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SWR2 / SWR Kultur

 

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SWR Kultur Wort zum Tag

04SEP2024
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Auf einmal hält es niemand mehr auf den Sitzen. Alle stehen auf und beginnen zu tanzen. Bewegen sich rhythmisch im Takt, klatschen mit den Händen. Zuerst noch auf der Stelle. Aber dann verlassen alle nacheinander die Sitzreihen und tanzen in großen Polonaisen durch den Raum. Die Band spielt mit großem Sound, die Sängerin singt mit aller Kraft, in allen Lagen. Jetzt stimmen alle mit ein. Und die ganze Kirche bebt. Halleluja! Halleluja! Amen.

So habe ich den Gottesdienst einer Kirchengemeinde der Presbyterianischen Kirche in Ghana erlebt. Ganz anders als bei uns in Deutschland. Einen Gottesdienst, wie man ihn wohl nur in Afrika erleben kann. Ich staune ein bisschen über mich selbst: Obwohl ich keines der Lieder kenne, werde ich unwillkürlich mitgerissen und singe alle aus vollem Herzen mit. Und dann kommt plötzlich eine Melodie, die kenne ich sogar seit meiner Kindheit: Weißt du wieviel Sternlein stehen. Spätestens jetzt fühle ich mich wie eingemeindet. Fast drei Stunden dauert der Gottesdienst. Eine große Feier im wahrsten Sinne des Wortes.

Eine Predigt gibt es übrigens auch. Zum Glück reicht mein Englisch, um alles zu verstehen. Der Gemeindepfarrer erzählt vom verlorenen Sohn, der, nachdem er sein Erbe verprasst hat, von seinem Vater voller Freude und mit einem großen Fest wieder aufgenommen wird. Und so ist es auch mit uns und Gott, sagt der Pfarrer. Was auch geschehen ist, was auch immer wir nicht gut hinbekommen haben, er wartet auf uns. Und nimmt uns auf. Voller Freude. Das ist die Botschaft unseres Glaubens. Darum feiern wir Gottesdienst. Als ein großes Fest der Begegnung mit ihm.

Und obwohl ich dieses Gleichnis schon oft gehört habe, verstehe ich zum ersten Mal, wie sich dieses Fest angefühlt haben muss. Ein bisschen so wie dieser Gottesdienst.

Halleluja! Amen! antwortet es aus allen Reihen. Offensichtlich erreichen seine Worte die Herzen der Menschen. Meines auch. Und dann geht das Gottesdienstfest weiter. Mit noch mehr Tanz und Musik. Und vielen Gebeten. Auch für viele namentlich genannte kranke, alte, hilfsbedürftige Menschen. Und am Ende wird auch für uns, die Gäste aus Deutschland gebetet: Dass unsere Erfahrungen hier in Ghana gut sein mögen.

Der Gottesdienst war auch für mich ein großes Fest der Begegnung. Mit großer Fröhlichkeit und inniger Spiritualität. Von Herz zu Herz. Im Namen Gottes. Halleluja! Amen!

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SWR Kultur Wort zum Tag

03SEP2024
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Come on, let´s pray! Kommt, lasst uns beten. Sagen unsere Freunde in Ghana im Bus, als wir nach der Fahrt vom Flughafen in Accra in unserer Unterkunft in Akosombo ankommen. Wir, das sind eine Delegation der Ev. Kirche der Pfalz und Vertreter der Presbyterianischen Partnerkirche von Ghana.

Und nun betet also Reverend Andrew bevor wir aussteigen mit uns noch auf Englisch im Auto: Danke, Gott, dass Du uns auf dieser Autofahrt begleitet hast und wir keinen Unfall hatten. Danke, dass wir dieses Auto haben und dass unser Fahrer uns so gut gefahren hat. Danke, Gott, dass wir uns auf der Fahrt so gut unterhalten und verstanden haben, miteinander erzählt und gelacht haben und einfach eine gute Gemeinschaft miteinander hatten. Sei Du auch bei uns, wenn wir nun aussteigen. Und segne uns für den Rest dieses Tages. Das bitten wir Dich im Namen von Jesus Christus. Amen.

