlich oft einfacher erscheint, sondern: Gott will ein Vielerlei, kein Einerlei. Gott liebt die Vielfalt, nicht die Einfalt. Gott freut sich an den vielen Kulturen, nicht nur an der einen. Der Geist, mit dem Gott an Pfingsten seine Menschen beschenkt, ist die Gabe, die Verschiedenheit von Sprache, Kultur und Tradition als Reichtum zu begreifen. Er ist die Gabe des Hörens und Verstehens, des Redens und Verstandenwerdens.
Na, wenn das kein Grund zum Feiern ist! Denn dass Menschen sich nicht verstehen, davon erfahre ich jeden Tag. Dass jemand sich nicht verstanden fühlt, passiert dauernd. Dass es mir an Verständnis mangelt, spüre ich oft genug schmerzlich. An Pfingsten dagegen höre ich vom göttlichen Geist des Verstehens und Verstandenwerdens, der den Reichtum der Verschiedenheit aufleuchten lässt. Das ist wunderbar.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10850
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