Das war für mich zunächst etwas befremdlich. Und doch hat es mich berührt und bewegt. Diese unmittelbare Hinwendung zu Gott. Laut. Öffentlich. Mitten in einer Alltagssituation. Da wird eine Relevanz von Glauben im Alltag spürbar, die mich beeindruckt. Diese Autofahrt war weder besonders lang noch besonders gefährlich. Und doch für die Menschen aus Ghana Anlass genug für ein unmittelbares Gebet.

Und so habe ich es noch viele Male bei den Begegnungen mit den Christen unserer Partnerkirchengemeinden in Ghana erlebt. Da wird ganz selbstverständlich vor, zu und nach allen möglichen Anlässen gebetet, bei Meetings und Sitzungen, geselligen Treffen, öffentlichen Veranstaltungen, auf der Arbeit, zu Hause oder eben auch im Auto.

Im Laufe des Tages werden so immer wieder alle möglichen Situationen und Erfahrungen unmittelbar mit Gott in Zusammenhang gebracht. Mit großer Fröhlichkeit und Dankbarkeit, mit Zuversicht und Hoffnung. Und das, obwohl es den meisten Menschen in Ghana wirtschaftlich ziemlich schlecht geht, viele am Existenzminimum leben und nicht wissen, wie sie die kommende Woche bestehen sollen. Aber das Beten lässt sie offensichtlich dennoch Dankbarkeit erfahren.

Come on, let´s pray. Kommt, lasst uns beten. Wenn ich mir immer wieder vergegenwärtige, wie vielfältig die Anlässe für Bewahrung und Dankbarkeit im Laufe eines Tages sind: dass meine Autofahrt sicher und fröhlich war, dass ich ein Essen auf dem Tisch habe, das obendrein gut schmeckt, ein Dach über dem Kopf, eine Arbeit, eine Familie, Freunde, Menschen habe, die mich tragen, dann habe ich ein Gegengewicht zu dem, was schwierig und schwer ist im Leben. Und kann mich gehalten wissen. Von den Menschen. Und von Gott.

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SWR Kultur Wort zum Tag

02SEP2024
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Manchmal kann es problematisch sein, nur die Leute aus den ersten Reihen im Blick zu haben. Das habe ich auf einer Reise auf dem Flughafen von Rom erlebt. Ich war unterwegs nach Ghana, um dort einige Kirchengemeinden zu besuchen und musste in Rom in ein anderes Flugzeug umsteigen. Mit vielen anderen Flugreisenden habe ich im großen Gedränge am Gate gewartet, um rechtzeitig an Bord gehen zu können.

Um einen riesigen Ansturm zu verhindern und das Onboarding möglichst geordnet durchzuführen, hat die aufsichtführende Stewardess zunächst nur die Reihen 1-6 aufgerufen. Doch leider ist niemand nach vorn zum Schalter gekommen. Auch nach 10, 20, 30 min nicht. Warum das so war, hat sich mir nicht erschlossen. Stattdessen wurde immer mehr gedrückt und geschoben, es war das totale Chaos. Zum Glück haben es die meisten mit Humor genommen. Irgendwann wurde jeder neue Aufruf dann nur noch mit Gelächter kommentiert. Es folgten nun auch Aufrufe für die Reihen 7-15, für weitere Gruppen jedoch nicht. Eigenartig! Irgendwann ist dann schließlich ein weiterer Stewart gekommen und hat einfach alle Anwesenden an Bord gelassen. Mit einer Stunde Verspätung sind wir dann endlich vollbesetzt gestartet.

Was mich das lehrt? Manchmal ist es anscheinend notwendig, den Fokus zu weiten und das große Ganze in den Blick zu nehmen. Wo etwas nicht funktioniert, müssen die Dinge eben angepasst werden. Damit es weitergehen kann. Und das große Ziel erreicht wird. In diesem Fall, dass alle an Bord sind.

Auf meinem Platz in Reihe 24 hatte ich dann viel Zeit, darüber nachzudenken, wie wichtig das ist. Dass letztlich alle an Bord sind. Das gilt ja nicht nur für das Fliegen. Ich meine, es gilt auch für unsere Gesellschaft. Im sozialen Miteinander, in Wirtschaftsfragen, im Klimaschutz. Oft habe ich den Eindruck, dass in den sozialen Medien und in zunehmendem Maße auch in der Politik der Fokus nur auf ganz bestimmte Gruppen oder Anliegen gerichtet wird, und andere und anderes gar nicht im Blick ist. Und damit auch nicht das große Ganze einer Gesellschaft: nämlich der Zusammenhalt. Das gelingt doch nur, wenn alle irgendwie an Bord sind. Es kann nicht nur um die „Reihen 1-6“ gehen. Das betrifft z.B. auch die Frage zwischen den Generationen. Wenn auf der einen Seite nur die Alten und auf der anderen Seite nur die Jungen im Blick sind, wird es gesamtgesellschaftlich ziemlich schiefgehen. Für eine gemeinsame Zukunft müssen alle mit an Bord sein.

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SWR Kultur Wort zum Tag

29JUN2024
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Ich sitze an meinem Schreibtisch im Arbeitszimmer. Er ist voll mit Aktenordnern, Mappen, Schreibkram und Dingen, die eigentlich ganz woanders hingehören. Wie zum Beispiel die drei Kaffeetassen und der Teller mit den Obstresten. Auch im Zimmer liegt viel zu viel herum. Im Eck steht noch eine Kiste mit Werkzeug vom Aufbau eines neuen Bücherregals. Und gleich daneben ist ein Karton mit Kabel und Zubehör für PC und Drucker, die ich kürzlich ausgetauscht habe. Kurz gesagt: Ich müsste dringend mal aufräumen! Das Problem ist nur: Ich habe überhaupt keine Lust dazu!

Und dann fällt mir ein, was mir meine Mutter einmal erzählt hat: „Wenn ich als Kind so überhaupt keine Lust zu etwas gehabt habe, dann hat deine Großmutter zu mir immer ganz einfach gesagt: Dann mach’s halt ohne Lust!“

Ist das nicht ein großartiger Ausspruch? Da kommt doch die ganze Lebenserfahrung von Jahrzehnten/eines Menschen zum Ausdruck. Gebündelt und kurz zusammengefasst in einem einzigen Satz, deutlich, klar und ohne Schnörkel: Dann mach’s halt ohne Lust!

Meine Großmutter hat deutlich zum Ausdruck gebracht, wie es manchmal im Leben eben ist. Da gibt es Dinge, die sind einfach zu machen. Ob nun mit oder ohne Lust. Das spielt keine Rolle. Es muss gemacht werden. Das betrifft das Aufräumen und den Haushalt, die Steuererklärung, die Hausaufgaben und ebenso manche Dinge im Beruf. Und auch viel Zwischenmenschliches, bei dem man Verpflichtungen eingegangen ist.

Vielleicht fällt es einem heute auch deswegen manchmal so schwer, weil die Lust und das Lust haben in unserer Gesellschaft eine so große Rolle spielen. In der Werbung z. B. sehe ich unglaublich entspannte Menschen mit dem Laptop in der Hängematte am Strand arbeiten. Und Influencer posten täglich einen lustvollen Lebensstil, der mit einer normalen Lebensrealität oft nicht viel zu tun hat.

Es ist schön, wenn das Leben lustvoll ist. Das würde meine Großmutter, wenn sie noch leben würde, sicher auch bestätigen. Und es ist gut, wenn man heute viel häufiger nach dem Lustprinzip entscheiden kann, weil es viel mehr Möglichkeiten gibt.

Dennoch gilt: Die Grundlage für ein gelingendes Leben ist nicht immer nur die Lust. Sondern die Fähigkeit, im Zweifelsfall auch einmal zu sich selbst sagen zu können: naja, dann mach's halt ohne Lust!

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SWR Kultur Wort zum Tag

28JUN2024
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Wenn ich als Kind früher in den Sternenhimmel geschaut habe, war ich voller Staunen. Über so viel Licht in der Dunkelheit, über die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Sterne, über die unfassbare Entfernung dieser Sterne zur Erde und über die ungeheure Weite des Himmels.

Und dann hat sich manchmal ein Fragen in meine Gedanken geschlichen: Wo, bitteschön, soll da denn Gott sein? In dieser Weite? In dieser Unvorstellbarkeit von Weltall, Sternen, Planeten und unserer kleinen Erde, mit uns noch kleineren Menschlein mitten drin? Wo ist da Gott? Zwischen all den Sternen, in der Weite des Alls? Gibt es ihn überhaupt?

Diese Frage ist geblieben. Auch später noch, als großer Junge bzw. erwachsener Mann habe ich mich gefragt, wo Gott ist, wenn ich in den Sternenhimmel geschaut habe. Und ob es ihn überhaupt gibt.

Meistens ist dann etwas Merkwürdiges geschehen: Je länger ich geschaut habe, desto mehr sind die Fragen in den Hintergrund getreten und es hat sich ein Gefühl von Ruhe und Geborgenheit in mir breit gemacht. Als ob mich der Himmel in all seiner Weite und mit all seinen Sternen umfängt und umhüllt.

Und dabei ist das Fragen nach Gott einer Ahnung gewichen: Eben weil dieser Sternenhimmel in seiner Weite und Größe und Schönheit so unfassbar ist, muss es doch einen Gott geben. Das alles kann doch kein Zufall sein. Da muss doch etwas, jemand dahinter sein. Wer sonst könnte so etwas Schönes und Großartiges entstehen lassen?

Ich weiß, die Naturwissenschaft liefert viele schlüssige Erklärungen und Belege zur Entstehung des Planeten Erde. Und auch dafür, wie sich Leben in unserer Welt entwickeln konnte. Ich stelle die Theorien des Urknalls und der Evolution auch gar nicht in Frage. Aber sie helfen mir nicht bei der Beantwortung der Frage nach dem letzten Sinn, der hinter allem steht. Die Antwort auf diese Frage finde ich im Glauben. Deswegen stehen Glaube und Naturwissenschaft auch nicht unbedingt in einem Widerspruch zueinander. Darum haben auch große Naturwissenschaftler wie Carl Friedrich von Weizsäcker an Gott geglaubt.

Und deswegen bleibt trotz aller wissenschaftlichen Erklärungen für mich das Staunen, wenn ich in den Sternenhimmel schaue. Über eine solch unfassbare Weite und Schönheit. Und einen Gott, der das alles hat werden lassen.

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SWR Kultur Wort zum Tag

27JUN2024
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„Gestern hat mein Mann beim Abendessen gesagt: War das heute aber mal wieder ein schöner Tag!“.

Ich sitze im Café und warte auf meine Bestellung. Am Tisch neben mir sitzen zwei Frauen. Unwillkürlich werde ich zum Zuhörer ihres Gespräches und höre, wie die andere zurückfragt: „Und das hat er einfach so gesagt?“ „Ja“, antwortet die erste. „Einfach so! So ist er halt! Besonders jetzt, wo er in Rente ist. Morgens geht er oft schon gleich nach dem Kaffee raus in den Garten. Und bleibt am liebsten den ganzen Tag dort. Freut sich an den Blumen, der Natur, genießt es, wenn die Sonne scheint. Und erzählt mir dann am Abend, was für ein schöner Tag das war.“ „Wirklich bewundernswert!“, sagt die andere Frau.

„Wirklich bewundernswert!“, das denke ich auch, als der Kellner kommt und mir meinen Kaffee bringt. Ich nehme den ersten Schluck, während die Damen nebenan zahlen und dann gehen. Ich rühre in meinem Kaffee und denke über das Gehörte nach. Und ich spüre eine Sehnsucht: Ich würde abends auch gerne öfter sagen: Das war heute ein schöner Tag! Was hindert mich eigentlich daran? Es stimmt: Oft fehlt mir der Blick für das Schöne – und vermeintlich auch die Zeit. Ich stehe morgens auf, gehe meiner Arbeit nach, am Schreibtisch oder außer Haus, nehme Termine wahr, führe Gespräche, erledige dies und das, und nehme gar nicht wahr, wie viel Schönes ich immer wieder dabei erlebe und erfahre. Deshalb nehme ich mir für diesen Tag vor, einmal genau hinzuhören und hinzusehen.

Zum Beispiel, als mir eine Mitarbeiterin erzählt, dass ihre Tochter ein Kind zur Welt gebracht hat. Dass die Geburt gut verlaufen ist und Mutter und Kind wohlauf sind und wie dankbar sie dafür ist. Wie schön, sage ich, und freue mich mit ihr.
In der Mittagspause setze ich mich in den Garten bei uns im Landeskirchenrat und auf einmal hoppelt ein kleiner Hase durch die Rosen und leistet mir munter Gesellschaft.
Und abends rufe ich meine alten Eltern an. Sie wohnen nicht in der Nähe, daher können wir uns nicht so oft sehen, aber telefonieren können wir. Und das fast jeden Abend. Und das ist schön.

Ja, manchmal tut es gut, auf das zu schauen, was gut ist. Und schön. Trotz allem Schwierigen und Schweren. Im Leben. Und in dieser Zeit.
So wünsche ich Ihnen von Herzen für den heutigen Tag Erfahrungen und Erlebnisse, die Sie heute Abend hoffentlich sagen lassen können: War das heute aber mal wieder ein schöner Tag!

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SWR2 Wort zum Tag

10FEB2024
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Ich erinnere mich noch genau: Einmal bin ich als Erstklässler zu spät zur Schule gekommen. Die riesengroße Eichenholztüre war zu. Und ich habe mich nicht getraut, hineinzugehen. Stattdessen bin ich wieder heim gegangen. Mein Vater saß zum Glück in seinem Büro und weinend habe ich ihm alles erzählt. Und dann hat er mich an der Hand genommen und wir sind zurück zur Schule gegangen. Er hat die große schwere Türe geöffnet und ist mit mir zum Klassenzimmer gegangen. Dort hat er der Lehrerin alles erklärt. Das macht doch gar nichts, hat sie geantwortet. Und dann habe mich an meinen Platz gesetzt und alles war wieder gut.

Manchmal sind es solch kleine Erfahrungen, die einem Vertrauen ins Leben geben. Erfahrungen, die so unglaublich wichtig sind. Nicht nur für ein Kinderleben. Ohne Vertrauen geht nichts. Ohne Vertrauen gibt es keine gelingende Partnerschaft, keine Freundschaft, keine tragenden Lebensbeziehungen. Ohne Vertrauen blieben viele Türen verschlossen. Ohne Vertrauen würden wir immer nur auf das Gestern und nie auf das Morgen sehen.

Aber manchmal droht das Vertrauen verloren zu gehen. Wenn eine Lebensbeziehung abgebrochen, Vertrauen missbraucht wird, Versprechungen nicht gehalten werden. Auch im Blick auf die aktuellen Diskussionen in Politik und Gesellschaft scheint es, als ob viele angesichts der Krisen und Herausforderungen Vertrauen verloren haben. In die Demokratie. In den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. In den Staat. In die Kirche. In Gott.

Ich wünschte mir, Gott würde nicht all das Leid, die Not und Ungerechtigkeit in dieser Welt zulassen. Aber ich sehe auch viele Menschen, die helfen, trösten, aufstehen und Dinge verändern.

Ich glaube, Gott handelt in dieser Welt durch solche Menschen. Menschen, die Gutes tun. Die anderen von ihrem Glauben erzählen. Und diesen leben. In Wort und Tat.

Zu diesen zähle ich auch einen katholischen Kollegen hier in Speyer. Ich kann mich an keine Begegnung, an kein Gespräch mit ihm erinnern, bei dem das Vertrauen in Gott nicht zur Sprache gekommen wäre. Und zwar nicht von Amts wegen. Sondern aus persönlicher, gelebter Glaubensüberzeugung. Im festen Vertrauen darauf, dass da ein Gott ist, der einen an der Hand nimmt und begleitet. Der für jeden Menschen eine Türe öffnen kann. Und etwas wird gut.

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SWR2 Wort zum Tag

09FEB2024
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John war Engländer. Und ein unglaublich feinsinniger, liebenswerter Mensch. Ich habe ihn während eines Jobs in meiner Studentenzeit kennen gelernt. Wir haben zusammen in Heidelberg einen Laden renoviert. Den Boden neu gefliest, eine Zwischenwand eingezogen, Wände verputzt und gestrichen, Stuck an der Decke angebracht, eine Theke montiert. Alles, was bei einer Renovierung eben zu machen ist. „Well done“, pflegte er immer zu sagen, „gut gemacht!“, wenn uns etwas gut gelungen war. In den Arbeitspausen sind wir uns nähergekommen. Er hat von sich erzählt:

Mit zwölf Jahren war er wegen seines gewalttätigen Vaters von zu Hause fortgelaufen. Und seitdem auf der Straße. Hat sich so durchgeschlagen. Bis nach Italien und Spanien immer wieder auf Baustellen gearbeitet. In Italien hat er auch seine Frau kennengelernt, die wie er auf der Straße gelebt hat. Am Strand haben sie sich selbst ein Eheversprechen gegeben, mit selbstgemachten Ringen aus Metall. Und seitdem sind sie zusammengeblieben. Schließlich in Deutschland gelandet. Über die Diakonie haben sie eine kleine Wohnung bekommen und haben, obwohl sie schon beide Ende vierzig waren, damals Arbeit gefunden. John hat immer gelacht vor Glück, wenn er davon erzählt hat, dass sie nun nicht mehr auf der Straße leben müssen, eine Wohnung und sogar ein Einkommen hatten. Auch sein Alkoholproblem hat er in den Griff bekommen.

An ihn muss ich oft denken, wenn ich lese und höre, dass in Politik und Gesellschaft zunehmend pauschal von Sozialschmarotzern, Betrügern und Kriminellen die Rede ist, wenn es um Bedürftige, Sozialhilfeempfänger und Migranten geht. Ich bestreite nicht, dass es unter ihnen schwarze Schafe gibt. Unter Umständen etliche. Wir sollten aber nicht außer Acht lassen: Es sind Menschen, um die es geht. Pauschale Vorverurteilungen lassen diesen Blick der Mitmenschlichkeit nicht mehr zu. Ich befürchte aber, wenn wir aufhören, den Menschen zu sehen, wird unsere Gesellschaft, wird unsere Welt immer unmenschlicher.

John hat damals eine Chance erhalten. Auch wenn seine Biografie, sein Alkoholproblem offengelassen hat, ob er sie würde nutzen können. Aber er hat die Möglichkeit auf ein Zuhause bekommen. Und dann auch auf Arbeit und ein eigenes Einkommen. Und John hat diese Möglichkeit ergriffen. Und konnte dadurch sein Leben ändern. „Well done“, habe ich damals zu ihm gesagt. Und wir haben fröhlich zusammen gelacht.

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SWR2 Wort zum Tag

08FEB2024
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Neulich auf der Fahrt von Rostock nach Speyer. Der Zug hat ganz schön Verspätung. Dann diese Durchsage: „Liebe Fahrgäste! Wir halten soeben in Fulda und der Zug nach Nürnberg steht wider Erwarten noch am Bahngleis nebenan. Also: Gib Gummi, Schumi!!“

Mein Gegenüber und ich grinsen uns an. Das ist mal eine Durchsage! Mit so einer guten Nachricht hat hier niemand gerechnet. Auch die anderen Fahrgäste schmunzeln. Auf einen Schlag ist die angespannte Atmosphäre im Abteil wie weggeblasen. Die Stimmung beginnt sich zu lösen, Heiterkeit macht sich breit. Und fröhliche Aufbruchstimmung bei denen, die aus- oder umsteigen und nun tatsächlich noch schnell - wider Erwarten - den Anschlusszug nach Nürnberg erwischen können.

Wider Erwarten. Bei so einer Zugfahrt, denke ich, ist es wie im richtigen Leben. Man ist unterwegs. Von A nach B, hat ein bestimmtes Ziel. Und dann gibt es Schwierigkeiten, Umstände, Probleme, Ereignisse, die Ablauf und Zeitplan verändern. Vielleicht sogar das Ziel an sich in Frage stellen. Und auf einmal ist alles ganz anders als ursprünglich im Lebens-Fahrplan vorgesehen. Wie schnell das gehen kann, daran hat mich der Zugführer mit seinem Hinweis auf Michael Schumacher erinnert. Einer der größten Rennfahrer der Welt kann wegen eines Skiunfalls von heute auf morgen kein „Gummi“ mehr geben. Auch wenn ich ihn persönlich nicht kenne, geht mir sein Schicksal nahe. Und ich schließe Menschen wie ihn und seine Familie immer wieder in mein Fürbittgebet ein. Weil ich daran glaube, dass sich etwas bei ihnen zum Guten wenden kann. Wider Erwarten.

Mein Zugerlebnis hat mich darin bestärkt: Dass wider Erwarten etwas möglich wird, sich etwas unverhofft zum Guten wendet. Und am Gleis nebenan eben doch noch ein Zug steht, in den ich umsteigen kann, meinen Weg fortsetzen kann. Und wenn ich es recht bedenke, geschieht das durchaus öfter, als ich es für möglich halte. Aber viel zu oft behalte ich nur das in Erinnerung, was schlecht und schwierig war.

Für Ihre Fahrt durch den heutigen Tag wünsche ich Ihnen von Herzen, dass da ein Zug am Gleis nebenan ist, der im Zweifelsfall auf sie wartet. Und Menschen, die sie rechtzeitig darauf aufmerksam machen und ihnen z.B. zurufen: „Gib Gummi, Schumi!“.

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SWR2 Wort zum Tag

27DEZ2023
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Heute beginnen die stillen Tage. Die Festtage von Weihnachten sind vorbei. Die Geschenke von Heiligabend liegen ausgepackt herum, das Festessen vom ersten Weihnachtstag ist inzwischen gut verdaut und auch der Familienbesuch bei Oma und Opa oder anderen Verwandten ist spätestens am gestrigen 2. Weihnachtstag erfolgt. So ist es zumindest meistens bei uns.

Alle Freude und Besinnlichkeit, alle Anspannung und vielleicht auch Unruhe der vergangenen Tage hat sich gelegt. Es ist wieder Werktag. Und doch ist es irgendwie anders. Zwischen den Jahren. Stiller. Ruhiger.

Zum einen, weil Ferien sind und wir diese Zeit als Familie brauchen. Und auch nutzen. Um uns zu erholen. Mit Lesen. Spazierengehen. Musik hören. Schöne Dinge tun. Etwas unternehmen. Zeit für uns haben. Oder Zeit mit anderen lieben Menschen verbringen.

Zum anderen strahlt doch auch noch ein wenig vom Licht von Weihnachten hinüber. In diese Zeit des Übergangs zum neuen Jahr. Ich zumindest finde, da ist noch etwas von diesem Glanz zu spüren. Ein Mehr an Gelassenheit. Zuversicht. Und Ruhe. Das hineinstrahlt in mein Tun und Lassen dieser Tage.

Allerdings ist für viele gerade die Weihnachtszeit eine schwierige, eine schwere Zeit, weil sie für sie mit Erfahrungen von Streit, Frust und Ärger verbunden ist, mit Trauer oder Leid. Bei einem Freund ist die Mutter kurz vor Weihnachten gestorben. So mögen manche die stillen Tage zwischen den Jahren auch mit einer großen Leere im Herzen erleben. Im Blick zurück. Wie auch im Blick nach vorn.

Wie auch immer Weihnachten gewesen sein mag. Jetzt, am Übergang ins neue Jahr, versuche ich immer wieder in aller Ruhe und Offenheit für mich Bilanz zu ziehen: Was ist mir wichtig? Und: was ist es mir wert? Was kann ich anders machen? Was ist traurig und schmerzlich? Und was ist gut? Was wünsche ich mir fürs neue Jahr? Und was nehme ich mir dafür vor? Für dieses Jahr steht nur eines auf meinem Zettel. An jedem Abend überlegen, wofür ich am Ende dieses Tages wieder dankbar sein kann.

In diesem Sinn erlebe ich die stillen Tage zwischen den Jahren als geschenkte Zeit. Zeit, die nicht so durchgetaktet ist wie sonst im Jahr. Zeit, die es mir ermöglicht, die Dinge zur Ruhe kommen zu lassen. Bei mir selbst. Und auch in der Beziehung zu anderen. Im ruhigen Herzschlag dieser Tage zwischen den Jahren.

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